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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 14
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0194

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Lenz da wegen Rochberg. Reine Trauer des Lebens".
So geht es viele Seiten fort. Später bediente sich
Goethe größerer Gothaischer Ralender, denen er
Blätter einhestete, zuletzt großer Foliohefte, von denen
ost § aus einem Iahre vorliegen. Die interessantesten
Dinge sind also noch zu erwarten. — von den Briefen
liegen die beiden ersten Bände vor. Sie enthalten
in chronologischer Reihensolge alle vorhandenen Briese
Goethes von seiner Studentenzeit an bis zu seinem
Lintritt in weimar. Welch ein befreiender, verjüngen-
der ^auch weht uns aus diesen Zeilen entgegen, in
denen der herrliche Iüngling ganz sich selbst gibt!
Und welch ein Uontrast mit dem weisheits- und hoheits-
vollen steisen Stile der alten Lxzellenz! — Von den
später erscheinenden Bänden werden — so heißt es
— die in großer Dollzähligkeit erhaltenen Briefe an
Thristiane Dulpius besonderes Interesse erregen. Sie
sollen ein völlig neues und zutresfenderes Bild von
Goethes Lhe und Lsäuslichkeit, sowie vom Lharakter
seiner Fran zu entwersen geeignet sein.

Alles in Allem werden Briese und Tagebücher
zusammen einen tiefen Linblick in die Gedankenwelt
eines der mächtigsten Geister, die se gelebt, erschließen.
„Ls gibt sast keinen geistigen jDunkt außerhalb Goethes,
der nicht, wenn wir eine Ame Zwischen Goethe und
ihm zögen, das Schauspiel einer Lntwickelung böte.
was an Begriffen und Thatsachen unsere welt er-
süllt, hat in Goethe seine Geschichte gehabt. Ls ist,
als habe seinem Geiste nichts begegnen können, das
nicht einen sesten j)latz darin erhalten hätte, um wie
eine in den ihrer Natur am meisten zusagenden Boden
versetzte Manze sich in gesteigertem lVachstum weiter
zu ergehn." — „Mir ist das unerwartete Ansblühn
der Goethegesellschast nicht blos ein Zeichen der Huldig-
ung gegen unsern größten Dichter, sondern auch der
Ausdruck eines in Deutschland lebendig werdenden
Willens, Goethe als urteilende Rraft wieder in Be-
trieb zu setzen." — „Unsere Aufgabe wird sein, den
Geist Goethes dem Volke in höherem Nkaße noch zu
vermitteln, als bisher geschah; ihn voll in den Dienst
unserer Zeit zu stellen." So sprach Hermann Grimm
in seiner Rede bei der ersten Generaloersammlung der
Goethegesellschast. Sollte die neue Ausgabe dazu bei-
tragen, diesen j?rinzipien zum Siege zu verhelsen, wir
Deutsche könnten uns wahrhastig beglückwünschen.
Leider ist die bisherige Goetheforschung nicht sehr da-
nach angethan, dergleichen Lsoffnungen zu krästigen.
Ls ist charakteristisch, daß derselbe Hermann Grimm
in seinem vorwort über die Briefe und Tagebücher
nur zu beinerken hat: „Zn Zukunst wird Zeder nun
leicht wissen, wie einer der größten Männer Deutsch-
lands von Tage zu Tage gelebt hat." wozu das
eigentlich? Zst ein tieferes verständnis seiner werke,
ein liebevolles Lrfassen seines geistigen Seins nicht
unendlich wertvoller, als eine minutiöse Renntnis seines
äußeren Thuns und Treibens? Aber um Äußerlich-
keiten scheint es sich beim Goethestudium ja fast aus-
schließlich zu handeln, um Äußerlichkeiten bei der
Schilderung seines Lebens, um Äußerlichkeiten bei der
Znterpretation seiner werke. Da wird jede siüchtige
Lserzensregung des alternden Dichters rücksichtslos
aufgespürt und ausgebauscht, jede Rlatscherei am Wei-
marer L^ose geschästig nacherzählt, jedes sür die
Gffentlichkeit noch so gleichgiltige und ungeeignete

