Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
No. 181 - No. 190 (3. August - 14. August)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44142#0145

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

*---»
Abonnementspreis r
mit 8scitigcm tllustrirtem Sonutagsblatt. monatlich
35 Pfennig frei in's Haus, durch die Post bezogen
vierteljährlich 80 Pfennig ohne Bestellgeld.
«-—4 t
Expedition: Kcruptstrcrße Wr. 26.

für Heidelberg und Umgegend
(Würger-Zeitung).

--——»
JnsertionöpreiS:
die lspaltige Petttzeile oder deren Raum 5 Pfg.,
für auswärtige Inserate 10 Pfg., bei öfterer Wieder-
holung entsprechender Rabatt-
j l-- -——H
Expedition: Knuptstraßs Wr. 26.

M 187.

verantwortlicher Redakteur:
bserm. Streich.

Donnerstag, den 18. August

Druck und Verlag:
Heckmann, Dörr L Wurm.

1893.

Zur gefl. Beachtung.
Nachdem mit Anfang dieser Woche die Gratis
verthcilung des
General -Anzeigers
für Heidelberg und Umgegend
in der Stadt Heidelberg eingestellt worden,
können wir unseren verehrl. Lesern die erfreuliche
Mittheilung machen, daß in der kurzen Zeit der
„General-Anzeiger für Heidelberg nnd
Umgegend" in der Stadt Heidelberg
rrnr über IZvOO Avsnnsnten

ZN<KSNS1N1NSN

Die Auflage beträgt auch in Zukunft

8588 Exemplare
(größte Auflage aller hier erscheinenden Blätter),

da nunmehr der „Ge
Heidelberg und Umgegend
Dossenheim,
Gppelheim,
Handschuhsheim,
Kirchheim,
Leimen,
Neckargemünd,
Nußloch,

er al-Anzeig er für
in den Orten
Plankstadt,
Rohrbach,
Sandhaufen,
Schriesheim,
St. Ilgen,
Wieblingen,
Ziegelhäuser»,

von Kcrus ZU Kcrus

vertheilt wird.
Inserate
sind bei dieser großen und dichten Verbreitung
unseres Blattes von sicherem Erfolg begleitet, weß-
halb wir dasselbe allen Geschäftsleuten, Pri-
vaten, Behörden, Vereinen u. s. w zur
zweckmäßigsten Verbreitung ihrer Ankündigungen
dringend empfehlen. Der
JnserLLouspreis
ist iu Anbetracht der großen Auflage und
der intensiven Verbreitung in der nächsten
Umgegend von Heidelberg der allerbilligste
und beträgt «av A H-fg. für die Zeile.
Die erfreuliche Tbatsache, daß unser Abonnenten-
stand in der Stadt Heidelberg iu nur Wenigen
Wochen eine so starke Zunahme erfahren
hat, gibt uns den deutlichsten Beweis dafür, daß
der „General-Anzeiger für Heidelberg
nnd Nmgegend" sich in allen Kreisen der
hiesigen Bevölkerung einer täglich Wachsenden
Beliebtheit zu erfreuen hat. Indem wir für
das uns allgemein zugewendete Interesse allen unseren
freundlichen Lesern und Leserinnen, sowie unseren
geschätzten Inserenten wärmsten Dank aussprechen,
verbinden wir damit die Bitte, uns das in so
reichem Maße geschenkte Wohlwohlen auch fernerhin
bewahren zu wollen.
Verlag des
Gener al - Anzeigen
für Heidelberg und Umgegend.

