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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 7
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Avenarius, Ferdinand: "Nouveautés!"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0081

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Sl

macht, worin mir der Unterschied von Neuem und
Neuheiten zu liegen scheint. Und ich kann mir's
versagen, alle jene kunstgewerblichen Nouveautes aus-
führlich zu besprechen, von denen die Uhren in Tier-
bäuchen, die Thermometer aus Glas in Form von
Streitäxten oder Dolchen, die Rravatten in Form von
Strümpsen mit Stiefelchen dran und die Busennadeln
mit Parfüm-Spritzen vielleicht nicht einmal die erbau-
lichsten Glieder einer Rette sind, die sich ohne Grazie
iu iuüuitum dehnt.

war's aber der Mühe wert, so viel darüber zu
sagen? N)as geht's uns an, wenn Leute ohne Ge-
schmack und Verständnis ihre Rleider und wohnungen
lächerlich machen und sich selber? Liegt wirklich eine
Gefahr für unser Runstgewerbe vor?

Line Gefahr nicht so sehr, als eine bsemmung.
Ls ist eine Wechselwirkung. Die Nlenge ruft nach
Neuheiten, weil sie das wirklich künstlerische werk
nicht versteht, er^o sich bei ihm langweilt, wie freilich
bei seinen lieben Neuheiten auch, sobald sie ihm wie-
der Altheiten geworden sind. Die Neuheiten hingegen
sorgen dafür, daß nie Uäangel an nahrhaftem Futter
für die Geschmacklosigkeit der Ubenge eintritt. Dies
die wirkung für die „Ronsumenten". Und für die
„jDroduzenten"? Ich will nicht von denen reden,
die zur Herstellung jener Neuheiten sich mit Der-
gnügen bereit finden — in deren Adern fließt
kaum Uünstlerblut und weiterbildner des Schönen
wären deshalb schwerlich an ihnen verloren. s)ch
rede von denen, die wissen und empsinden, worauf
es ankommt, die Gutes zu gestallen die Fähigkeit und
das ehrliche Bemühen hegen. Sie können sich dem
Linfluß jener Narrheiten doch nicht entziehen. Denn
leben wollen sie eben auch. Die Uäufer aber, die
wahren edlen Geschmack besitzen und zugleich die
Uäittel, ihn zu befriedigen, bilden in Deutschland eine
erschrecklich kleine Gemeinde. Don den Leuten, die
das meiste Geld ausgeben, von unsern Börsianern,
schweigen wir billig. Doch braucht man nur zu lesen,
was uns dies weihnachten wieder von den Geschenken
der Fürstenhäuser die Zeitungen bewundernd berichteten
— und man wird erkennen, daß selbst in den j?alästen
der Herrschenden der gute Geschmack kein Hausfreund
ist. Nehmen wir nun selbst an, die wirklich künstlerisch
Begabten unter unsern Runsthandwerkern machten
das Unmögliche möglich, nehmen wir an, sie leisteten
der Versuchung Trotz, durch allerhand Unsinn „pi-
kante Lffekte" und klimpernde Gelderfolge so billig
zu erzielen und brächten nur „Neuheiten" auf den
Nlarkt, die der innern Gesetze der Uunst wenigstens
nicht spotteten — der schwerste Schaden bliebe
doch. Nämlich die Unmöglichkeit für den Uunsthand-
werker, sich aufs vertrauteste einzuleben in die Formen,
die er schafft. Ls giebt nur ein Beispiel von dem,
was ich meine und erschöpft es nicht, wenn ich an
das Lserausreißen auch aus den verschiedenen mehr
äußerlichen, historischen Darstellungsarten erinnere, das
durch unsere bsetzjagd durch alle historischen Ltilarten her-
vorgebracht wurde. Daß sich nicht wie aus dem
winter der Frühling, aus dem Frühling der Sommer

und so fort die Stilarten aus den Stilarten mehr
entwickeln, sondern mit der Fixigkeit, mit der sich die
Sommerbilder aus dem Nebelapparat im Uindertheater
in ^chneelandschaften umzaubern und umgekehrt —
auch dieses Unheil ist ein Uind von der Mutter der
Nouvautes, zum mindestens ein Megekind. Man
höre die Arbeiter darüber klagen, die vom heut end-
lich beinahe Gelernten morgen schon wieder ab-
springen sollen.

Lo artige Witzchen man heutzutag in Uünstlcr-
kreisen über die „ollen Zriechen" hären kann, man
wird's nicht leugnen: einigen Geschmack besaßen die
Guten doch. Und merkwürdig: ihr Uunsthandwerk
kannte so gut wie gar keine Nouvautes. U)ie wenige
Typen waren es, die sie für ihre Geräte besaßen,
wie selten finden wir Gefäße, die nicht aufs klarste
und feinste in ihrer Form ausprägen, was sie sind.
U)ohl begegnen wir zahllosen variationen, wie selten
aber ging darüber die Lharakteristik verloren! Diese
Meister Uunsttöpfer und Uunstschmiede stellten sich,
sozusagen, ihren Arbeiten gegenüber, wie gute Lrzieher
ihren Zöglingen: sie prägten ihnen nicht was Fremdes
auf, sondern sie entwickelten ihre jDersänlichkeiten aus
sich selber heraus. Denn die s)ersönlichkeit eines
Geräts ist jene kennzeichnende Form, gleichsam der
sichtbare LÄb, den sich die Leele, den der Begriff
eines Gerätes sich selber gebildet hat. Die alten
Lserren und Damen müssen wohl nichts Aufregen-
des für ihr bseim verlangt haben, sondern Be-
ruhigendes, weil Harmonisches in sich selbst. Und
wer das Lrgebnis davon betrachten will, der ver-
gleiche mit Ntuße und Beschaulichkeit eine echte vase
des Altertums mit der wertvollsten, antikisierenden
Terrakotta z. B. aus Ropenhagen. Und ist ihm das
wundervolle Lebensgefühl aufgegangen, das jede
Linie des alten Geräts schier atmen läßt in leiser
organischer Bewegung, während der scheinbar so
ähnliche Umriß des neuen starr und kühl bleibt —
dann ist ihm auch aufgegangen, was wir unmöglich
machen durch unser Aufjagen der Arbeitenden von
jeder Vertiefung ins ruhige Lchaffen.

Auch für die Antike kam die Zeit der Nouveautes,
die Zeit, da originell und original, querköpfig und
eigenköpfig, für dasselbe galt — s)ompeji zeugt da-
von und vom beginnenden Zerfall. U)ir stehen
unter anderen Bedingungen. Unser modernes Uunst-
handwerk (denn Gott sei Dank haben wir doch
wieder eines!) ist nicht von unten herauf gewachsen:
tüchtige Niänner haben dem Baum edle Reiser einge-
senkt. Die Besserung geht langsam fort, von oben
nach unten. Liner kleinen Anzahl verstehender und
Feinsinniger ist es gelungen, in weiteren Rreisen den
Geschmack zu kräftigen. Auch in noch weiteren, auch
in allen des ganzen volkes kann es glücken. Die
ernsten Lchäden aber müssen wir Alle erkennen und
bekämpfen. Deshalb ist's j)flicht eines Zeden, in
seinem Rreise auch gegen den heut besprochenen zu
wirken. Und zunächst bei seinen Linkäufen nicht zu
fragen: was giebt's Neues? sondern höchst einfach:
was ist schön, lebendig und charaktervoll? F. A.

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