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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 4
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0048

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SlT-


könne, und ferner, daß, „sollte die Frage nach derMöglich-
keit diefer wiffenfchaft aufgeworfen werden, ebenfalls nur
auf das Folgende als Antwort zu verweifen" fei. 5o xlansibel
dies nun klingen mag, fo beruht folche Begründung doch auf
einer offenbaren petitio priucipü, nämlich auf der hyxothetifchen
ldorausfetzung, daß überhauxt ein „Tchönes" existiere, d. h. daß
dieser Begriff eine lVahrheit enthalte, fowie daß, wenn es
felbst existierte, ein N) iffen davon (und nicht etwa ein bloßes
(Lmpfinden desselben) möglich fei. 5ollen fich diefe beiden
fdunkte also erst durch das System, das als folches auf ihrer
voraussetzung beruht, erweifen laffen, fo bleiben notwendig
' alle Folgerungen desfelben mit derselben Vorausfetzung be-
haftet, d. h. das System felbst kann als Ganzes nur eine
hypothetifche lVahrheit beanfpruchen.

Der Grund, welcher einen fo scharfen Venker wie Vifcher
zu diesem fehlerhaften, weil fophistischen Begründungsverfuch
veranlaßt hat, liegt aber lediglich in jenem oben erwähnten
fundamentalen Irrtum der bisherigen jdhilosophie; ein
Irrtum, welcher als die Vuelle fast aller prinzipiellen Fehler
und Mißverständnisfe der bisherigen ästhetifchen Systeme zu
betrachten ist uud der nunmehr näher bezeichnet werden muß.

<§s liegt nämlich auf der kjand, daß ein sicherer Ansgangs-
punkt für die Begründung eines ästhetischen Systems nur
durch die Unterfuchung über das lVesen des fubgektiven
Geistes überhaupt zu gewinnen, d. h. daß vor allem die
Irage zu beantworten ist, ob neben dem Erkennen und
dem lvollen, als diesen fpezififchen Thätigkeitsformen des
fubjektiven Geistes, deren Inhalt als „logische" bezw. „ethifche
Idee" zu bezeichnen ist, eine dritte gleichwertige, fpezifisch von
jenen verfchiedene, aber aus derselben Urquelle fließende Thätig-
keitsform nachgewiefen werden kann, deren Inhalt mit denr,
was man unter „ästhetifche Idee" zn verstehen pflegt, fich
deckt, oder mit anderen lVorten: ob ireben dem lVahren und
Guten, als Gbjckten dcs Lrkennens und lVollcns, ein
Echönes als Gbjekt dicser fraglichen Thätigkcitsform des
fubjcktiven Geistes nrit derselbcn Notwendigkeit behauptet
werden kann. Diefe Frage aufzustellen und zu beantworten,
hat aber die bisherige jdhilofophie unterlasfen; im Gegenteil
hat sie gleichfam als felbstverständlich angenonrmen, daß der
fubjektive Geist sich nur in jenen beiden, einander entgegen-
gefetzten Thätigkeitsformen änßere, die als theoretifche
und als praktifche 5eite desselben bestimmt werden. Da
nun die erstere für das Lrkennen mit der Richtung auf
das „wahre", die zweite für das lVollen mit der Richtung
auf das „Gute" in Anfpruch gerrommen wurden, fo war man
in Verlegenheit, das „Schöne", desfen Notwendigkeit neben
den ersten beiden Ideen gleichwohl anerkannt wurde, an ent-
fprechender 5telle unterzubringen und fuchte fich damit zu
helfen, es bald der einen, bald der anderen Thätigkeitsform
zu fubfumieren, ja fogar es als eine widersprnchsvolle Ver-
bindung beider hinzustellen. Daher die fehlcrhafte Einordnung
der Ästhetik unter die Ethik als befonderer 2lbteilung der
letzteren feitens Schleiermacher; daher die barocken und
widerfpruchsvollen Definitionen Rants vom Echönen als
„zwecklofer Zweckmäßigkeit" und der Einpfindung für das-
felbe als „interesfelofen Interesses"; daher die Erklärung
Schellings vom künstlerifchen Echafien als „bewußtem Unbe-
wußtsein" oder „unbewußtem Bcwußtsein" und zahlreiche
andere nichts erklärende Trklärungen, mit denen sich die bis-
herige Ästhetik abgequält hat.