Die Frankfurter Finanzkonferenz.
Fürst Bismarck hat in seinen jüngst veröffent-
lichten Briefen an Leopold v. Gerlach die Zustände,
die seinerzeit in Frankfurt a. M. beim Bundestage
herrschten, ergötzlich geschildert. Wenn jetzt aber-
mals in der Eschenheimer Gasse eine Konferenz
von Abgesandten der deutschen Staaten zusammen-
tritt, wird man unwillkürlich wieder an jene Tage
erinnert, in denen sich Preußen und Oesterreich in
kleinlicher Eifersüchtelei in den Haaren lagen und
der Chorus der kleineren Staaten vollends den
Ausschlag gab im Sinne einer lahmen und un-
fähigen Politik.
Aber die Aehnlichkeit ist doch rein äußerlich.
Daß sich die Zeiten geändert haben, zeigt gerade
die Konferenz aufs deutlichste. Besonders sind die
Regierungen der Einzelstaaten fast ohne Ausnahme
von der Nothwendigkeit überzeugt, daß an der Ein-
heit und Festigkeit des Reiches nicht gerüttelt
werden darf. Zweifellos wird auch in Frankfurt
in weniger als einer Woche eine Einigung über die
Maßregeln zur Neichsfinanzreform erzielt werden.
Allein, abgesehen von diesem allgemeinen Ge-
sichtspunkte, stehen nicht wenige der Frankfurter
Konferenz mit gemischten Gefühlen gegenüber. An
sich ist die Deckung der Kosten für die Heeresver-
stärkung nöthig, nachdem die Vorlage selbst ein-
mal bewilligt ist. Mit Beiträgen der Einzelstaaten
kann auf die Dauer nicht in der bisherigen regel-
losen Weise weiter gewirthschaftet werden. Eine
finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Reiche
und den Einzelstaaten ist im beiderseitigen Interesse
erforderlich. Könnte dies ohne neue erhebliche
Kosten geschehen, die Reform wirkte wohlthätiger.
Die Finanzminister werden vermutblich zu den Vor-
schlägen Miquels schließlich Ja und Amen sagen
— wennschon es recht wünschenswert!) wäre, daß
sie jetzt eines Raths des Fürsten Bismarck gedächten
und scharf kritischen Blickes die präsentierten Steuer-
vorschläge prüften. In einer etwas peinlichen Lage
befindet sich der Reichsschatzsekretär Frhr. v.
Maltzahn. Er hat sein Abschiedsgesuch eingereicht,
als Graf Caprivi im Reichstage zwei von „drei B",
die Bier- und Branntweinsteuererhöhungen, von der
Steuerliste strich und der konservative Führer Frhr.
v. Manteuffel es gelassen aussprach: Herr von
Matzahn könne ja Herrn Miquel helfen. „Sehr
höflich! Sie lassen ja Ihre ehemaligen Fraktions-
genossen fallen!" rief Herr Rickert den Konservativen
zu. Frhr. v. Maltzahn führt nun den Vorsitz in
der Frankfurter Konferenz. Das ist ein Ehrenamt
ungefähr wie dasjenige des „Alterspräsidenten" im
Reichstage. Nach Vollzug der Präsidentenwahl
endigt die kurze Regierungszeit des Alterspräsidenten
und er besitzt fortan nicht mehr Befugnisse als ein
anderer Neichsbote. „Herr Miquel wird die Seele
der Zusammenkunft sein", versichert die Nationallib.
Korr., und sie kann es wissen.
Eines erscheint ziemlich sicher: daß die Folge
der „Reform im großen Stile" eine ebenso groß-
artige Vermehrung sein dürfte. Welche Kreise von
den neuen Steuern besonders betroffen werden, ist

