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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 4
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0049

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dem Verfasser giebt es drei Richtungen iin gegenwärtigen
litterarischen Deutschland, die seindlich der wahren Dichtung
gegenüberstehen: „t-/ das altersschwache, unsruchtbare Schwelgen
in einer überlebten Rergangenheit, 2., die krast- und
talentlose sdsuscherei, das schwächliche Spielen mit großen
Ausgaben, s., die rassinierte Sxekulation auf das Zeit-
gemäße ohne Rermögen, das Bedeutsame im lVechsel, das
heißt also den wahren Geist der Zeit, zu ergründen und
dichterisch Zll verklären. Bekämxsen werden wir alle drei
Richtungen müssen; aber den altersschwachen Rämxen werden
wir dabei nicht ohne Ehrsurcht, den talentlosen Dilettanten
nicht ohne Bedauern begegnen können; der rasfinierte Speku-
lant lvird uns nur ein Gesühl abnötigen: lhaß, ehrlichen
khaß!" Nach einer kurzen Betrachtung Gskar Blumenthals,
des Rritikers (der sich ,,weder an Wissen noch an Verständnis über
das Durchschnittsmaß der Tagesberichterstatter" erhebe) und
des Epigrammatikers (der den Dersasser an den flüchtenden
Iungen erinnert, der, um nicht gehascht zu werden, rust:
,,ksaltet den Dieb,") — zergliedert Wolsf die Mache des ge-
prüsten Bühnenschriststellers. Lr beleuchtet den Blumenthal-
schen Theatergeist als ,,Dialogisierung einer Lammlung von
Anallerbsen-lVitzen", spricht vom entscheidenden Tinsluß des
Zusalls in seinen Stücken, kennzeichnet Gesinnung und
Manieren der Blumenthal'schen ,,Aristokraten" als solche halb-
gebildeter Iournalisten und Börsenmänner, betont das Reklame-
talent der Versassers der ,,großen Glocke" und widmet der
Sprache des Autors aussührlichere Untersuchungen, die das
Platte und bserabziehende derselben klarstellen sollen. Dann
noch wird der Nachweis unternommen, daß Blumenthal, weit
entsernt davon, irgendwie ursprünglich zu sein, die Ztosse, die
ihn ,,anregten," auch noch verwässert habe, und schließlich
dem „deutschen Sardou", wie ihn einige Bewunderer nennen
sollen, jede Besähigung zu einer wahrhast dichterischen Be-
handlung unserer Zeit abgesprochen, da er ,,zwar mit speku-
lierendem Rasfinement an allerhand Treignisse" rühre, welche
^ gerade die Leute bewegen, sie aber aller Bedeutung cntkleide
und oberflach mit dcm Trnstesten spiele. „Immer hcran, meine
bserrschastenl" das ist es, was man in Trmangelung einer
andern Grundidee als Tendenz der Blumenthal'schcn Stücke
überhaupt bezeichnen kann. Daß sie nicht erhebend und ver-
edelnd wirken, soll ihnen verziehen sein. Doch daß sie aus Sitte
und Sittlichkeit verderblich wirken, das ist es, was als ewige
Anklage gegen ihren Schöpser zeugen wird." (Die kVirkung
dieser Streitschrift wird dadurch vermindert, daß man ihr jenen
,,!saß, ehrlichen ksaß" ihres Versassers anmerkt, ohne daß sie
die Form einer „jdolemik des ksasses" erkennen ließe. !Ven
man haßt, den schlägt man mit wenigen wuchtigen Aeulen-
hieben des Gedankens tot. lVolsf sucht nun mit Blumenthal
zu spielen, wie die Ratze mit der Maus: die Aatze haßt aber
die Maus nicht. Trotz des angedeuteten Mangels ist die
Streitschrift durchaus lesenswert.)

Line deutscbe Volksbübne durch eine volkstümliche
dramatische Dichtung und den Bau zweckdienlicher Bühnen-
häuser zu schassen, ist das Ziel einer Bewegung, die weiter
nnd weiter um sich greist. Über ihre Bedeutung und ihre
verschiedenen Strebungen wird binnen kurzem einer der Zach-
kundigsten im „Runstwart" sprechen. kseute haben wir nur
von zwei Aussührungen zu berichten, die näher oder serner
zu ihr in Beziehung stehen. Die erste brachte in München
s)öhnls deutsches Volksbühnenspiel „Gismunda" über die
Bretter — über, d. h. zugleich hinaus und hinunter. Dem
tragischen Stück ward der schlimmste aller Lrsolge zu Teil:
man lachte es aus. „Aus der einen Seite der Rampen —
Liebe, Lisersucht, Verrat, Fluch, jdranger, Schwert, Gist, Leichen,
aus der andern - - unbändige kseiterkeit." jdöhnls „Deutsche
Volksbühnenspiele" sind, süns an der Zahl, in zwei Bänden
gedruckt erschienen (wien, Ronegen). In einer vorrede ver-
breitet sich der Verfasser über „Unser nationales Volksbühncn-
spiel," ohne irgend etwas neues zu sagen, mit einem Größen-
wahne, dessen staunenerregende lVirkung aus uns nur die der
Thatsache übertrifft, daß Baron jderfall in München die !Vid-

