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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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16. Heft
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Rundschau - Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0620

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SAMMLUNGEN

Siegern fchenken. Es ift ein Giück, daß diefer
Befchluß nicht zur Ausführung gelangte.
Eugen Beauharnais, dem wir die Erwerbung
des Spofalizio verdanken, ift ais der eigentliche
Begründer der Brera-Galerie anzufehen, deren
Stiftung durch Dekret Napoleons vom 5. Februar
1808 befchloffen worden war. Schon 1805 wurden
zahlreiche Kirchen und Klöfter Oberitaliens, be-
sonders der Lombardei, aufgehoben und ihre
fchönften Kunftfchäl^e in der Brera vereinigt.
Nach der Schlacht bei Aufterliß und dem Frieden
zu Preßburg kamen Bilder aus Kirchen und
Klöftern Veneziens dazu. Die Räume des alten
Jefuitenklofters erwiefen fich bald als zu klein,
um all die Fülle des konfiszierten Kirchengutes
aufzunehmen. Man entfchloß fich dazu, die be-
nachbarte Kirche der Humiliaten einzuverleiben
und auszubauen. Die Arbeiten wurden in fieber-
hafter Eile betrieben; follte doch am 15. Auguft
1809, dem Geburtstage Napoleons, alles fertig
fein. Noch nach der feierlichen Eröffnung, die
pünktlich am 15. Auguft 1809 ftattfand, dauerten
die Raubzüge fort. Ferrara, Argenta, Faenza,
Forli, Ravenna wurden heimgefucht. Im Jahre
1811 bereiften die Kommiffare des Vizekönigs
Umbrien und die Marken und konfiszierten über
500 Bilder. Aus Urbino wurden Werke von
Francesco di Giorgio (die Kreuzabnahme mit
den Bildniffen Federigos von Montefeltre und
des kleinen Guidobaldo, jenes fpäter in die
Carminekirche in Venedig gelangte Bronzerelief),
von Giovanni Santi, Timoteo Viti, Federigo
Barocci und ein Hauptfttick des Piero della
Francesca, die Madonna aus San Bernandino,
gleichfalls mit den Bildniffen Federigos und
Guidobaldos, nach Mailand entführt. Selbft ent-
legene Gebirgsorte wurden von den Kommif-
faren des Vizekönigs ausgeplündert. So kam
aus dem Klofter des Val di Saffo in den Bergen
über Fabriano ein figniertes Bild Gentiles zum
Vorfchein, das fich die Kommiffare nicht ent-
gehen ließen. Keine Stadt Umbriens und der
Marken, faft kein Klofter und keine Kirche, die
damals verfchont worden wären!
Auf Ochfenkarren primitivfter Konftruktion in
Maffen aufgeftapelt und dem Regen ausgefeßt,
kam ein großer Teil der Bilder übel zugerichtet
nach wochenlanger Reife in Mailand an. Nicht
wenige Gemälde der Bera zeigen noch heute
fchwere Schäden, die auf jenen barbarifchen
Tranfport zurückzuführen find.
Der ungeheuren Bildermenge, die fich täglich
vermehrte, waren die Räume der Brera nicht
gewachfen. Man traf eine Auswahl des Wich-
tigften nach den Kriterien der damaligen Kunft-
wiffenfehaft und überwies einen großen Teil
den Kirchen der Lombardei, die darum erfuchten.

So kam es, daß vorzügliche Altarbilder, nament-
lich die großen Stücke, die weniger leicht in der
neuen Pinakothek untergebracht werden konnten,
fich noch heute in „Villeggiatura" befinden. Unter
der kurzen, aber glorreichen Direktion Corrado
Riccis find viele von ihnen zurückgezogen
worden. Andere, wie Timoteo Vitis Bild aus
San Vittore dell' Elmo und Luca Signorellis
Altarwerk aus Figino, kehrten fchon vor 20 Jahren
in die Brera zurück; ein nicht unbeträchtlicher
Teil aber führt noch heute ein weltvergeffenes
Dafein in kleinen, fchwer zugänglichen Land-
kirchen der Lombardei.
Auf die Franzofenzeit folgte eine Epoche der
Ruhe und des ftetigen, aber langfamen Aus-
baues der Galerie. Im Jahre 1812 wurden fünf
Bilder mit dem Louvre ausgetaufcht. Die Brera
gab die Madonna der Familie Cafio von Bol-
traffio her, ferner eine heilige Familie von Marco
d' Oggione, zwei Tafeln von Moretto, die Pre-
digt des S. Stefano von Carpaccio und erhielt
als Gegengabe das Bildnis der Schwefter Rem-
brandts, das Opfer Abraham von Jordaens, das
Bildnis der Amalie Solms, Prinzeffin von Orange
und die Madonna di S. Antonio von van Dyck.
Eine Erwerbung großen Stiles brachte das Jahr
1855 durch die Bilder des Sammlers Pietro Og-
gione. Werke Crivellis, Signorellis, Luinis, Tie-
polos und Guardis konnten der Galerie einge-
reiht werden. Dann fchenkte 1860 König Viktor
Emanuel II. drei prachtvolle Bildniffe Lorenzo
Lottos.
Eine neue Epoche in der Gefchidite der Brera
beginnt mit dem Jahre 1882. Damals wurde
die Pinakothek von der Akademie losgelöft,
selbftändig gemacht und die Direktion Giufeppe
Bertini übertragen. Ein ausgezeichneter Re-
ftaurator alter Gemälde, Luigi Cavenaghi, war
fein Helfer, und eine Anzahl wertvoller Stücke
wurden erworben, unter denen die Madonna
zwifchen den Heiligen Stephan und Bernhardin
von Butinone aus der Sammlung Caftelbarco
(1883 gekauft), ein prachtvolles männliches Bild-
nis von Torbido (1888), die Madonna mit dem
Kinde von Gaudenzio Ferrari und das rätfel-
hafte Novellenbild von Paris Bordone (beide
1890 von der Familie Prinetti überlaffen), die
Hauptftücke find. Es folgte 1891 die Erwerbung
der Madonna mit dem Kinde, der heiligen Klara
und einem Karthäufermönch von Borgognone
und die hübfehe Gruppe der Madonna und des
mit einem Lämmchen fpielenden Kindes von
Sodoma; 1893 die kraftvollen Heiligenfiguren
Francesco Coffas, die Seitentafeln eines Tripty-
chons, deffen Mittelftück nach London gekommen
ift und deffen Predella die Vatikanifdie Pina-
kothek bewahrt; 1897 das Fragment der beiden

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