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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0138

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Schiller und Goethe, seine kostbare Zeit verschwenden
müssen, damit er die eben erst gedichteten Dramen
„einrichtet"; es wird ihm ebenso leicht gemacht sein, wie
hentzutage den praktischen Stückesabrikanten, wie seiner-
zeit Rotzebue, wie seinerzeit (Lalderon, Lope de vega,
Shakespeare: sein Dichten ist zngleich ein „Linrichten",
weder die Rosten noch die Rulissen werden ihn mehr
ängstigen.

Man sieht, daß ich höchst unpoetisch die Geldsrage
in den vordergrund stelle. Allein, was hilft es, über
das Theater ohne Berücksichtigung der Rostensrage
zu reden? woher soll ein Theater-Direktor noch
Mut zu wahrhast poetischen Versuchen sinden, wenn
er sür das klassische Nepertoire schon seine halben
Linnahmen ausgeben muß? Die Abneigung unserer
Theater gegen „Aostümdramen" beruht zum größten
Teil nicht aus ästhetischen Überzeugungen oder aus
Bequemlichkeit, sondern einsach aus einer gegründeteu
Scheu vor Aosten. Und wie sollen solche Dersuche
glücken, wenn ihnen das klassische Drama mit seinen
glänzenden Ausstattungen zur cheite steht? Zn b^am-
burg soll die Znszenierung des „üamleb" -^oooo M.
gekostet haben. Nun ist „bsamlet" unter allen Um-
ständen ein interessantes Stück, hat außerdem die
Autorität des Namens sür sich. wenn nun ein
neueres Atück gegeben wird, das meinetwegen von
einem völlig unbekannten A'iüller ist, der auch jeden-
salls keinen zweiten „^amlet" geschrieben hat, und
für das Müllersche Stück werden too M. ausge-
gebeu — ist das noch gleiches chpiel?

A'ian wird nun sreilich sagen, daß die Aosten der
„Luther"-Aufsührungen ziemlich beträchtlich waren.
Zndessen hier war 2llles von Ansang an neu zu
schafsen. Dies wird sortsallen, sobald derartige „Fest-
spiele" wiederkehren und worms auch hierin, hoffe
ich, ein Beispiel geben, zumal im Mormser Theater
sür gewöhnlich auch die herkömmliche Bühue eine
Stätte findet.

Der Grund, einer Tntwicklung der „Volksbühne"
mit 2lngst entgegenzusehen, ist nicht im Geringsten vor-
handen. 2Nan kann sich nicht von den Tindrücken
losreißen, die man bei unsern stehenden Theatern ge-
wonnen hat. Angenommen, selbst derartige Spiele
sür die Dolksbühne würden zur Alodesache, wie geringe
Thätigkeit würde im Dergleich zur gesamten sür die
theatralische Schriststellerei verwandten Zeit dasür
geopfert! Wie gering wären hier die Aussichten,
welche sich dem Dichter böten! Und diese „Aussichten"
sind den meisten ihre Nluse, wie die Dramaturgeu
uusrer Theater wissen, die weit weniger über die
von veralteten witzlingen bevorzugten fünsaktigen
Tragödien, als über das unglaublich platte Lustspiel-
geschmiere klageu, bei welchen die Nohheit der Ver-
sasser sast ebenso groß ist, wie ihr Deutsch sehlerhaft.