mung der Bände angenommen hat. Schlechthin verblüffend >
sind z. B. die Stellen, in denen j)öhnl von Goethes „un-
glaublicher Nachahmungsvirtuosität" spricht. („Ich wäre in der
Lage, von jedem seiner Gedichte das naheliegende Muster zu
bezeichnen." — „Goethes Faust, ein kopsloses Durcheinander
von hunderttausend schönen Lrinnerungen aus den Litteraturen
sämtlicher bekannter Völker." — „5oll uns etwa Goethes
Iphigenie Luripides achten lehren, den er in seinem Stil auf's
grausamste rokokoisierte?") Trotz solchen Unsinns enthält die
Linleitung Lesenswertes, ja, sie erweckt den Lindruck, daß wir
es zwar mit eincm höchst verschrobenen und von maßloser
Autodidaktenüberhebung durchwachsenen, aber doch talent-
vollen Ropfe zu thun habcn. Die Stücke selbst hingegen, un-
geschickte und teilweise geradezu lächerliche „Dramatisierungen"
alter Geschichten in jener der Sprache w. Buschs verwandten
Reimschmiederei, von der die Tageszeitungen ergötzliche Bei-
spiele brachten, zeigen nichts von Begabung. lVie die Gis-
mnnda in München zur Aussührung kommen konnte, erklärt
uns vielleicht Baron j)ersall, der j)athe dieser „volksbühnen-
stücke", oder deren Versaffer, der noch am heitern Abend
selber von seinem — Lrsolg an die Zeitungsredaktionen tele-
graphierte! Lin paar Tage später wurde in wien ein an-
deres Volksstück ausgesührt, Anzengrubers „Stahl und
Stein". Mit diesem lVerke, das uns gleichsalls in einer
Buchausgabe vorliegt (Dresden, j)ierson), steht es nun anders.
Der Aampf des ausgestoßenen Linzelnen gegen die grausame
Gesellschast ist mit dem Lrgehen einer tief innerlich lebendigen
Gestalt, des „Linsam", voll xackender wahrheit dargestellt.
Aus die NAedergabe des Inhalts könnten wir übrigens schon
deshalb verzichten, weil er aus Anzengrubers Lrzählung „Der
Linsame" bekannt ist.

/Dustk.

» Selbstanzeige. Die Musik als Nusdruck von
Vr. Friedrich von bsausegger. 2. verm. und verb.
Auslage. (lVien, Larl Ronegen). — Man hat den Ton vom
physikalischen und vom physiologischen Standpunkte aus be-
trachtet und damit bedeutende Linblicke in das lVesen der
Musik gewonnen. Ihre volle, ja ihre wesentliche lVirkung
hat dabei einen ausreichenden Lrklärungsgrund nicht gesunden.
lVarum kann ein Tonstück, welches allen aus der Natur des
Tones und den Bedürsniffen des Ghres abgeleiteten Gesetzen
vollkommen entspricht, wirkungslos verklingen, ein anderes,
vielleicht selbst von den Bahnen, welche diese Gesetze vor-
schreiben, abweichendes, reißt zu Lntzücken hin? In der
Musik dars meiner Meinung nach der Ton nicht blos als ein
Naturxhänomen, auch nicht blos als eine physiologische lVir-
kung auf das Ghr, sondern muß auch als Ausdruck betrachtet
werden. Ls muß also auch der den Ton Gebende in Betracht
gezogen werden; es müssen die Bedingungen ersorscht werden,
unter welchen Töne hervorgebracht werden und sich zu Ton-
stücken zusammenschließen.

Daraus ergiebt sich eine Beziehung zwischen demjenigen,
welcher Töne hervorbringt und demjenigen, welcher sie empsängt.

Ich habe nun versucht, darzulegen, daß dieses Verhältnis zu-
sammensällt nüt den Bedingungen des Verständnisses mensch-
licher Ausdrucksbewegungen. Die Möglichkeit dieses verständ-
niffes ergiebt sich nach einer von mir angenommenen ksyxothese
daraus, daß das Muskelsystem desjenigen, deffen Aufmerksam-
keit aus Ausdrucksbewegungen Anderer gelenkt worden ist, in
gleicher Art in Mitbewegung versetzt wird. Der Laut ist eine
hörbar gewordene Geberde. Leiner Lservorbringung liegen
Muskelbewegungen zu Grunde. Lr ist Ausdruck, weil er durch
Lrrcgungszustände hervorgebracht wird, und in diesem Zu-
sammenhange von Anderen erkannt, oder besser gesagt, mit-
emxsunden wird. Aus seine Gestaltung hat Alles Linfluß, was
im bestimmten Lrregungszustande die Muskelbewegung bedingt.
Dauer, ksöhe, Linteilung der Lautreihen sind von der Art
der Muskelbewegungen in der Aehle, aber auch von äußeren
Geberdenbewegungen beeinsiußt. Aus den Lautausdruck wird
demnach auch die Bewegung der Arme und Beine und der
bserzschlag bestimmend einwirken. Die Llemente des Rhythmus,

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