Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0021
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Heft 1
DOI article:Sydow, Eckart von: Erich Heckel als Graphiker, 1, Wesen
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Erid) F) eck ei als Graphiker
Von ECAT/t^r v. ^FDOtV
M/7 /<? äöA/77////o*c//
I. (üe[en
T^\aß ficß die fäcßfifcße Künftlergruppe der Kircßner, Scßmidt-Rottluff, üeckel, Pecß-
) ftein ufw. mit dem Namen der „Brücke" bezeicßnete, hat oft fcßon Kopffcßütteln
erregt. üätte es nicßt näßer geiegen, bei den Werken Schmidt-Rottluffs an den
dumpfdrößnenden Sturz des Stromes zu denken? oder bei Kirchners Dingen an die
ftürmifcßen Schwingen eines Adlers, der mit feiner Beute auffcßwebt? oder bei Noide
an die weithin wallende Flut des Weltmeers? Vielleicht kann man am elften bei
Fjeckel den ßiftorifcß nun einmal verwirklichten, gegebenen Namen begreifen. Denn
fieht man auf feine Werke, befchaut man feine grapßifcßen Arbeiten zumal, fo mag
man am eheften das Gefühl haben: auf die Oberfläche eines breiten Fluffes zu blicken.
Als feien feine Werke klug gefchliffene, feßr klare, reine Spiegel — fo wirken feine
beften Leitungen.
Kann man von einem Kunftwerk mehr verlangen? ift's nicht feine Aufgabe, feine
Funktion: der Wirklichkeit den untrüglichen Spiegel vorzuhalten? (mag fie fiel) bekehren,
wenn fie erfchrickt!). Vielleicht darf man noch andere Möglichkeiten des Künftlertums
erwägen. Gerade die Arbeiten der „Brücke" laden zu folcher Überlegung ein. Erbaut
fiel) nicht in Schmidt-Rottluffs Werk fchöpferifd), neu-fchöpferifch eine Phantafiewelt
eigenfter Geltung jenfeits der Wirklichkeit und abgetrennt von ihr wie durch luftleeren
Raum? Aus der Fülle gedrungenfter Eigenkraft erwächft hier in noch dumpfer, aber
gefättigter, überfättigter Luft feelifcher gufammengefchloffenßeit die ftarre, düftere, fetifcß-
hafte Geftalt der Dinge — noch das Geficht den inneren Triebkräften zugekehrt, in fid)
eingewandt, von willensmäßiger (üillenlofigkeit in fiel) zurückgehalten im Behälter
tranfzendentaler ürfprünglicßkeit, aus dem erft anteilnehmende Schmerzlichkeit und ent-
fet^tes Mitgefühl in feinen „Religiöfen Fjolzfcßnitten" den Weg zur Welthaftigkeit der
Wirklichkeit freimachten. — Oder denkt man an Kirchner: wie kühn hebt fiel) fein
Genius von der Gegebenheit hoch, zu fchrankenlofem Flug die Linien und Farben be-
geifernd — kosmifche Nervigkeit fchwingt im Gefieder feiner Ikarusfchwingen, Welt-
wind hebt ihn immer höher empor über die irdifche Wirklichkeit, in der (wie unter
leicht bewegter Maskenhaftigkeit) das Blut reinfter Subjektivität pulfiert.
Ganz anders Fjeckel! Die myftifcße Religiofität und Erdfremdheit Schmidt-Rottluffs
liegt ihm noch ferner wie die entrückte, gewichtslofe Flugkraft Kirchners. Die Erde ift
ihm lieb und der irdifche Körper ift ihm kein unerwünfeßtes Gefängnis. Alles kommt
ja darauf an, daß die Welt dureßgeiftigt werde — als Wegweifcr zum Geifte und als
fein Träger erkannt! Natürlich als fein untergeordneter Träger: alles, alles muß dureß-
ßutet fein von dem Strome der Geifigkeit. So handelt es fieß bei üeckel nicht meßr
um die robufte Vitalität van Gogßs und deffen plakatierter Körperlichkeit (wenn auch
ins Kosmifcße überflutender Körperlichkeit). Von früh an trennt ißn eine feßarfe Linie
von der van Gogh-Nacßfolge der anderen „Brücke"-Genoffenfcßaft. Von früh an rießtet
fiel) fein Sinnen auf Vergeiftigung der Wirklichkeit, oßne ißr eine Vergewaltigung auch
nur in der dgnamifeßen Überfteigerung zu teil werden zu laffen. Die Patßetik und
Energie der anderen mangelt diefem Künftler freilich nicht ganz und gar. Es entfteßen
unter der Botmäßigkeit des geitgeiftes Dinge von feßwer klingendem Rhythmus der
Linien und von gewalttätiger Kraft des Ausdrucks. Aber im allgemeinen ift doch
meßr die bewußte Feinfühligkeit und das Elaftifcße der Grazie das, was ißn und fein
Werk kennzeichnet.
