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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 8
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0102

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bittere Not versunken, erlöst sie dann nicht selten der
wirkliche Wahnsinn." IVieder Andere gehören zn den
Streitbaren. „<Ls sind denkende, aescheite Aöpfe, wenn
auch aleichfalls ohne die rechte Bildnng." Lie glauben,
die Aunst der Gegenwart und Zukunft inüsse trotzen
dieser Gesellschaft, müsse sie bekämpfen, sie befehden.
Line tendenziöse Mission des künstlerischen Schaffens
erwacht in ihrem thirn als Zdeal ihrer Bestimmung.
„Lage Niemaud, solche Aialer seien wirkliche Sitten-
schilderer. Sie sind es nicht, weil ihnen dazu die
reine Gbsektivität, die Absichtslosigkeit fehlt." Line
vierte Gattung nennt der Verfasser „die j?ikanteu,
Seusationellen", welche sich vor Allem überlegen:
„U)as werde ich doch Originelles malen, auf daß ich
Beifall erringe?" Verstäuden sich diese auch noch
auf Neklame, so hab' es mit ihneu keine Not. „wieder
audere, zaghaftere, gute Seelen, welche es nicht fo
keck wagen, die Farbe mit Blut, deu s)insel mit dem
Dolche zu vertauschen, und noch einige ererbte
Achtung vor deu uralten Traditionen bewahrt haben,
spielen demütig eine niedere Nolle neben den himmel-
anstürmenden Titanen des siegreichen Nealismus, denen
sie stillschweigend — wenigstens in deren Gegenwart
— eine Ausnahmsstellung einräumen." Alle diese
Gruppen beständen aus zeugungsunfähigen Schatten.
Daraus erklärt sich nach des Verfassers Nleinung die
Uufähigkeit, selbst „die gewöhulichste Tändelei für
den Geschinack des flanierenden Ausstellungspublikums
unmöglich zu machen: die Genrebilder wie „Das
AÜttagsschläfchen", „Das verunglückte Ständchen",
„Der Abschiedsbrief" u. s. w. Und man dürfe fich s
nicht verhehlen: „Das Mblikum sucht die wahrheit
nicht in der Nunst."

Zmn Schlusse verwahrt sich der Verfasser gegen
die Annahine, daß er „etwa den Nüustlerstand von
heute gehässig antasteu" wolle. „Zedes tadelnde
wort über die Nünstler trifft nur die Nousequeuzen
des Verfalls unseres gesellschaftlichen Lebens, wie er
sich in seinen wirkungen auf das Nunstschaffen not-
wendig äußern muß."

» Die Lukuntt der Llrcbttektur beleuchtet uuser
AÜtarbeiter j)rof. 2ldolph Göller am Schlufse
seiues neuen werks „Die Tntstehung der architekto-
nischen Stilformen" (Stuttgart, Wittwer), über das
wir, nebeubei bemerkt, unsern Lesern binnen Nurzem
eiue Lelbstanzeige zu bringeu hoffeu. „Augekommeu
au jeuem Ziel, wo die Trfindung neuer Linzelformen
der Architektur aufgehört hat uud die Triebkraft der
alten Formgedanken erloschen ist, vernehmen wir aus
dem Niunde der Geschichte die eruste Drohung, daß
auch wir dem Zustaud der Trstarrung und des müden
weiterschleppens einer abgenutzten Formenwelt ent-
gegengehen." was sollte uns frisches Leben bringen?
Das immer befruchtende Zusammenführen verschiedener
Formenströme vollzog sich in der älteru Vergaugen-
heit am natürlichsten dadurch, daß die Völker selber
zusammengeführt wurdeu, uud diejenigeu Länder, die
eine häuffge Aufeinanderfolge von eingedrungenen
Völkern oder von Tinwanderern nachweisen lassen,
waren die fruchtbarsten in der Trzeugung neuer Bau-
stile." Aber das „herbe k)ilfsmittel einer barbarischen
Znvasion ist mit der völkerwanderung" glücklicher-
weise erschöpft. Genügt es, fragt Göller nun, die
vorhandenen Formeukreise „durcheinander zu schütteln"?