noch durchaus ungewiß. Börsensteuer, Tabak-
fabrikatsteuer, Weinsteuer, Ouittungssteuer, Wehr-
steuer, Fahrkartensteuer, Totalisatorsteuer und noch
manche andere Entwürfe stehen auf dem Pro-
gramm. Aber während die Offiziösen geschäftig
Tag für Tag eine neue Steuer angepriesen, war
von der Aufhebung der „Liebesgabe" mindestens
für die Großbrenner mit keinem Worte die Rede,
blieb auch eine Neichseinkommensteuer aus der Er-
örterung gänzlich ausgeschieden, obgleich sie für die
Kostendeckung der Militärvorlage zuallererst in Be-
tracht kommen sollte.
Immerhin bringt die Frankfurter Konferenz
eine Klärung über den Weg, der eingeschlagen
werden soll. Man darf erwarten, daß die Ergeb-
nisse der Berathungen baldmöglichst zur Veröffent-
lichung gelangen, damit die einzelnen davon be-
troffenen Erwerbstände nicht länger durch Ungewiß-
heit in ihren geschäftlichen Verfügungen gehemmt
sind und gegebenenfalls entsprechende Maßregeln
treffen können. Das letzte Wort über die Pläne,
die in Frankfurt gefaßt werden, hat freilich noch
der Reichstag zu sprechen.
Deutsches Reich.
Berlin, 9. August.
— Die Aeußerungen des preußisch. Finanz-
ministers über die Börsensteuer werden unter-
richteterseits allgemein bestätigt. Wenn der Finanz-
minister auch nicht die Börsensteucr als die einzig
populäre Steuer bezeichnete, erklärte er sie doch bei
der gegenwärtigen Lage für unvermeidlich und ver-
sicherte, daß die verbündeten Regierungen bestrebt
sein würden, soweit wie irgend thunlich, eine
Form zu wählen, die in den soliden Verkehr mög-
lichst wenig störend eingreift.
— In einigen Zeitungen, wird mit mehr oder
weniger Sicherheit behauptet, daß infolge der
studentischen Vorgänge in Marburg und Königs-
berg von hiesigen maßgebenden Kreisen eine Be-
schränkung der akademischen Freiheit geplant werde.
Wenn nur auch diese Nachricht von vornherein für
unglaubwürdig hielten, so haben wir uns doch die
Mühe gegeben, zuverlässige Erkundigungen darüber
einzuziehen. Darnach die „K. Z." bestimmt ver-
sichert, daß das ganze Gerede aus der Luft ge-
griffen ist.
— Zur Frage der Tabakfabrikatsteuer
rechnet die „Südd. Tabakzeitung" heraus, daß der
finanzielle Effekt für die ersten zehn Jahre 59326976
Mark betragen würde. Jetzt werden aus dem Tabak
54 439 900 Mark erzielt. Die Tabakfabrikatsteucr
ergibt somit nur einen Mehrertrag von kaum 4
Millionen, die durch die Beamten, Inspektoren ec.
reichlich verbraucht würden. Für diesen geringen
Preis würde eine Industrie, von der 800 000 bis
900 000 Seelen leben, auf Jahre hinaus vernichtet,
mindestens 60 000 Arbeiter entlassen und Tausende
selbstständiger Eristenzen eristenzlos gemacht. Das
Blatt schlägt den Finanzministern vor, zu beschließen :
„Steuer und Zoll zu ermäßigen", wodurch neues
Leben in Handel und Wandel käme; oder: „Tie

Tabaksteuerfrage wird in diesem Jahrhundert eine
Prüfung nicht mehr unterzogen." Aus der Be-
folgung dieses Vorschlages würde aus dem Tabak
erheblich mehr von Jahr zu Jabr zu erzielen sein.
Zu einem dahinzielenden Beschluß müßten die
Finanzminister in Frankfurt auch kommen, wenn
die Triebfeder nicht sein sollte: durch die Fabrikat-
steuer zum Monopol zu gelangen.
— Mit der Vernehmung von Personen, die
an der Sonntagsruhe in Industrie und Hand-
werk interessirt sind, wird am nächsten Monat be-
gonnen werden. Die Erperten der Arbeitgeber in
den Erz- und Kohlengruben und in den Hütten-
werken sind auf den 20. September nach Berlin
berufen. Die Arbeiter derselben Berufszweige werden
durch die Gewerbeinspektoren vernommen.
— Die hiesigen Anarchisten bereiten Protest-
versammlungen vor gegen den Ausschluß ihrer Ge-
nossen von dem Züricher Kongreß.
Karlsruhe, 9. August. Die Nachricht von
der Auflösung des Landtags wird hier bezweifelt
weil die Ansicht vorherrscht, daß eine irgendwie
zutreffende Veranlassung zu einem solchen Schritte
weder aus der allgemeinen politischen Lage, noch
aus den Verhandlungen der letzten Kammertagung
hcrgeleitet werden kann.
Aus Vaden, 7. August. Der Verband der
badischen landwirthschaftlichen Konsumvereine,
welcher infolge der Futternoth von der Großherzog-
lichen Regierung mit der Beschaffung von Kraft-
futtermitteln betraut wurde, hat eine Zusammen-
stellung der von ihm bewirkten Ankäufe veröffentlicht.
Wir entnehmen derselben die nachstehenden An-
gaben : Futtermittel und zwar hauptsächlich Futter-
mais, Kleie und Reismehl, wurden angekauft
148 600 Zentner im Gesammtwerth von rund
950 000 Mk.; Streumittel: 80 000 Zentnern
Torfstreu, 400 Zentner Stroh; Sämereien: 460
Zentner Pferdezahnmais, 300 Ztr. Sandwicken,
300 Ztr. Wicken, 150 Ztr. Johannisroggen, 270
Ztr. sonstige Sämereien. Für die Bezahlung der
Futtermittel hat die großh. Regierung eine sechs-
monatliche Stundungsfrist bewilligt. Den Ankauf
von Heu hat das Ministerium des Innern, wie
bereits früher berichtet, selbst in die Hand genommen.
Nach neuerlichen Mittheilungen wird das Heu,
welches theils in Norddeutschland — besonders in
der Gegend von Tilsit —, theils in Oesterreich und
Rumänien angekauft wurde, zum Preise von 5 M.
50 Pfg. per Ztr. an die landwirthschaftlichen Be-
zirksvereine abgegeben; welcher Voltheil hiedurch
den Landwirthen erwächst, ergibt sich aus derThat-
sache, daß Gemeinden und Private bisher für das
von Händlern bezogene Heu 7—8 Mk. per Zentner
bezahlt haben.
Ausland.
Wien, 8. Aug. Die Meldung, es stehe un-
mittelbar die Aufhebung der Futtersperre bevor, ist
durchaus unbegründet und dürfte auf einem Börsen-
manöver beruhen.
London, 7. Aug. Die deutschen Kriegsschiffe
„Stein" und „Stosch" sind nach Berichten eng-

