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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 7
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Avenarius, Ferdinand: "Nouveautés!"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0080

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wir an, wir hätten noch keine künstlerisch guten —
Aschenbecher für Zigarrenasche in der kVelt, und mir
läg es ob, einen zu sormen. Bin ich ein echter
Rünstler, so fällt mir's nicht ein, an Dreisüße, Schalen,
Urnen oder irgend welche vorhandene Gesäße zu
denken, die andern Zwecken dienten, als dem kleinen
sehr modernen, den ich jetzt im Ropfe habe. Zch
mache mir vielmehr einfach klar. was mein Gefäß
soll, um dann aus meiner j)hantasie heraus die
Lorm zu erschaffen, die seinen Zweck in der besonderen
Ansdrucksweise meines Materials und meiner Technik
möglichst kennzeichnend wiedergiebt. Das Ding
soll Zigarrenasche zunächst aufnehmen (es muß sich
also leicht welche dran abstreichen lassen), sodann be-
wahren (es muß also dafür gesorgt werden, daß sie
schwer herausfallen kann, daß mein Gefäß fest steht
u. s. w.); Asche und gar Zigarrenstummel sind kein
erfreulicher Anblick: das Gefäß muß also verdeckt
oder so tief sein, daß es den Znhalt dem Auge ver-
birgt. Ls soll im vorliegenden Fall aus Schmiede-
eisen und getriebenem Rupfer bestehen. So weiß ich,
daß mein vollendetes werkchen deutlich sagen muß:
ich bin ein Ding nicht etwa aus schwarzlackiertem und
teilweis verkupsertem Guß, sondern eben aus Schmiede-
eisen und getriebenem Rupfer. So gewinn ich ein
stilgemäßes Gebilde, ein Gerät, das sagt: das bin
ich und das soll ich. Und ich habe für die Befriedig-
ung eines neuen Bedürfnisses den künstlerischen, den
charakteristischen Ausdruck gefunden. So wenig es
sein mag, es ist was Neues.

wäre das s)ublikum ein Völkchen von Geschmack,
es würde an meinem werklein Freude haben. Denn
daß sich sein kVesen, d. h. seine Bestimmung und sein
Nlaterial unmittelbar ausprägt durch seine Form, giebt
ihm den Anschein der Beseeltheit. Der Beseeltheit?
Gewiß. Lin Beseelen durch unsere phantasie setzt
jeder künstlerische Genuß voraus. Gs braucht frei-
lich kein bewußtes zu sein. Auch das kunstgewerb-
liche Stück beseelen wir unbewußt, und unsere Sprache
drückt das trefflich aus. Sprechen wir nicht auch
von einem „einladenden" Ltuhle, von einem „freund-
lichen" Vorhang? IVir übertragen die Stimmung,
die sie in uns erwecken, auf sie, wie auf die Land-
schaft, die wir genießen — und wenn wir vom „er-
wecken" sprechen, beseelen wir schon wieder. Minder
oder mehr, se nach der Stärke der s)hantasie, be-
seelen wir, zumeist ganz unbewußt, Alles, was wir
ästhetisch betrachten. lVarum sonst erweckt es dem
Feinfühligen Unlust, eine aus Alessing nachgebildete
„abgehauene" Lsand als Briefbeschwerer zu sehen,
oder auf Teppichen, in die Schäferszenen gewirkt, den
Schäfern und Schäferinnen über die Backen zu laufen,
oder — das krasseste Beispiel zu erwähnen — die
Taschentücher mit den Bildnissen des Landesvaters zu
benutzen, die früher gar häufig auf Zahrmärkten
auftauchten und dem Bauersmannn ganz besonders
„patriotisch" erschienen? Auch mein kleiner Aschen-
becher wird gleich den andern wirklich schönen Gegen-
ständen unseres Lseims gewissermaßen zmn bescheidenen
Aameraden. Nür däucht, er versichert mir in seiner
stummen Sprache: „Zch putze Dir die Zigarre fein
säuberlich und hebe die häßliche Asche gut auf —
denn bin ich nicht trefflich dazu geeignet? Du fiehst
mir's sa an jedem Glied meines Rörpers an, daß

ich gerade der Rerl bin, den Du dazu brauchst!"
lVer solche Tmpfindungen nicht in sich nachbilden
kann, hat den feinsten Reiz guter Lrzeugnisse auch
des Runsthandwerks nie kennen gelernt, ist vielleicht
gar nicht einmal über die Lust an Farb und Linie
hinausgekommen, oder der Gegenstand erinnert ihn
nur an etwas bsübsches oder ihm lVertes, oder er
erfreut sich nur an seinen Teilen, ohne ihn als
Ganzes betrachten zu können.

