! wert des lyrischen Gedichts bestimme. Der Grund-
irrtum solcher Meinung, so führt Schack aus, liegt in
dem Mißverständnis des wortes „singen". „Mit
Necht heißt der Lxriker ein ,Säuger^, nnt Recht wer-
den seine Gedichte auch .Gesänge' genannt" — aber
nicht ein Singen im Sinne derMusik bezeichnet hier
der Ausdruck, sondern nur „das melodische Ausströmen
der Gefühle, den vollen inneren Brustton; nach diesem
bestimmt sich der wert eines lyrischen Gedichts. s)hn
hat Schiller, ihn hat viktor ksugo in den besten seiner
Oden in unendlich höherem Grade, als zahllose ver-
fasser beliebter ,sangbarer< Lieder, und jene sind da-
her unermeßlich viel größere tzchriker, als diese". Die
völlige Unrichtigkeit der Ansicht, daß die Lyrik an die
Musik gebunden sei, beweist dem Öerfasser schon die
bekannte Thatsache, daß erbärmliche Neimereien durch
herrliche Rompositionen zu hinreißender Wirkung er-
hoben werden können, während andererseits gerade
vollendet schöne lyrische Dichtungen sehr oft der Musik
gegenüber höchst spröde sind, wie denn „eine ganze
Reihe gerade der wundervollsten Goetheschen Lieder,
z. B. >an den wlond', ,Auf dem Sees ,Trost in Träneiü,
,<Ls schlug mein Herz', kaum je gesungen werden und
auch, wie es scheiut, die Wusiker nicht besonders her-
ausgefordert haben, daß jedoch Aeiner das bedauert
oder an den Dichtungen etwas vermißt." „wenn
man die Sammluugeu von Lieder-Kompositionen unserer
guten Alusiker mustert, findet man darunter eine un-
geheure wehrzahl, welche sehr geringfügige Texte bei
oft hinreißend schöner Melodie haben und wegen
letzterer in Aller wlunde leben; ist es nun da nicht
absurd, es den Dichtern als ein hohes Ziel ihres
Strebeus vorzuhalten, daß sie ,sangbare< Gedichte ab-
fassen? Zst es nicht das äußerste Maß von Unge-
reimtheit, in der Saugbarkeit überhaupt eine Voll-
kommenheit zu suchen, da dieselbe, wie die Trfahrung
zeigt, nichts mit der poetischen vortrefflichkeit zu thun
hat? weuu die s)rodukte miserabler versschmiede
schön gesungen und in schönen Nlelodien gleich großen
und verdienten Beifall finden, wie die köstlichsten
Lieder von Goethe oder Uhland, ja nicht selten vor
ihnen den j?reis gewinnen, so kann es nur für etwas
völlig Akzidentelles, mit dem wert eines Versstückes
in keinerlei Verbindung Stehendes gehalten werden,
daß dasselbe sich für den musikalischen Satz eignet
oder nicht. Za, wenn man bedenkt, daß die matten
Neimereien von cL oder b) einen wahren Wettstreit
unter den Uomponisten erregt haben, während,Füllest
wieder Busch und Tal' von den Letzteren bei Seite
liegen gelassen ist, so möchte man annehmen, Sang-
barkeit sei weit öfter eine Tigenschaft der Uttttel-
mäßigkeit, als der vortrefflichkeit."