Gine dunkle HHcrt.
22) Roman von E. P. von Areg.

(Fortsetzung)
Anders war es mit dem Stationspersonale.
Der die Aufsicht führende Assistent als Vertreter
des Bahnhof-Inspektors allerdings vermochte keine
Aussage von Bedeutung zu machen; er war erst
kurze Zeit in Borkum und hatte, da er die An-
kommenden — abgereist war von Borkum mit
diesem Morgeuzuge niemand — nicht kannte,
diesen auch keine Aufmerksamkeit geschenkt, sondern
dieselbe auf das Eintreffen und den Abgang des
Zuges selbst gerichtet.
Aber außer ihm war ein zweiter Beamter
der Bahnverwaltung, ein älterer Mann, auf dem
Perron gewesen, der die Geschäfte des Portiers
versah und als solcher auch das Glockenzeichen für
die Abfahrten zu geben hatte. Er hatte bei seiner
Glocke gestanden, als der Zug eingelaufen war,
des Winkes des Assistenten gewärtig, den Glocken-
ruf zur Abfahrt erschallen zu lassen, und von
dieser Stelle aus hatte er gesehen, wie Wienbrand,
den er von seiner öfteren Anwesenheit auf dem
Bahnhofe dort sehr genau kannte, aus dem Wagen
gestiegen war und den Weg nach dem Dorfe ein-
geschlagen hatte. Die vier anderen Passagiere,
die gleichzeitig aber aus einem anderen Wagen
ausgestiegcn waren, hatten sich in den Wartesaal
begeben. Und aus diesem war in demselben
Augenblicke ein Mann herausgekommen, der schon
seit einer Viertelstunde etwa daselbst gewesen war

und ein Glas Branntwein genossen hatte. Er
habe angenommen, daß jener mit dem Zuge ab-
reisen werde, denn er habe ihn kurz vorher ge-
fragt, um welche Zeit derselbe durchginge und bei
der Gelegenheit habe er sich den Mann etwas ge-
nau betrachtet. Er sei von Mittelgröße, untersetzt
aber kräftig gebaut gewesen, in seinem Aeßeren
habe er einem Manne aus dem Arbeiterstande
geglichen. Sein Gesicht aber sei ihm ausgefallen,
dasselbe sei sehr unschön gewesen und habe sich
namentlich durch stark hervortretende Backenknochen
nnd kleine sonderbare Augen vor anderen ausge-
zeichnet, die sich nicht soweit geöffnet hätten, wie
die anderer gewöhnlicher Menschen hier zu Lande,
sondern nur eigenthümlich aus einem eng zusammen-
gezogenen Spalt hervorgeblitzt hätten. Zu seiner
Verwunderung sei übrigens der Mann nicht mit
dem Zuge weiter gefahren, sondern dem nach
Borkum hineingehenden Wienbrand nachgefolgt.
Ein Jrrthum in der Person sei hierbei ausge-
schlossen, denn einmal habe der Mann dicht an
ihm vorübergehen müssen, dann habe er ihn auf
seinem Wege auch eine Strecke mit den Augen
verfolgen können, obgleich der Morgen graute,
sei der Bahnhof und seine nächste Umgebung vor-
schriftsmäßig erleuchtet gewesen. Und dabei habe
er denn gesehen, daß der Fremde raschen Schrittes
dem Vsrausgehenden nachgesolgt sei und ihn auch
noch innerhalb des Lichtkreises erreicht und ihn
von hinten leicht mit der Hand auf die Schulter
geschlagen habe. Wienbrand habe sich umgesehen
und als dies geschehen, der Fremde laut aufge-
lacht, so laut, daß der Schall davon noch bis
zu ihm gedrungen. Dann seien sie miteinander