Lo geht's nun freilich dem großen publikum, dessen
s)hantasie durch Zahrhunderte verkümmert ist. Ls
wird unsern Aschenbecher begucken, wie Andere auch,
wird ihn, ist er in seiner Form und Färbung gefällig,
auch kaufen, wird aber nicht im Ltande sein, in jenes
innerliche Verhältnis zu ihm zu treten, ihn zu „be-
leben" — und er wird ihm bald langweilig werden.
Aus der so erzeugten Zlangeweile ersteht nun das
Unheil. kvas Anderes! lVas Neues! schreit der
Gelangweilte. . Und der Verkäufer will Absatz und
der Fabrikant will Aufträge und der Zeichner will
Verdienst haben, jeder möglichst viel. Also neue
Aschenbecher her! Aber der alte war doch die
Lösung seiner Aufgabe. Vielleicht wär ein zweiter
Typus denkbar, vielleicht noch ein dritter und vierter,
der ebenso eine Lösung wäre. lVenn das der Fall,
und wenn es jene Typen zu schaffen glückte —
nun, so wäre die Sache auf eine lVeile hinausge-
schoben, bis die Geschichte wieder von vorn begönne
und endete, wie vorher. Also: bewahrt den Typus,
aber schmückt das Gefäß anders, gebt den einzelnen
Teilen andre verhältnisse, nehmt andren Nohstoff und
andre Technik und modelt danach die Form. Du
lieber Gott, das genügt den verehrlichen Räufern nicht.
Das ist ja blos ein neuer Rock, der dem Alten über-
gezogen ist; dieses selbst aber langweilt sie.

Lo kommen denn sie angezogen, die Lieblinge der
Verrücktheit, geboren von der Geschmacklosigkeit soge-
nannter oder dem Galgenhumor wirklicher Uünstler
und aufgesäugt zumeist mit dem Angstschweiß wegen
des lieben Broterwerbs. Umgekehrte Z'slinderhüte,
Zocke^mützen, Ltiefel und andere gute Dinge im Ab-
bild, die nur eben keine Aschenbecher sind, geben noch
gar nicht das Lchlimmste. Lsübscher ist schon ein
Nlohrenkopf, dem man den Lchädel aufklappt, die
Asche hineinzuwerfen; besonders schön aber in er-
höhter Arbeit das j)orträt eines großen Niannes, an
dessen Nase man die Zigarre abstreicht. Aber auch
an und für sich ganz niedliche Lächelchen finden sich
ein — für jene nämlich, denen mit dem Geschmack
das Ltilgefühl fehlt, d. h. das aus jenem „Beseelen"
entstandene Verlangen, in jedem Ltück den charak-
teristischen Ausdruck dessen zu sehen, was es ist. Line
Art von j)uppen-Triumphwägelchen z. B., an die
viel Aönnen verschwendet ist, Liliputaner-Bierkrüge,
Zwergen-Limer u. s. w. — alle als Aschenbecher.
Das sind nun samt und sonders Nouveautes in
unserm Linn — sie geben nicht die geringste wirkliche
Bereicherung unseres Runsthandwerks, sie lösen keine
stilistische Aufgabe, bieten nichts Linheitliches, Orga-
nisches, Lebendiges, sie schreiten nicht fort auf dem
lvege der Lntwickelung, sondern sie hüpfen rechts
und links davon auf dem Nasen herum, gleich Böcken
und Rälbern.

Lsoffentlich hat mein Aschenbecher-Beispiel klar ge-


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