-^

Lreignis seines privatlebens ernsthast untersucht und
historisch festgenagelt. Und vollends die Znterpretation
seiner werke! Statt einer lebensvollen Auffassung,
eines kongenialen verständnisses — philologische ^aar-
spaltereien und pedantische Untersuchungen über Ort,
Zeit und Lntstehungsweise jeder Dichtung. Uns er-
scheint die Uleinung, es sei die Renntnis der äußeren
veranlassung eines Gedichtes zu seiner tieferen Auf-
sassung erforderlich, ebenso thöricht, wie etwa die An-
nahme, man müsse zum vollen Verständnis der New-
tonschen Gravitationstheorie zuvor die bekannte Anek-
dote vom sallenden Apfel kennen gelernt haben. Rann
aber die unbedeutendste Begebenheit in der jDhantasie
eines wahren Dichters Reime zu den bedeutungs-
vollsten poetischen Thaten erzeugen, so heißt, ein Ge-
dicht unter dem Gesichtspunkt seines Lntstehungsanlasse»
betrachten, sein verständnis nicht erweitern, sondern
einschränken. Daß diese Art der Goetheforschung jetzt
nach Lrschließung der Tagebücher und Briefe noch
üppiger ins Rraut schießen werde, ist unzweiselhast.
„Der Zustand der voritalienischen Tagebücher Goethes
mit ihren massenhaften oft nur unsicher auszulösenden
Abkürzungen ließ es den Nedaktoren rätlich erscheinen,
einen möglichst genauen Nohdruck der vielfach sehr
unleserlichen Lsandschriften zu bieten, alle Abbrevia-
turen, alle thüringer rc. ^chreibungen, die verschiedener
Znterpretation Naum gebende lässige Znterpunktion
und sonstige Flüchtigkeiten zu wahren und so der
Forschung gleichsam ein Facsimile vorzulegen." Melch
eine Fülle von Aufgaben erschließt sich hier dem Blicke
des Forschers! wie werden sie wühlen und scharren,
wie werden sie deuteln und herumklauben, die kleinen
Seelen an den flüchtigen Notizen des großen Nlannes!
Zhr j)rivatvergnügen, das wertvolle Nkaterial zu einer
idealen würdigung Goethes, wie sie Lsermann Grimm
in seiner Nede vorschwebt und wie etwa Goethe eine
von lVinkelmann geliesert hat, durch Ablagerung
biographischen Schuttes zu verdecken, wird ihnen Nie-
mand stören. Nlag aber eine solche Thätigkeit mit
einem Auswande von noch so geschultem Scharfsinn
und reichen philologischen Renntnissen, mag sie von
noch so gelehrten und titulierten j)rofessoren unter-
nommen werden: den Namen einer ernsthaften wissen-
schast, wie sie beansprucht, verdient sie nicht.

Für all diese Zrrungen der Goethegelehrsamkeit
sind allerdings die Lserausgeber unserer neuen Aus-
gabe nicht verantwortlich. ZVenden wir uns lieber
zu dem, was sie selber bei der Nedaktion der eigent-
lichen werke Goethes geleistet haben. Lrschienen sind
bisher nur der t. und Band der ganzen Samm-
lung: der t. Band der Gedichte und Faust, erster
Teil. Beide Bände sind mit großen, beinahe ein
viertel ihres Znhalts süllenden „kritischen Apparaten"
— die Lesarten enthaltend — versehen. Der erste
enthält außerdem das schon erwähnte, ziemlich nichtr-
sagende vorwort Lsermann Grimms mit Daten aus
der Geschichte des Goetheschen Nachlasses und der
Goethegesellschast, sowie einen technischen vorbericht
von Bernhard Suphan. Daß der Text in muster-
giltiger Reinheit vorliegt, daß von allen vorhandenen
Varianten mit größter Gewissenhaftigkeit die am
meisten verbürgte ausgewählt worden, dafür stehen
die hochangesehenen Namen der gelehrten Heraur-
geber. Freilich will uns bedünken, als hätte die
 
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