Gleichwohl ist anzuerkennen, daß diefe Mißverständnisse
und kViderfprüche, fo wenig dadurch für das fubstanzielle
lVefen des Schönen gewonnen wurde, hervorgegangen sind
aus einer Ahnung des wirklichen Verhältnisses defielbcn znm
kvahren und Guten rc., um auf die Guelle zurückzugchen,
des Verhältnisfes, in welchem die Anfchauung — denn diefe
ist, wie ich fchon in meiner „Aritifchen Gefchichte der Ästhetik"
und fpäter in meinem „Eystem der Rünste", besonders aber
in meiner „Ästhetik" nachgewiesen, jene dritte neben dem
Erkennen und lVollen gleichwcrtige, aber fpezififch ver-
^ fchiedene Thätigkeitsform des fubjektiven Geistes — zu diefen

^-

beiden Formen steht, uämlich in dem Verhältnis einer
Ausgleichung des in ihm sich ausdrückenden Gegensatzes.
Aber folche Ausgleichung kann nicht in einer äußerlichen ver-
quickung beider, die lediglich zu einer coutrLclictio iu aüjccto
führt, bestehen, fondern nur in dem Nachweis, daß jenes
„Eowohl — als auch" zugleich ein „lVeder — Noch" ist.
Denn die Anfchauung hat einerseits mit dem „Erkennen"
dics gemeinfam, daß sie beide, im Unterfchied vonr „IVollen"
(Empfinden, Begehren) die Eubstanz der Dinge unberührt
lafien; andrerfeits mit dem „kVollen" dies, daß beide, im
Unterfchied vom „Trkennen", nicht auf das kVesen der Dinge
sich richten, fondern lediglich ihre Beziehung auf das
Subjekt zum Inhalt haben; dritterfeits aber besitzt sie dies
als fpezififche Eigenfchaft, die sie eben fowohl vom Erkenneir
wie vom lVollen unterfcheidet, daß sie, weil sie sich
weder auf das lvefen, noch auf die Substanz der Dinge
richtet, lediglich mit ihrer Erfcheinung und deren lvirkung
auf das Eubjekt zu thun hat. Diefe Beziehung der Lrfchein-
ung der Dinge auf das Eubjekt ist weder das IVahre —
denn dies haftet am lvefen der Dinge —, noch das Gute —
denn dies haftet an ihrer Substanz —, fondern das Lchöne,
als reiner Echein der sinnlich wahrnehmbaren !Velt.

Die Unterfuchung über diesen jdunkt und der ausführ-
licheNachweis über die Notwendigkeit einer drei-
teiligen Gliederung der Thätigkeitsformen des
fubjektiven Geistes ist nun die Grundlage, anf welcher
mein Lystem der Ästhetik aufgebaut ist, und wodurch sich das-
felbe von allen bisherigen Systemen prinzipiell nnterfcheidet.
In der oben erwähnten Abhandlung über „einige Prinzipien-
fehler der modernen Ästhetik" habe ich darzuthun verfucht,
wie nur durch die Anerkennung der reinen Anfchaunng
als gleichwertiger dritter Thätigkeitsform des fubjektiven
Geistes neben dem Erkennen und dem lvollen die vielfachen
Ulißverständnisse und lviderfprüche in der logifchen Entwick-
lung des Schönheitsbegriffs zu vermeiden sind und die konkreten
Ronsequenzen, namentlich auch im Bereich des künstlerifchen
Schafiens, mit unbedingter Notwendigkeit und vollständiger
Rlarheit gezogen wcrden können. Da die letztere positive
Eeite der Untersuchung den fpeziellen Inhalt meines ästhetischen
Lystems felbst ausmacht, fo mußte ich mich in der genannten
Abhandlung zunächst darauf beschränken, die negative Seite
zur Trörterung zu bringen, d. h. die aus der Nichtanerkenn-
ung jener dritten notwendigen Thätigkeitsform sich ergebenden
Irrtümer der bisherigen Ästhetik, auch der Vifcher'fchen, nach-
zuweifen. Dahin gehören — abgesehen von der oben be-
rührten fehlerhaften Grundlegung des ganzen Eystems —
t. der von Vifcher aufgestellte falsche Gegensatz des Lr-
habenen und Aomischen, in den sich das abstrakte Echöne
gliedern foll (statt in den desLrhabenen und Aninutigen);
2. die falsche Ltellung des Begrifis des Ljäßlichen, als not-
wendigen Rorrelats des Schönen; 3. das durchaus falsche
Linteilungsprinzip der Rünste in allen bisherigen
Lystemen; endlich die D arstellung der wahren jdrin-
zipien.

lNit bloßen, wenn auch noch fo lobfpendcnden phrafen,
worauf sich bisher die Rritik über mein Lystem der Ästhetik
befchränkt hat, ist es bei fo tief gehender prinzixieller Difierenz
gegen die bisherigen Lysteme nicht abgethan. Man mag das
Zundament meiner Ästhetik verwerfen, d. h. es mit logifchen
Gründen zu widerlegen verfuchen; kann man dies aber nicht,
fo foll man ehrlich genug fein, einzugestehen, daß damit nicht
nur hinsichtlich der ästhetischen lVissenfchaft, fondern hinsichtlich
der philofophischen Prinzipien überhaupt ein nicht unwesent-
licher Fortschritt erzielt ist. Max Schasler.

Mcdtung.

-X- ,,GsKar Wlumentbal, der Dichter des deutfchen
Theaters und der deutfchen preffe"—verdient er auch
der Dichter des deutfchen volkes zu fein? So fragt Lugen
IVolff im ersten der „Litterarifchen Volkshefte" (Berlin, R.
Lckstein Nachfolger) — und er fucht feine Frage durch eine
Rritik der Blumenthal'fchen Arbeiten zu beantworten. Nach

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