wären wir naiv genug dazu, strebteu wir uicht vor
Allem nach Stilreinheit — vielleicht hülf' es etwas.
„Aber wehe den Vorkämpfern!" Oder könnten wir
vielleicht einen ganz selbständigen Formenkreis frei er-
ffnden? „Das gewonnene Bild der architektonischen
Lntwickelung erweckt nicht viel kjoffnung für einen
solchen künstlichen modernen Versuch. Ts verküudigt
vielmehr als Thatsache der Lrfahrung, daß ohne
ein neues, aus dem Zustand der Natur-
wüchsigkeit zur Bildung aufblühendes volk
kein neuer Bausiil entsteht." N)ir müßten
also „eine Ausnahme gegenüber der Trfahrung durch-
setzeu können, wie etwa im Gebiet der Sprache das
,VolapüÜ als ein solcher Versuch entgegen aller Tr-
fahrung gegenwärtig an Boden gewinnt. <Ls müßte
uns geliugen, durch freies Lrffnden nach den geome-
trischen Formgesetzen den Nreis der alten Nlotive zu
vermehreu. Die ersten derartigen Versuche würdeu
zwar uotwendig als fftillos' bezeichnet werden," aber
„jedes architektouische Nlotiv ist bei seiner Lntstehung,
wenn uicht gerade stillos, so doch stilschwach, deuu
abgeseheu vou der lViederholung geometrischer Züge,
auf welcher eiu Teil der Ltilverwandtschaft verschie-
dener Bauformen zuweilen beruht, ist es erst das Leben
der Formen im Gedächtnis der Menschen, was ihnen
den Ltil verleiht." (Lin sehr interessanter Gedanke,
zu dessen Verständnis wir den Leser auf das ver-
weisen, was Göller in der Lelbstanzeige seiner früheren
Schrift auch im „Runstwart" darlegte, auf S. t t> uud
20 im zweiten Ltück. Das lVort „Stil" ist hier selbst-
verständlich im historischen Linne, nicht im allgemei-
neren gebraucht, nach welchem die Lorderung nach
„Ltil" die Forderung nach charakteristischer Ausprägung
des lVesens in der Lrscheinung ist.) kVill es nun der
Verfasser auch nicht gerade für unmöglich erklären,
so künstlich die Grundlage einer neuen Stilentwickelung
zu schaffen, so scheint ihm doch auch das Anklammeru
an diese Hoffnung schwer. „Denn wo sollte man
Formgedanken ffuden, die nicht in einem früheren
Baustil schou enthalten wären? Bei der Lprache
ist es anders; bei dieser ist die Nlöglichkeit immer
neuer Nombinatiouen ihrer elementaren Laute uu-
erschöpflich; iu der 2lrchitektur ist die Zahl der mög-
licheu gruudlegendeu Notive eine sehr geringe, sobald
man Linfachheit derselben verlangt. Alle einfachen
und natürlichen bfflfsmittel zur Lzerstellung der Nunst-
formen siud schon verbraucht; welche eiufache Gestalt
ließe sich etwa dem Lchaft, Nopf oder Fuß einer Säule
noch geben, die nicht schon dagewesen wäre und selbst
mit den geschweiften Nmrissen der Läule ist aufgeräumt.
Ähnlich in den anderen Fällen. Das Neue, das etwa
noch als Nunstform der Nonstruktionsglieder zu fiuden
wäre, könnte demnach „für die meisten nur eiu fcruer
liegender, stark zusammengesetzter Nonstruktionsgedanke
sein; das heißt, der neue Stil hätte nur die bVahl,
entweder auszuwählen unter den Formen der vor-
handeuen Baustile, oder von bsaus aus ein Barock-
stil zu werden."

Trotzdem ist die Lache uach unserem Schriftsteller
nicht gar so schlimm. „Der Befürchtung aus deu
Vorgängen jener alten Nulturländer im Gsten und
lVesten steht auch die tröstliche Lrwägung eutgegen,
daß tote Baustile bei toten Völkern nicht überraschen
können, daß die Architektur nicht ein selbständiger

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