Der Cicerone, XII!. )at)rg., Fjeft 1
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T^\aß ficß die fäcßfifcße Künftlergruppe der Kircßner, Scßmidt-Rottluff, üeckel, Pecß-
) ftein ufw. mit dem Namen der „Brücke" bezeicßnete, hat oft fcßon Kopffcßütteln
erregt. üätte es nicßt näßer geiegen, bei den Werken Schmidt-Rottluffs an den
dumpfdrößnenden Sturz des Stromes zu denken? oder bei Kirchners Dingen an die
ftürmifcßen Schwingen eines Adlers, der mit feiner Beute auffcßwebt? oder bei Noide
an die weithin wallende Flut des Weltmeers? Vielleicht kann man am elften bei
Fjeckel den ßiftorifcß nun einmal verwirklichten, gegebenen Namen begreifen. Denn
fieht man auf feine Werke, befchaut man feine grapßifcßen Arbeiten zumal, fo mag
man am eheften das Gefühl haben: auf die Oberfläche eines breiten Fluffes zu blicken.
Als feien feine Werke klug gefchliffene, feßr klare, reine Spiegel — fo wirken feine
beften Leitungen.
Kann man von einem Kunftwerk mehr verlangen? ift's nicht feine Aufgabe, feine
Funktion: der Wirklichkeit den untrüglichen Spiegel vorzuhalten? (mag fie fiel) bekehren,
wenn fie erfchrickt!). Vielleicht darf man noch andere Möglichkeiten des Künftlertums
erwägen. Gerade die Arbeiten der „Brücke" laden zu folcher Überlegung ein. Erbaut
fiel) nicht in Schmidt-Rottluffs Werk fchöpferifd), neu-fchöpferifch eine Phantafiewelt
eigenfter Geltung jenfeits der Wirklichkeit und abgetrennt von ihr wie durch luftleeren
Raum? Aus der Fülle gedrungenfter Eigenkraft erwächft hier in noch dumpfer, aber
gefättigter, überfättigter Luft feelifcher gufammengefchloffenßeit die ftarre, düftere, fetifcß-
hafte Geftalt der Dinge — noch das Geficht den inneren Triebkräften zugekehrt, in fid)
eingewandt, von willensmäßiger (üillenlofigkeit in fiel) zurückgehalten im Behälter
tranfzendentaler ürfprünglicßkeit, aus dem erft anteilnehmende Schmerzlichkeit und ent-
fet^tes Mitgefühl in feinen „Religiöfen Fjolzfcßnitten" den Weg zur Welthaftigkeit der
Wirklichkeit freimachten. — Oder denkt man an Kirchner: wie kühn hebt fiel) fein
Genius von der Gegebenheit hoch, zu fchrankenlofem Flug die Linien und Farben be-
geifernd — kosmifche Nervigkeit fchwingt im Gefieder feiner Ikarusfchwingen, Welt-
wind hebt ihn immer höher empor über die irdifche Wirklichkeit, in der (wie unter
leicht bewegter Maskenhaftigkeit) das Blut reinfter Subjektivität pulfiert.
Ganz anders Fjeckel! Die myftifcße Religiofität und Erdfremdheit Schmidt-Rottluffs
liegt ihm noch ferner wie die entrückte, gewichtslofe Flugkraft Kirchners. Die Erde ift
ihm lieb und der irdifche Körper ift ihm kein unerwünfeßtes Gefängnis. Alles kommt
ja darauf an, daß die Welt dureßgeiftigt werde — als Wegweifcr zum Geifte und als
fein Träger erkannt! Natürlich als fein untergeordneter Träger: alles, alles muß dureß-
ßutet fein von dem Strome der Geifigkeit. So handelt es fieß bei üeckel nicht meßr
um die robufte Vitalität van Gogßs und deffen plakatierter Körperlichkeit (wenn auch
ins Kosmifcße überflutender Körperlichkeit). Von früh an trennt ißn eine feßarfe Linie
von der van Gogh-Nacßfolge der anderen „Brücke"-Genoffenfcßaft. Von früh an rießtet
fiel) fein Sinnen auf Vergeiftigung der Wirklichkeit, oßne ißr eine Vergewaltigung auch
nur in der dgnamifeßen Überfteigerung zu teil werden zu laffen. Die Patßetik und
Energie der anderen mangelt diefem Künftler freilich nicht ganz und gar. Es entfteßen
unter der Botmäßigkeit des geitgeiftes Dinge von feßwer klingendem Rhythmus der
Linien und von gewalttätiger Kraft des Ausdrucks. Aber im allgemeinen ift doch
meßr die bewußte Feinfühligkeit und das Elaftifcße der Grazie das, was ißn und fein
Werk kennzeichnet.
Der Cicerone, XII!. )at)rg., Fjeft 1
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