Fühlt sich nun der Zuschauer vor der volksbühne
lebendiger, so wird sich auch der Nritiker diesem
Linfluß nicht entziehen können. Schon vor langen
Zahren habe ich einen Aussatz über „Nlassizitäts-
dogma" geschrieben. Nleine verehrung sür unsere
großen Dichter ist seitdem, wenn es möglich war,
noch gestiegen, aber auch die Tinsicht hat zugenommen,
wie unheilvoll dieses Dogma wirkt, das eben ein
„Dogma" geworden ist, keine den Nkenschen er-
süllende, aber ihn nicht sesselnde Überzeugung mehr

ist. Unsere Rritik ist, ohne daß sie es selber merkt,
so ziemlich aus dem Standpuukte der sranzösischen
Nritik des vorigeu Zahrhunderts, wenn sie auch, dem
deutschen Tharakter entsprechend, ihr Augenmerk aus
ganz andere Dinge richtet. Nmn empfiehlt die
klassischen vorbilder, wie man den Gymnasiasten die
ciceronischen j?hrasen anpreist und man kritisiert ein
neues Drama, als ob es einen lateinischen Aussatz
zu begutachten gäbe. Natürlich lassen sich um so
mehr Fehler nachweisen, je höher dasselbe sich seine
Ziele gesteckt hat. Aommt nun die reine Unterhaltungs-
dramatik, so will man nicht böse sein, gesteht ein,
daß man sich unterhalten hat und weiß zu loben.
Uann man es da dem j?ublikum verdenken, wenn es
das Gelobte dem so vielsach Getadelten vorzieht, ist
es verwunderlich, wenn unsere Dichter allen Nlut
verlieren? Nkit Zemandem ein Glas Bier zu trinken,
ist schließlich angenehmer, als sich von ihm examinieren
zu lassen.

U?enn Bulthaupt der „Neigung, theatralische Fest-
spiele zu veranstalten, nicht alle Berechtigung ab-
spricht", so bin ich ganz zusrieden. U)er wird, wenn
es im heißen Sommer einmal regnet, gleich sich in
Betrachtungen über die möglichen Folgen einer neuen
Sintflut sür die Naturgeschichte ergehen?

Lsans Herrig.

Dem Tntgegenkommen des bserrn Lserausgebers, der
mir den Uorrekturabzug des Lsrrrigschen 2lussatzes
zu schicken die Güte hatte, verdanke ich die N'löglich-
keit, sosort einige IVorte daranzuschließen. Zch war
im Zweisel, ob ich sie nutzen sollte, denn so wenig
ich verstehe, warum mein Aussatz eine Trwiderung
von Seiten Lserrigs, gegen den meine Ausführungen
in keiner U?eise gerichtet waren, uach sich ziehen
mußte, so wenig bleibt mir aus diese Lrwideruug zu
sagen übrig. Zch habe nur einen warnungsrus
ausgestoßeu, den ich wiederhole, und glaube im Übrigen
rnit großer Dorsicht geurteilt^ zu haben. Die Nlängel
des ständigen Bühnenwesens habe ich nicht bestritten,
die Bedeutung der „Dolksbühne" nicht verkannt, ja
sogar zugegeben, in dieser Form könne vielleicht ein-
mal dem deutschen Drama eine neue Zukunst er-
blühen, und nur hinzugesügt, es sei wünschenswert,
derartige Festspiele vorderhand aus wenige Zentren
zu beschränken. Daß ich die Form des Dramas für
ungemein dehnbar halte — diese Ansicht habe ich
vielleicht in meinen dramaturgischen werken genug-
sam dargethan und begründet, und einer Berufung
aus starre Dogmen, einer dramaturgischen Zunft-
philisterei wird mich gewiß Niemand anschuldigen
können. Nachdrücklich aber behaupte ich noch einmal,
daß bei ungenügender Überwachung der Festspielkultus
der Bühne und dem Drama schweren Schaden zu-
fügen kann, und der einzige wirkliche Linwand Herrigs
dürste der sein, daß ich diese Folgen überschätze.
Dielleicht. N)er aber, wie ich, mehr als sünfzig
Dramen jährlich in Druck oder Nlauuskript zur Durch-
sicht erhält und weiß, daß die meisten „Dramatiker"
genug gethan zu haben glauben, wenn sie nur in
dialogischen und szenischen Formen schreiben, der dars
nicht wünschen, daß sich den Talenten eine neue
Nerlockung bietet, sich sern von der mühsam erst er-


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