Zur Beleuchtung jenes Zrrtums, der das, was
man in der s)oesie „Lieder" nennt („kleine stimmungs-
volle Gedichte von melodiöser Form") als die einzige
echte Lvrik hinstellen will, zieht Schack im Uerlaufe
abermals die Wusik heran. „wie es von einer sehr
unausgebildeten Tmpfänglichkeit für das Schöne zeugt,
nur für kleine melodische F»ätze (die dem „Liede" in
der jDoesie entsprechen) Sinn zu haben, so steht auch
derjenige auf einer sehr untergeordneten F-tufe des
Geschmacks, der in dem Liede die höchste oder gar
einzige Gattung des lxrischen Gedichts findet." Nach
der gekennzeichneten Doktrin „hätte die lxrische jDoesie
erst im vorigen Zahrhundert und zwar blos in
Deutschland begonnen; denn von dem, was man
heute in so engherziger weise allein als lxrisch gelten
lassen will, finden sich in früherer Zeit und in andern
Ländern, abgesehen von der Volkspoesie, nur ganz
vereinzelte Spuren." ^chack schildert einige Folgen
der angegriffenen Doktrin: die Lündflut wässriger
Neimereien in Deutschland („eine Überschwemmung,
mit welcher sich nur die Sonettenflut in Ztalien
während des sechszehnten Zahrhunderts vergleichen
läßt"), den unberechtigten Rampf gegen die Gedanken-
poesie (unberechtigt gegen die echte nämlich, d. h.
die, welche den Gedanken mit lebendiger Lmpfindung
durchwärmt), die unglückselige „Zmitation von volks-
liedern" mit ihrer absichtsvollen und unwahren Rün-
stelei, und die wunderliche Anschauung, daß die
„ssopularität" eines Gedichtes einen Ntaßstab für
seine Schätzung gäbe. wäre das richtig, sagt Schack,
so müßte man auch die auf den Drehorgeln gespielten
Gassenhauer höher stellen, als die Kompositionen
eines Gluck und Beethoven. Zum Schluß seines
ziemlich umfangreichen Aufsatzes spricht der verfasser
die Hoffnung, aus, daß die besprochene Theorie „wie
so viele eitle s)hrasen der sshilosophie bald in ver-
gessenheit geraten werde. Da jedoch leider oft eine
Verkehrtheit die andere ablöst, so muß man fürchten,
daß dann ein neues Stichwort aufkommen nnd nicht
allein die schlechten jetzt unsern j?arnaß überschwem-
menden auf den Gesang berechneten Lieder, sondern
auch die guten und vortrefflichen darunter den weg-
werfenden Namen ,5ingsanch erhalten werden."
» /Darla Zanitscbek.* „rmr ist rreil wieder-
fahren: ich kann mit diesem Buche Dichtungen anzeigen,
die ich mit bestem Gewissen bedeutend nennen darf.
Nlaria Zanitscheks ,Legenden und Geschichten' ragen
hoch aus der Flachheit unserer Durchschnittspoeterei
empor und werden so gewiß noch Leser finden, wann
unsere Nloderitter von der Feder vergessen sind, wie
sie vorläufig sehr wenige Leser finden werden.
Denn diese Dichterin gehört nicht zu denen, die
uns munter ihre klingelnden verslein vorträllern, bis
es in uns leise zu summen und zu dämmern beginnt
— ungefähr wie in einem müden wanderer, den
Waldvogelgezwitscher behaglich einschläfert. Nlaria
Zanitschek ist so unbescheiden, den ganzen Nlenschen
zum Zuhörer zu verlangen, nicht nur seine Ohren.
Und nicht nur zum Zuhörer, sondern sogar zum Nttt-
arbeiter, denn unsre f)hantasie muß ihre Flügel wacker
regen, will sie zu den bsöhen hinauffliegen, auf welche
die Dichterin sie ruft.
Außerdem müssen die Leser dieser j?oesie gebildet
sein durch ein kräftiges Denken. Stände nicht jener
Name auf dem Titel des Buchs, und spräche nicht
diese und jene Rleinigkeit dem aufmerksam Lesenden
von der Feder einer Frau, und einer jungen Frau
— man würde kaum glauben, daß Gestaltungen von
solcher gedanklichen wucht einem weiblichen Gehirne
entsprungen seien. «Lin Gutes ift, daß wir trotzdem
* Da nns die Anfnahme von Rritiken inöglichst vieler
nener werke weder (im ksinblick anf dcn knappen Raum)
möglich wäre, nach auch, wäre sie möglich, zweckmäßig er-
schiene, so werden wir in Znknnft häufiger knrze Beiträge
über einzelne Dichter-, Musiker- und Rünstlerg estalt e n
bringen, oder doch Beleuchtungen einer wichtigen Seite ihres
Schaffens. ' R.-L.
