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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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6. Heft
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Münsterberg, Oskar: Chinesische Kunst in Amerika, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0224

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waren Illuftrationen zu den gleichzeitigen
Balladen, Kriegs- und Jagdliedern, aber keine
Gemälde zu lgrifchen Gedichten. Hand-
lungen wurden in die Landfchaft verfemt,
doch vielleicht erft in der Sungzeit malte
man jene weiten, unendlichen Fernen mit
zarten Wolken und Bergen in Nebelfchleiern.
Erft damals entftand wahrfcheinlich die reine
Landfchaftsmalerei, die in Europa Jahrhun-
derte fpäter aufkam. An anderer Stelle
habe ich bereits darauf hingewiefen1, wie
diefe monochromen, phantaftifchen Berg-
land fchaften der Sungzeit einem Leonardo
da Vinci als Vorbild für den Hintergrund
auf der Gioconda und auf anderen Bildern
dienten. Jedenfalls ift eine Beftimmung der
Bilder nach Künftler und Zeit heute nicht
möglich.

Auf einem Gemälde der Freer-Sammlung
fällt der Blick zuerft auf fanft geneigte, aus
hellen Wolken hervorftrebende Bergfpijjen, die in Flächenmanier in fchwarzer Tufche
flott gemalt find. Dann wird die Aufmerkfamkeit des Befchauers auf die linke
untere Ecke gelenkt. Kiefernbäume, in zarter Strichelmanier ausgeführt, unterftütjt
von brauner und dunkelgrüner Farbe, bilden den lebendigen Gegenfajj zu den Bergen,
fowohl in der Technik als auch in der Linienführung. Weiter wandert das Auge
am unteren Rande des Bildes entlang. Ein niederes Dach zum Schujj für Waren ift
dort errichtet. Und dann, die Richtung verfolgend, fehen wir im Waffer ein langes
Boot mit zwei Ruderern, die die aufgefpeicherte Ware ans Land, unter das fchütjende Dach
bringen. So ift auch auf diefem Bilde eine Handlung zu einer ftimmungsvollen Land-
fchaft verwandelt. In der fachlich erzählenden Tangzeit hätte ficher das Boot mit den
Schiffern und der Speicher den Mittelpunkt des Bildes abgegeben, und die Landfchaft
wäre nur andeutungsweife hinzugefügt wenn fie überhaupt angebracht worden wäre.
Der Sungkunft entfprach es, die ganze Fläche des Bildes mit der Landfchaft ftimmungs-
voll auszufüllen und die Menfchenhandlung nur nebenfächlich in winzigen Dimenfionen
mehr anzudeuten als fachlich zu fchildern.

Wieder ein anderes Bild zeigt den Ausfchnitt aus einer Berg- und Wafferlandfchaft
mit über dem Waffer erbauten Häufern, die in ihrer Konftruktion an die Pfahlbauten
der Urzeit vom Bodenfee bis nach Auftralien erinnern. Derartige Bilder find uns aus
Japan zahlreich bekannt, aber nur wenige von fo feiner Durchführung. Auch hier ent-
deckt man erft bei genauem Hinfchauen ganz kleine Figuren auf der Brücke und dem
Landwege verteilt. Beherrfcht wird der Eindruck von dem Baumfchlage, der den ganzen
Raum füllt.

Sind die bisher aufgezählten Bilder im wefentlichen Hochbilder, fo will ich auch einige
Langbilder erwähnen, die mir befonders auffielen. Da ift eine 25 cm hohes Bildrolle

1 Münfterberg, Leonardo da Vinci und die chinefifdie Landfchaftsmalerei, Orientalifches Archiv,
1911, S. 92-100.

198

CHINESISCHE KUNST IN AMERIKA

flbb. 16a. Baudiiger Topf, Töpferei grün
glafiert, Han-Zeit Field Mufeum, Chicago
 
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