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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 8
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0100

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rücksichtslos begehrlichein Lgoismus kein anderes Ziel,
als die Derbindung mit dem Geliebten und zwar,
da bseiberg mit Necht den Lhebruch noch nicht als
selbstverständliche Lrscheinung in der deutschen Familie
ansieht, als die eheliche verbindung nut ihm. von
ihrem eigenen Gatten scheidet die dämonische Frau
sich; ihr Geliebter, deu sie halb gegen seinen IVillen
zu fesseln weiß, obgleich er seine Gattin liebt, soll
sich auch von dieser scheiden lassen. Dahin will sie
es, dahin muß sie es bringen. Vernunftsgründen ist
sie unzugänglich. Nur ihre Leidenschast beherrscht sie.
Alle Mittel, auch die verwerflichsten, sind ihr schließlich
recht, um ihr Ziel zu erreichen. Äe erreicht es
gleichwohl nicht. Sie treibt sich, den nicht ganz
schuldsreien Geliebten und dessen unschuldige Gattin
in den Tod. Die „poetische Gerechtigkeit", welche
hier „Sühne", dort „Belohnung" erheischte, ist also
in beiden Nomanen gewahrt. kVenn „Gin bVeib"
uns gleichwohl lange nicht so sesselt, wie „Gine vor-
nehme Frau", so liegt dies unzweiselhaft darin, daß
in der ersteren Geschichte die Absicht, ein Gegenstück
zu dieser letzteren zu schreiben, allzu deutlich heroor-
ritt. Gine Absicht, die man merkt, verstimmt bekannt-
lich. bsierin liegt es aber nicht allein. während „Line
vornehme Frau" dementsprechend durchaus den Gin-
druck macht, als die Griginalgeschichte dem wirklichen
Leben abgelauscht zu sein, erscheinen die Gharaktere
und die vorgänge in dem Noman „Gin kVeib"
lange nicht so unmittelbar und überzeugend der kVirk-
lichkeit entlehnt. Die Geschichte kommt uns zusammen-
ersunden vor. Sie wirkt daher auch weit weniger
wahrscheinlich und, trotz der etwas niedrigern Gesell-
schastsschicht, in der sie spielt, weniger realistisch, als
die andere.

Zm Linzelnen enthält sedoch auch dieses Buch
cheibergs, dessen „s)roblem" als solches nicht eben viel
zu denken giebt, eine Fülle warinsprudelnden Lebens,
seiner Beobachtungen und spannender IVirkungen. kVer
cheiberg kennt, wird ihn auch hier wiedererkenuen;
wer seine Bekanntschast aber noch nicht gemacht hat,
würde wahrscheinlich enttäuscht werden, wenn er sie
durch „Lin ZVeib" machen wollte.

Rarl IVoermann.

/IbusLK.

» Uber die Wcdcutung dcr /Ibuslk im sozialen
Leben des deutschen Volkes sagt uns Ludwig
Ukeiuardus seine Meinung in einer Broschüre
(Uiinden, Bruns), welche zunächst ein Abbild unsres
Ukusiklebens, wenigstens in den bsauptlinien zu zeichnen
sucht und dann Schlüsse und Forderungen anknüpft.
Auch wer, gleich uns, von der Linseitigkeit des Ver-
sassers überzeugt ist und z. B. über seine Bcurteilung
IVagners den Kops schüttelt, wird mancherlei Anregen-
des aus dieser Streitschrist entnehinen. ^ehr beachtens-
wert scheinen uns z. B. die solgenden Aeußerungen,
die wir wiedergeben, weil wohl überhaupt nicht ost
genug gegen die Nunstheuchelei und ihre Ursachen
wie ihre Folgen ausgetreten werden kann, mögen sie
sich zeigen, wie und wo immer. „Grundlage und
methodische Voraussetzung wie Nichtschnur einer höheren
musikalischen s)ädagogik ist stets die bsarmonielehre
gewesen. Ohne den Geist auch des allerbegabtesten
Tongenius in diesem Lehrsach gezüchtet und mit Lin-

