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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 24
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0357

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der vergangenheit" zu werden. „Iene; Atudium er-
zieht den angehenden Rünstler zur Unselbständigkeih
verleitet ihu zur Verkennuug dessen, was die Aunst
unserer Tage gemäß der Uultur und der Anschauungen
der Gegenwart anders verlangt, als die Uunst irgend
einer früheren Tpoche. Die Gesahr der vorzeitigen
Uenntnis der Denkmäler aller möglichen Stilarten
liegt in der Vielseitigkeit derselben. Äe verwirren
durch die Übermeuge der aus ihuen sich erschließenden
verschiedenartigen !Notive. Und leicht genug kauu es
kommen, daß der angehende Uünstler daran verzagt,
auch wohl es uicht für uötig hält, ein eindringendes
wissen von all Diesem sich zu verschaffen, und so
eine nur oberflächliche Anschauung von vielerlei Vor-
bildern der alten Uunst erlangt, genug um seine
Griginalität zu trübeu und zu wenig, um ihm eine
stilgerechte anempfindeude Arbeit zu ermöglichen.
Dou da bis zum U)irken in der verfehlten Uichtung
des »Stilvollen« (vieler unserer »stilvollen« Aaffee- uud
Bierhäuser) ist nur ein kleiner Schritt. Schlägt aber
Iemand den entgegengesetzten weg ein, wird er
Lpezialist in der getreuen Nachahmung einer bestimmten
Stilgattung, so erweist er mit seinen Schöpfungen der
Aunst denselben Dienst, wie er ihn der Sprache er-
weisen würde, wollte er Dorschläge zur Linführuug
des Liateiuischen als Umgangssprache machen." Döring
ist der U'leinung, daß man den Aunstschüler anleiten
sollte, die Uunst der vergangenheit nicht sowohl zu be-
trachten, sofern sie über die Runstformen der verschiedenen
Zeiten belehrt, sondern vielmehr insofern sie Linblick
gewahrt in das Leben und Streben der alten Rünstler.
Niit andern U)orten: man sollte sich bemühen, ihm
das Geheimnis ergründen zu helfen, welchem die
großen Nleister früherer Iahrhunderte ihre Lrfolge
zu danken haben; und wie senes sich seinem forschen-
den Auge allmählich enthüllt, so sollte er die empfan-
gene Lehre behalten und nach zeitgemäßer Nlöglich-
keit desgleichen thun." Der Verfasser zählt nun auf,
was ihm die Art des Arbeiteus dec alten Nleister zu
keunzeichuen und für das Bewußtsein unserer Schüler
wichtig zu seiu scheint, und kommt dann zu Vergleichen
zwischen der alten und der modernen Runst. Auf
Lins, so meint er, würden wir fortan verzichten müssen:
auf den Stil. Dreierlei stellt sich seiner Lrlangung
in den N)eg. „Lrstens war er nie Frucht willkür-
licher Grfinduug, sondern er bildete sich in langer
Lntwickelung aus unbeholfenen Anfängen bis zur
höchsten Dollendung und wieder bis zur Lrschöpfuug
iu der Uebertreibung seiner ursprünglichen jDrinzipien.
wir aber stehen heute vor der Unmöglichkeit, an eine
der vergangenen Runstepochen stilistisch aufs Neue
eiuheitlich anzuknüpfeu." Das zweite Hindernis sei
„das moderne internationale Leben." „Ls stört die
stille Abgeschlossenheit, in der unsere Dorfahren auf-
wuchsen und erstarkten, es raubt die Unbefangeuheit.
<Ls erzeugt unerhörte, das natürliche Stilgefühl ver-
blendende technische Lsilfsmittel. <§s versetzt die Lremde
in die Heimat und die Lseimat in die Fremde. ll)as
nur einigermaßen gefällt, genügt, weil doch nur die
ll)enigsten Zeit und Neigung haben, sich viel darum
zu kümmern. <Ls birgt in sich das dritte Lsindernis,
das größte und unüberwindlichste für einen durch-
greifenden Anschluß an die vergangenheit, wie für
eine einheitliche äußere Gestaltung der gegenwärtigen

