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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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2. Heft
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Gebhardt, Carl: Monticelli
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0083

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M0NTICELL1


Phantafie aber erobert [ich die Wirklichkeit, beherr[cht [ie durch die Macht des Geldes.
Es i[t die Zeit, in der die Rothfchiid ihre Dynaftie begründen, in der die Pereira jenen
gigantifchen Pian phanta[ieren, der ihnen um ein Haar die Finanzherr[cha[t der Wett
in die Hände gefpielt hätte. Und die Phanta[ie erobert die Politik. Es i[t die Zeit,
wo die Romane Ge[chichte machen und die Ge[chichte Roman wird. Louis Napoleons
Laufbahn beginnt wie ein Roman von Sue mit Straßburg, Boulogne und Ham —
Kotportage-Literatur, nicht Hiftorie. Ein unwahrfcheinhcher ZufaH reahfiert [ein Phan-
tafiegebilde — die Bourgeoifie braucht einen Retter gegen die rote Republik und macht
Ratapoil zum Kaifer, und aus dem Hintertreppenroman wird Weltgefchichte. Vom
Standpunkt des napoleonifchen Gedankens aus eine fchlechte Nachahmung: der phleg-
matifche Hohänder kann die Rotte des Korfen nicht fpieten und die phantafiegeborene
Macht wird Rom dienftbar. Aber [tets eine eigene Zeit mit eigener Sehnfucht, eigener
Erfüllung.
Das second empire ift keine fchöpferi[che Zeit, keine Zeit, die ihre innere Not-
wendigkeit zum tektonifchen Stit ausbilden konnte. Traum und Phantafie, das ift in
der Kunft Dekoration. Die Form ift alles, eine Form, in der die Phantafie fchwelgen
kann, prunkvoll, raufchend, fchillernd. Es ift, als ob diefe phantaftifch fchwindelhafte
Zeit ihre Wefenlofigkeit verhüllen wollte unter fchimmernde Mäntel.
Wie alle unfchöpferifchen, in der Phantafie lebenden Zeiten verzehrt [ich das
second empire im Frauenkult. Die Frau wird Sinn und Inhalt der Kultur, nicht in
ihrem wahren Wefen, in ihrer Würde, fondern die Frau als erotifches Idol. Frauen-
fchönheit beherrfcht diefe Gefellfchaft und es ift wie ein Symbol, da der Abenteurer
im Purpur die fah-

rende Frau mit der
Krone fchmückt.
Die Frankfur-
ter Kunfthandlung
S ch n e i d e r hat
eine auch in andern
Städten (München,
Berlin) gezeigte
Ausftellung von
Werken Monticellis
zufammengebracht,
durch die fie [ich
um die Kenntnis
franzöfifcher Kunft
in Deutfchland ein
wirklichesVerdienft
erworben hat. Sie
läßt die ganze Ent-
wicklung Monti-
cellis überfchauen.
Der Provence
kommt nach Paris
und wird Schüler
von Diaz, des-

MONTICELLI, Femmes ä la fontaine

jenigen unter den
Fontainebleauern,
der der Natur am
fernften und dem
Geift des second
empire am nächften
fteht. Ein paar
Nymphenbildchen
der Ausftellung, faft
ein wenig zu [ehr
geglättet, fprechen
von diefer Schu-
lung. Diaz hat
fchon in dem Schü-
ler den Überlegenen
empfunden und die
Nachwelt muß die
Selbftbefcheidung
diefes Urteils be-
beftätigen. Mon-
ticelli hat [ich rafch
befreit von allen
reproduktiven Ele-
menten der Diaz-
Schule. Er hat die

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