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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 7
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Avenarius, Ferdinand: "Nouveautés!"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0079

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7. Ltück.

Lrscbelnt

ani fünften u. zwanzigste»

D§rausgeber:

zferdLnand Nvenarins.

Westellpreis:
vierteljäbrlich 21/z INark.

Ziwrg. t.

O

)eöieieOöe§Mcöörrelr.

noch solch einen Broirzeleuchter, wie ich
vor zwei s)ahren hier kaufte! „Be-
danre, die führen wir ilicht mehr!" Schade!
ch>^^IAlso dann das Tintenfaß — Äe wifsen?
„Das mit drei Füßen? Kann leider nicht dienen."
Aber das war wirklich ein schönes Stück. Na, also
zum dritten Mal sene Base, die ausnahmsweise wie
eine Vase aussah. „Thut mir unendlich leid, kann
aber leider auch damit nicht auswarten." Auch ilicht?
Nun bitt' ich Sie: weshalb behalten Sie die wenigen
wirklich tadelloseli Stücke nicht im Lager? — Der bserr
Runsthallenbesitzer spielt mit der Rlemmerschnur, zieht
die Brauen in die Höhe und nimmt eine unterthänigst-
überlegene Attene an. „Ganz recht, ganz recht, hm,
hm, jawohl . . . aber der Ljerr haben solch einen
aparten Geschmack . . . Das sind alles keine Neu-
heiten inehr: wir führen nur Nouveautes'."

Richtig, ich vergaß — wir führen nur Nouveautes.
And ist's uns einmal geglückt, für einen Gegenstand
die bezeichnende Form zu finden, daß er dasteht, als
hätt' er so werden müssen — so bilden wir nicht
das Linzelne aus und bewahren das Ganze, sondern
wir stürzen Alles wieder um oder wenigstens se
mehr, se besser und je eher, je lieber. U)as das
Auge des Renners nach hundert Iahren entzücken
würde, wie heute, es gelangt bereits übers j)ahr zu
den „zurückgesetzten F>achen", über drei Iahren liegt's
beim alten Tisen nnd dort schlummert's, bis es viel-
leicht nach fünszig j)ahren — aber jetzt beim Anti-
quar — wieder zu Ansehen kommt. Denn wir führen
llur Nouveautes. Uud die Nachsrage des j?ublikums
nach Neuheiten bringt einige der bösesten Schäden
sür unser Aunstgewerbe mit sich.

Mas? LVill ich mich denn der Tntwicklung
in den LVeg stellen? IVill ich das Neue aus der
Nunst verbannen?

Ach nein: weil wir gern Neues hätten, ärgern
wir uns über die „Neuheiten". Zu Neuem sührt !
mit Sicherheit der gerade IVeg der Lntwicklung.
IVas sich nicht entwickelt, stirbt ab oder ist schon todt.
Die Runst aber lebt, der das Blut der Gegenwart
durch alle Adern strömt, das Verbrauchte wegschwem-
mend, das Trgänzende bringend. Die Runst lebt
und entwickelt sich, die ausnimmt, was die Zeit ihr
bietet, ihre Tntdeckungen ulld Lrfindungen benutzt.
kVer wird was Ungesundes drin sehen, daß wir nicht
mehr blos Gl brennen, sondern auch j?etroleum, Gas
und elektrisches Lücht, und danach streben, diesen
Neuerungen zum künstlerischen Ausdruck zu verhelsen;
wer bei mehr als oberflächlichem Nachdenken etwas
Verderbliches etwa darin, daß der Liseilbau seine
Geltung neben cholz- und Steinbau beansprucht, so
verunglückt oder nüchtern die werke der Übergangs-
zeit auch häufig sein mögen? All das liegt aus dem
wege der Gntwickelung. An bsalbheiten ist ja kein
Mangel und die häufigste ist die, daß sich das Neue
noch ausdrückt, wie das Alte. Die j?etroleumlampen
in Form von Gllampen, die elektrischen Leuchten in
Lorm von j?etroleumlampen u. s. w. erinnern mich
immer an die Sprache eines Zungen, der „mutiert".
Thut nichts, der entwickelt sich doch: er ist im Muchs.
Zust wie unsre Runsthandwerker.

Das stäte Verlangen nach „Neuheiten" ist aber
sür solche Tntwickelung ein schlimmer Feind. Statt
Ivachstum bringt es Geschwüre und LVucherungen
aus dem Organismus der Aunft, Dinge, heißt das,
die wohl auch eine Umsangsvermehrung bilden, aber
keine, die kräftigt, sondern eine, die schwächt. Das
deutlich zu machen, muß ich ein wenig ausholen und
ein Beispiel ausführlich besprechen. Attt Absicht
wähl ich eine ganz unbedeutende Ausgabe — wenn
es hier ganz unbedeutende Ausgaben giebt. Nehmen



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