ls
irrtum solcher Meinung, so führt Schack aus, liegt in
dem Mißverständnis des wortes „singen". „Mit
Necht heißt der Lxriker ein ,Säuger^, nnt Recht wer-
den seine Gedichte auch .Gesänge' genannt" — aber
nicht ein Singen im Sinne derMusik bezeichnet hier
der Ausdruck, sondern nur „das melodische Ausströmen
der Gefühle, den vollen inneren Brustton; nach diesem
bestimmt sich der wert eines lyrischen Gedichts. s)hn
hat Schiller, ihn hat viktor ksugo in den besten seiner
Oden in unendlich höherem Grade, als zahllose ver-
fasser beliebter ,sangbarer< Lieder, und jene sind da-
her unermeßlich viel größere tzchriker, als diese". Die
völlige Unrichtigkeit der Ansicht, daß die Lyrik an die
Musik gebunden sei, beweist dem Öerfasser schon die
bekannte Thatsache, daß erbärmliche Neimereien durch
herrliche Rompositionen zu hinreißender Wirkung er-
hoben werden können, während andererseits gerade
vollendet schöne lyrische Dichtungen sehr oft der Musik
gegenüber höchst spröde sind, wie denn „eine ganze
Reihe gerade der wundervollsten Goetheschen Lieder,
z. B. >an den wlond', ,Auf dem Sees ,Trost in Träneiü,
,<Ls schlug mein Herz', kaum je gesungen werden und
auch, wie es scheiut, die Wusiker nicht besonders her-
ausgefordert haben, daß jedoch Aeiner das bedauert
oder an den Dichtungen etwas vermißt." „wenn
man die Sammluugeu von Lieder-Kompositionen unserer
guten Alusiker mustert, findet man darunter eine un-
geheure wehrzahl, welche sehr geringfügige Texte bei
oft hinreißend schöner Melodie haben und wegen
letzterer in Aller wlunde leben; ist es nun da nicht
absurd, es den Dichtern als ein hohes Ziel ihres
Strebeus vorzuhalten, daß sie ,sangbare< Gedichte ab-
fassen? Zst es nicht das äußerste Maß von Unge-
reimtheit, in der Saugbarkeit überhaupt eine Voll-
kommenheit zu suchen, da dieselbe, wie die Trfahrung
zeigt, nichts mit der poetischen vortrefflichkeit zu thun
hat? weuu die s)rodukte miserabler versschmiede
schön gesungen und in schönen Nlelodien gleich großen
und verdienten Beifall finden, wie die köstlichsten
Lieder von Goethe oder Uhland, ja nicht selten vor
ihnen den j?reis gewinnen, so kann es nur für etwas
völlig Akzidentelles, mit dem wert eines Versstückes
in keinerlei Verbindung Stehendes gehalten werden,
daß dasselbe sich für den musikalischen Satz eignet
oder nicht. Za, wenn man bedenkt, daß die matten
Neimereien von cL oder b) einen wahren Wettstreit
unter den Uomponisten erregt haben, während,Füllest
wieder Busch und Tal' von den Letzteren bei Seite
liegen gelassen ist, so möchte man annehmen, Sang-
barkeit sei weit öfter eine Tigenschaft der Uttttel-
mäßigkeit, als der vortrefflichkeit."