sichten und Fertigkeiten ausgestattet zu haben, wird
die Tonmuse in ihren tiessten und gehaltoollsten Offen-
barungen stets nur einem Halbbewußtsein oder völligem
Unverständnis begegnen. IVenn es nun sogar zweifel- '
haft erscheinen kann, ob ein oder der andere Nlusik-
gelehrte, Lorscher, Lsistoriker und selbst mancher Ton-
künstler von Berus bis zu einer tieseren Lrkenntnis
des ideellen Gehalts eines vielgliedrigen harmonischen
Tonsatzes mit seiner Fassungskraft hindurchgegangen
sei, was soll man da von einem Verständnis des
großen j)ublikums im Uonzert und Opernhause er-
warten! wie viel eitle Selbsttäuschung, unwahren
Schein und bewußte Lieuchelei regen große Tonwerke
aus in den Lserzen aller Zuhörer, die sich nicht
genügen lassen zu sollen meinen am Genuß eines der
Urteilssähigkeit entzogenen, halbbewußten, aber un-
mittelbaren allgemeinen Tindrucks, sondern sich die
Uüene geben zu müssen glauben, als berechtige sie
das auskömmlichste Verständnis, über Wert oder Un-
wert des gehörten Uunstwerks ein entscheidendes
Urteil abzugeben. Das vorschnelle Aburteilen und
^chwatzen über Tonwerke und Tonkünstler ist zur
gesellschaftlichenUraukheitserscheinung geworden, welche,
durch die wlassenhaftigkeit öffentlichen Ukusiktreibens
und durch den stillosen wechsel der verschiedenartigsten
Tindrücke genährt, das Volksleben in sortschreitendem
Grade und wachsender Ausdehnung über alle seine
gesellschastlichen Ureife und Schichten verflacht und
auch das reinste Genußmittel zu einem ganz äußer-
lichen öffentlichen Zeitvertreib herabwürdigt. Daß
bei einer Uebersteigerung der oben vergegenwärtigten
Ukenge solcher dargebotener Ukusikgenüsse lautere
Freude an denselben nicht gedeihen kann, daß an
ihrer Stelle vielmehr einerseits das Geschäst der Tages-
kasse, andererseits gewohnheitsmäßiges Uütthun eines
,anständigen' gesellschastlichen Ukodezwanges, die eitele
Lhre, sich den Nus der Uennerschaft zu erwerben
und andere äußerliche Gesichtspunkte, s)flichten und
Nücksichten, sogar Rreditfragen von ksandelssirmen —
oft als bsebelkräste des Ntusiklebens mitwirken dürften:
das sind natürliche Folgen des Balanziersystems der
Uonkurrenz. Sie hat unsere nationalen Utusikzustände
wie ein Urebsschaden angesressen und vorzugsweise
in den großen deutschen wüttelpunkten der Tonkunst
und ihrer sssflege bittere Früchte gezeitigt. Doch viel-
fach auch schon auf dem Laude hat der Nunstgesang
den ^chmelz von den bunten F>chwingen des sröhlichen,
innigen und sinnigen Volksliedes abgestreist. Aus
wald und Flur verschwiudet immer mehr die reine
Gesangssreude. Sie hat sich zurückgezogen in Bier-
stuben und Übungsräume der Lhorgesellschaften und
sristet hier oft genug gar kümmerlich ein sragwürdiges
Dasein." wir lassens sür heute dahingestellt sein, ob
die weite und immer wachsende Ausbreitung der Volks-
Gesangvereine nicht doch auch einige andere nnd
hellere Seiten hat, als die, von denen Meinardus
spricht. Dort aber dürste der Verfasser schwerlich zu
widerlegen sein, wo er einen Zurückgang der guten
bsausmusik behauptet. Denn die Legion der Häuser,
in denen Nlavier geklimpert wird u. s. w. gilt doch
wohl den wleisten, wie ihm, nicht als Beweis des
Gegenteils. Und er schildert uns ein verlockendes
Bild wahrer musikalischer Nunst im üuuse. Da
stimmt die üuusfrau, sich selbst begleiteud, eins ihrer

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