Runst aus sich selbst heraus": die nie früher so ge- >
kannte Hervorhebung des Nechtes der s)ersönlichkeit.
Trotz all dieser Bemerkungen sieht Döring (vielleicht
doch etwas unfolgerichtiger ll)eise) nicht trostlos in die
Zukunft. Zm „Streben nach Linheitlichkeit im Geiste"
sieht er für uusere Rünstler das llkittel, die Teilnahme
an ihrem Schaffen warm zu halten. „Auch die

Gegenwart hat ihren großen leitenden Gegenstand:
die ungefesselte Tntwicklung des indioiduellen Lebens
in allen seinen auf die Menschheit wie auf die Natur
gerichteten Besprechungen. Auf diesem Gebiete nicht
mühsam weitab Liegendes zu suchen, noch krampfhaft
Neues zu erklügeln, sondern das wichtige zu erfassen,
zu betrachten, wie es ist und geworden ist, seine
Gigenart zu verstehen und Audere verstehen zu lehren
und es darzustellen nicht mit roher Nealistik, noch mit
schwächlicher, für Frauenneroen berechneter Sentimen-
talität und Gedankenöde verhüllender kunstwissenschaft-
licher Gelehrsamkeit, sondern kraftooll, schön und be-
scheiden — das ist die Aufgabe des modernen
Rünstlers." Zn der oben angedeuteten ll)eise mit

dem Schaffen der alten llleister vertraut gemacht, .
geuauer eindringend in ihre ll)erke erst, wenn er
selbständig und damit fähig ist, Großes vom Ge-
ringen zu unterscheiden, wird der Runstjünger auch
von der Runstgeschichte gewinnen, daß er „allmählich
die Lcken und Ranten seines eigenen ll)esens herunter-
schleift, ohne doch an dessen Ursprünglichkeit Schaden
zu leiden."

* „Illnsere Vknrrkireben und das Bedürfnis
der Zeit" bespricht Fr. Schneider in der „Zeitschrift
f. christl. Runst" (5). Bei aller Anerkennung für
viele Rirchenbauten der Gegenwart findet er doch
zumal bei den Pfarrkirchen „eine auffallende Unsicher-
heit in der Behandlung der grundlegenden Fragen"
beziehentlich der Naumverteilung oder gar „zweck-
widrige Anordnungen, die aus der äußerlichen Über-
tragung architektonischer Schablonen" herrühren. „So
gilt es für viele als ganz selbstverständlich, daß eine
größere scharrkirche nicht anders als dreischiffig dürfe
angelegt sein. F>tarkvortretendes Guerschiff erscheint
ebenso als notwendige Bedingnis. Dies und noch
gar manches beweist aber nur, wie wenig man sich
mit dem wirklichen Bedürfnis vertraut gemacht und
die Uüttel erwogen hat, welche im gegebenen Fall
thatsächlich dem Zwecke dienen." Lchneider ent-
wickelt nun die Bedürfnisse einer j)farrkirche unserer
Zeit, die sich zum Teile nicht mit denen der Ver-
gangenheit deckten. <Lr fordert gleichzeitige und
gleichwertige Unterbringung der Besucher mit Lin-
schluß der schulpflichtigen Rinder und besonders „un-
gehinderte Beziehung zum Altar aus Gründen der
guten Grdnung und zur Lrweckung der Andacht."
„Aus diesen Gründen ist das ^xchiff der Rirche als
einheitlicher, gleichmäßig zu übersehender Naum an-
zuordnen." Die Seitenschiffe, von denen aus man
den Altar nicht sehen kann, bleiben eben deshalb zu-
meist „tote Näume" — was, wie ein Blick auf die
meisten Neubauten und Ronkurrenzausschreiben be-
wiese, fast ganz übersehen wird. „Die vorzüglichste
Lösung dürfte in einer Halle gefunden werden, an
deren Seiten innerhalb der hereingezogenen Streben
Rapellen angelegt sind. Damit ist der jDrivatandacht
ihr Recht gewahrt. ll)ie vieler Rirchen alter Zeit


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