Zur Beleuchtung jenes Zrrtums, der das, was
man in der s)oesie „Lieder" nennt („kleine stimmungs-
volle Gedichte von melodiöser Form") als die einzige
echte Lvrik hinstellen will, zieht Schack im Uerlaufe
abermals die Wusik heran. „wie es von einer sehr
unausgebildeten Tmpfänglichkeit für das Schöne zeugt,
nur für kleine melodische F»ätze (die dem „Liede" in
der jDoesie entsprechen) Sinn zu haben, so steht auch
derjenige auf einer sehr untergeordneten F-tufe des
Geschmacks, der in dem Liede die höchste oder gar
einzige Gattung des lxrischen Gedichts findet." Nach
der gekennzeichneten Doktrin „hätte die lxrische jDoesie
erst im vorigen Zahrhundert und zwar blos in
Deutschland begonnen; denn von dem, was man
heute in so engherziger weise allein als lxrisch gelten
lassen will, finden sich in früherer Zeit und in andern
Ländern, abgesehen von der Volkspoesie, nur ganz
vereinzelte Spuren." ^chack schildert einige Folgen
der angegriffenen Doktrin: die Lündflut wässriger
Neimereien in Deutschland („eine Überschwemmung,
mit welcher sich nur die Sonettenflut in Ztalien
während des sechszehnten Zahrhunderts vergleichen
läßt"), den unberechtigten Rampf gegen die Gedanken-
poesie (unberechtigt gegen die echte nämlich, d. h.
die, welche den Gedanken mit lebendiger Lmpfindung
durchwärmt), die unglückselige „Zmitation von volks-
liedern" mit ihrer absichtsvollen und unwahren Rün-
stelei, und die wunderliche Anschauung, daß die
„ssopularität" eines Gedichtes einen Ntaßstab für
seine Schätzung gäbe. wäre das richtig, sagt Schack,
so müßte man auch die auf den Drehorgeln gespielten
Gassenhauer höher stellen, als die Kompositionen
eines Gluck und Beethoven. Zum Schluß seines
ziemlich umfangreichen Aufsatzes spricht der verfasser
die Hoffnung, aus, daß die besprochene Theorie „wie
so viele eitle s)hrasen der sshilosophie bald in ver-
gessenheit geraten werde. Da jedoch leider oft eine
Verkehrtheit die andere ablöst, so muß man fürchten,
daß dann ein neues Stichwort aufkommen nnd nicht
allein die schlechten jetzt unsern j?arnaß überschwem-
menden auf den Gesang berechneten Lieder, sondern
auch die guten und vortrefflichen darunter den weg-
werfenden Namen ,5ingsanch erhalten werden."
» /Darla Zanitscbek.* „rmr ist rreil wieder-
fahren: ich kann mit diesem Buche Dichtungen anzeigen,
die ich mit bestem Gewissen bedeutend nennen darf.
Nlaria Zanitscheks ,Legenden und Geschichten' ragen
hoch aus der Flachheit unserer Durchschnittspoeterei
empor und werden so gewiß noch Leser finden, wann
unsere Nloderitter von der Feder vergessen sind, wie
sie vorläufig sehr wenige Leser finden werden.
Denn diese Dichterin gehört nicht zu denen, die
uns munter ihre klingelnden verslein vorträllern, bis
es in uns leise zu summen und zu dämmern beginnt
— ungefähr wie in einem müden wanderer, den
Waldvogelgezwitscher behaglich einschläfert. Nlaria
Zanitschek ist so unbescheiden, den ganzen Nlenschen
zum Zuhörer zu verlangen, nicht nur seine Ohren.
Und nicht nur zum Zuhörer, sondern sogar zum Nttt-
arbeiter, denn unsre f)hantasie muß ihre Flügel wacker
regen, will sie zu den bsöhen hinauffliegen, auf welche
die Dichterin sie ruft.
Außerdem müssen die Leser dieser j?oesie gebildet
sein durch ein kräftiges Denken. Stände nicht jener
Name auf dem Titel des Buchs, und spräche nicht
diese und jene Rleinigkeit dem aufmerksam Lesenden
von der Feder einer Frau, und einer jungen Frau
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solcher gedanklichen wucht einem weiblichen Gehirne
entsprungen seien. «Lin Gutes ift, daß wir trotzdem
* Da nns die Anfnahme von Rritiken inöglichst vieler
nener werke weder (im ksinblick anf dcn knappen Raum)
möglich wäre, nach auch, wäre sie möglich, zweckmäßig er-
schiene, so werden wir in Znknnft häufiger knrze Beiträge
über einzelne Dichter-, Musiker- und Rünstlerg estalt e n
bringen, oder doch Beleuchtungen einer wichtigen Seite ihres
Schaffens. ' R.-L.
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