Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0452
DOI issue:
Heft 15/16
DOI article:Wedderkop, Hermann von: Dadaismus
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Von //. l/. WEDDE/?ATOP
Dadaismus
T*^adaismus ift nicht auf der (Uelt, um vom Expreffionismus zu erlöfen; er hat fich
§ nicht diefe Spezialaufgabe geftellt. Er hat überhaupt keine Spezialaufgaben und
will ganz befonders nicht erlöfen. Denn dies (Hort mit feinem ungeheuren Miß-
kredit zu übernehmen, liegt ihm völlig fern. Er will nur ein — durchaus nicht be-
fundener — Hinweis fein auf gewiffe Dinge, die uns heute belaften. Er ift ein äußerft
diffiziles Gebilde, nicht fo leicht und wirklich fchwelgend zu erklären, wie der Expreffio-
nismus, wozu allein fchon der Impreffionismus zur Fjälfte ausreici)t. Dies natürlich,
ohne die aufopfernde Tätigkeit expreffioniftifcher Kritiker deswegen herunterzufeßen.
Denn Dadaismus will weder als Syftem geboren und alfo begriffen fein, noch will er
zeitlich fiel) eingereiht fet)en. Denn dann müßte er wieder erlöfen, was er nicht will.
Der Expreffionismus fagt zwar, daß er nichts Befonderes fein wolle, da jede gute Kunft
Ausdruckskunft fei. Eroßdem fcheidet er fich merklich von äggptifcher, gotifcher und
Negerkunft, die er zwar für nächfte Verwandte erklärt hat. die aber nicht die geringfte
Ähnlichkeit mit ihm befißen. Von denen er aber Elemente und Alimente bezieht, die
zu ^wecken felbftändiger, forgenfreier Exiftenz umgefeßt werden.
Expreffionismus ift alfo eine Richtung. Dies ift der Dadaismus nicht. Er ift frei und
unbelaftet, er will nicht Kunft primär, er behauptet nicht, daß Kunft nötig fei. Er be-
hauptet, daß viele Kunft vorangegangener Jahrhunderte fehr fchädlich war. Er fielet in
der Kunft der Gegenwart nicht einmal etwas Problematifches. Er fielet vor fich einen
ungeheuren (Uuft, den fich Europa aufgeftapelt hat und den es mit FJilfe von Et)eo-
retikern durchforfcht, gliedert, fyftematifiert. Diefer Schutt wird nicht nur in Mufeen,
Salons eingeführt, fondern beeinflußt ebenfo die Gehirne und wirkt hier, eben wie er
wirkt, nämlich bei jeder felbftändigen Regung eine Affoziation erzeugend, vielmehr
felbftändige Regung durch unbotmäßige (Hirkung der Vergangenheit verftopfend.
Der Dadaismus will alfo Lebendigkeit, doch nicht in dem Sinne wie der Expreffio-
nismus, der ein Parzival, Snob reiner Eorheit, Ausdruck will, alfo Ausdruck malt, d h-
Anfchauungsunterricht einlegt.
Die erziehliche Eendenz des Dadaismus ift nicht zu verkennen. Infofern hat er
Gemeinfamkeiten mit Peftalozzi, Fröbel. Nur ift Sinn und Methode anders, er will er-
ziehen, doch mehr freundfchaftlich-harmlos, verabfcheuend jede Pofe, auch alles Begriff-
liche, das mit Kosmos, Religion, (Ueltgeift, Menfchlichkeit, Güte für den Expreffionimus
eine weit ftärkere Rolle fpielt als Malutenfilien.
Er ift alfo nicht feftgelegt, er ift frei, unverfdßuldet, unbefci)ränkt. Er ift nicht für
oder wider den Untergang des Abendlandes, er braucht ihn nicht in Unruhe abzuwarten,
die Margerite zu zupfen, ob er kommt oder nicht kommt. Er erlöft in diefem Fall
von dem Gedanken, was werden foll. (Uäre es nicht dagewefen und würde nicht gleich
die heißhungrige Vorftellung den Begriff feftlegen, könnte man faft fagen, er wäre
bukolifcf). Doch vor allem Dagewefenen fdßrickt er zunächft zurück, weil es partielle
oder gänzliche Lähmung bedeutet.
An vollendeter Gefundheit und Frifche hat der Dadaismus dringendes Intereffe. faft
mens sana in corpore sano, nur eben anders (ohne das anhaftende Edle und Gemeffene).