sortgegangen und im Morgengrauen ans dem
Wege nach Borkum verschwunden.
Das war eine Aussage von schwerwiegender
Bedeutung. Das Zusammentreffen fiel ungefähr
in dieselbe Stunde, in der nach Aussage des
ärztlichen Experten der Mord geschehen war, und
nach Lage der Sache hatte der Fremde hier auf
Wienbraud gewartet, vou dem er mit Bestimmt-
heit wußte, daß er kommen werde. Hatte jener
Unbekannte etwa in Borkum zu thun gehabt, was
hatte er alsdann am frühen Morgen auf dem
Bahnhofe daselbst zu schaffen und nach dem Durch-
gänge der Züge zu forschen? Uebrigens bestätigte
eine in allen Häusern Borkums — es waren
deren nicht allzuviele — von dem Orts-Gendarmen
gehaltene Umfrage, daß in keinem derselben an
dem in Frage kommenden Morgen ein Mann
gesehen worden war, auf den jene Personalbe-
schreibung paßte. So lag allerdings der Verdacht
sehr nahe, daß Wienbrand und der Fremde ihren
Weg zusammen fortgesetzt hatten, der für den
Ersteren nur noch einige Hundert Schritte bis zu
der Mordstelle betragen sollte. Es war also vor
allen Dingen dringend geboten, sich dieses Unbe-
kannten zu versichern, der um jenen noch immer
unaufgeklärten Vorgang nothwendiger Weise wissen
mußte: aber obgleich das Landgericht alle seine
verfügbaren Gendarmen auf die Spur setzte, so
verliefen doch die nächsten Wochen völlig resul-
tatlos; der Mann mit den vorstehenden Backen-
knochen und den geschlitzten 'Augen schien vorläufig
verschwunden.

Im Wienbrand'schen Hause verliefen diese
Wochen in stiller Trauer.
Doktor Schwanenfeld hatte in dem ersten ihm
günstig erscheinenden Moment damit begonnen,
Frau Wienbrand auf jenen schweren Schlag lang-
sam vorzu bereiten, die ihr glückliches Familien-
leben getroffen hatte. Ein Verschweigen des Todes
ihres Gatten selbst war sür die Dauer der Frau
gegenüber ja vollkommen ein Ding der Unmög-
lichkeit. Der Kommissionär blieb bei seinen Gc-
schäftsausflügcn selten länger als einen, höchstens
zwei Tage von Hause fort; es war also ganz
unvermeidlich, daß seine Frau in große Sorgen
gerathen mußte, wenn sein Fernbleiben sich auf
Wochen ausgedehnt Hütte. Schwanenfeld hatte
ihr deßhalb schon am nächsten Tage gesagt, daß
ihr Gatte unterwegs beim Verlassen des Eisen-
bahnwagens gestürzt sei und sich unbedenkliche
Verletzungen zugezogen habe. Sie hatte die Nach-
richt trotz ihres leidenden Zustandes mit größerer
Ruhe angehört, als der Arzt erwartet hatte.
Auf dieser Basis baute er weiter und so er-
fuhr die Frau nach und nach, daß sie Wittwe
geworden sei.
-i- -l-
Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen
und dem Doktor war in diesen letzten Wochen
ein noch intimeres geworden. Die Genesung
schritt langsam vorwärts, allein sie war nicht in
Abrede zu stellen.
Es mochten drei Wochen nach Wienbrands
Tode verflossen sein, als am späten Vormittag die
Magd zu Klara hereinkam, die am Krankenbetts
der Mutter saß, und ihr meldete, ein Herr sei
 
Annotationen