Frifch, rotwangig, freundlich tut er alles, um fich die fckärffte Erkenntnis der Gegen-
wart zu fichern. Gar bald um fo zu folgern — erfchienen vor folchen Augen alle
Muffigkeiten, Verftocktheiten und Eraurigkeiten augenblicklicher (Uelt. Er fiet)t nicht nur
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Dadaismus
T*^adaismus ift nicht auf der (Uelt, um vom Expreffionismus zu erlöfen; er hat fich
§ nicht diefe Spezialaufgabe geftellt. Er hat überhaupt keine Spezialaufgaben und
will ganz befonders nicht erlöfen. Denn dies (Hort mit feinem ungeheuren Miß-
kredit zu übernehmen, liegt ihm völlig fern. Er will nur ein — durchaus nicht be-
fundener — Hinweis fein auf gewiffe Dinge, die uns heute belaften. Er ift ein äußerft
diffiziles Gebilde, nicht fo leicht und wirklich fchwelgend zu erklären, wie der Expreffio-
nismus, wozu allein fchon der Impreffionismus zur Fjälfte ausreici)t. Dies natürlich,
ohne die aufopfernde Tätigkeit expreffioniftifcher Kritiker deswegen herunterzufeßen.
Denn Dadaismus will weder als Syftem geboren und alfo begriffen fein, noch will er
zeitlich fiel) eingereiht fet)en. Denn dann müßte er wieder erlöfen, was er nicht will.
Der Expreffionismus fagt zwar, daß er nichts Befonderes fein wolle, da jede gute Kunft
Ausdruckskunft fei. Eroßdem fcheidet er fich merklich von äggptifcher, gotifcher und
Negerkunft, die er zwar für nächfte Verwandte erklärt hat. die aber nicht die geringfte
Ähnlichkeit mit ihm befißen. Von denen er aber Elemente und Alimente bezieht, die
zu ^wecken felbftändiger, forgenfreier Exiftenz umgefeßt werden.
Expreffionismus ift alfo eine Richtung. Dies ift der Dadaismus nicht. Er ift frei und
unbelaftet, er will nicht Kunft primär, er behauptet nicht, daß Kunft nötig fei. Er be-
hauptet, daß viele Kunft vorangegangener Jahrhunderte fehr fchädlich war. Er fielet in
der Kunft der Gegenwart nicht einmal etwas Problematifches. Er fielet vor fich einen
ungeheuren (Uuft, den fich Europa aufgeftapelt hat und den es mit FJilfe von Et)eo-
retikern durchforfcht, gliedert, fyftematifiert. Diefer Schutt wird nicht nur in Mufeen,
Salons eingeführt, fondern beeinflußt ebenfo die Gehirne und wirkt hier, eben wie er
wirkt, nämlich bei jeder felbftändigen Regung eine Affoziation erzeugend, vielmehr
felbftändige Regung durch unbotmäßige (Hirkung der Vergangenheit verftopfend.
Der Dadaismus will alfo Lebendigkeit, doch nicht in dem Sinne wie der Expreffio-
nismus, der ein Parzival, Snob reiner Eorheit, Ausdruck will, alfo Ausdruck malt, d h-
Anfchauungsunterricht einlegt.
Die erziehliche Eendenz des Dadaismus ift nicht zu verkennen. Infofern hat er
Gemeinfamkeiten mit Peftalozzi, Fröbel. Nur ift Sinn und Methode anders, er will er-
ziehen, doch mehr freundfchaftlich-harmlos, verabfcheuend jede Pofe, auch alles Begriff-
liche, das mit Kosmos, Religion, (Ueltgeift, Menfchlichkeit, Güte für den Expreffionimus
eine weit ftärkere Rolle fpielt als Malutenfilien.
Er ift alfo nicht feftgelegt, er ift frei, unverfdßuldet, unbefci)ränkt. Er ift nicht für
oder wider den Untergang des Abendlandes, er braucht ihn nicht in Unruhe abzuwarten,
die Margerite zu zupfen, ob er kommt oder nicht kommt. Er erlöft in diefem Fall
von dem Gedanken, was werden foll. (Uäre es nicht dagewefen und würde nicht gleich
die heißhungrige Vorftellung den Begriff feftlegen, könnte man faft fagen, er wäre
bukolifcf). Doch vor allem Dagewefenen fdßrickt er zunächft zurück, weil es partielle
oder gänzliche Lähmung bedeutet.
An vollendeter Gefundheit und Frifche hat der Dadaismus dringendes Intereffe. faft
mens sana in corpore sano, nur eben anders (ohne das anhaftende Edle und Gemeffene).
Frifch, rotwangig, freundlich tut er alles, um fich die fckärffte Erkenntnis der Gegen-
wart zu fichern. Gar bald um fo zu folgern — erfchienen vor folchen Augen alle
Muffigkeiten, Verftocktheiten und Eraurigkeiten augenblicklicher (Uelt. Er fiet)t nicht nur
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