Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0093
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Heft 3
DOI article:Graf, Oskar Maria: Maria Uhden
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Maria U ß d e n
unft: Vom (Uelterleben Durcßfcßütterte, Berührte, Erweckte Riffen ißre Faunen. Es
i[t keine Frage in ißnen. Nur ein Ja. Jntenjivjte Erfaffung des Seinsgebaltes,
A Beraufcßtwerden davon — nicht meßr anders können a!s Jo. Und dann die
Traurigkeit und das ßeißefte Begehren, wie aus einem unerjd)öpfbaren Füilßorn Gnade
fcßütten. — Unmögliches wollen und es ais Mögliches dann im (Uerke finden, öUeiter-
getrieben. Um Fjöcßftes ringend.
Das ift die frühverblichene Maria Uhden.
Secßsundzwanzigjäßrig, nach kurzer Ehe mit dem Maler Georg Schrimpf, knapp einen
Monat nach der Geburt ihres Kindes, Jtarb fie am 14. Auguft 1918 in einem Münchner
Krankenhaus. Ihre Jugendzeit in Koburg und Gotha verlief intereffelos, unbefriedigt
verließ fie die Malfcßule Exter in München und das Kunftgewerbemufeum in Berlin.
Und auf einmal ftand diefes große, entfcßeidende Erlebnis anläßlich einer Gefamtfcßau
in den Räumen des „Sturm" vor ihr: Marc Chagalls Bilder.
Alles Vorhergegangene fie! ab, endliches Beginnen brach durch-
1915 zeigte der „Sturm" ihre erftmalige Ausftellung. Frühefte Verfuche hingen neben
fcßon zielbeftimmten Arbeiten. Ein „Zirkus" ftrahlte feine Munterkeit aus. 3u ißm
gefeilten fiel) noch etliche Farbzeicßnungen gleicher Art. Vorhergehend war die eck-
linige Konturführung. Die ausfüllende Farbe kam zu flächig zur Geltung, taftend und
unficher gewählt, ohne rechtes ßufammenklingen. Nur das Kompofitorifche überrafchte.
Das Kreifen diefer primitiven Seiltänzerinnen mit den klobigen Füßen, der feßwer-
laftende Rhythmus gefeßwungener Akrobatenkörper, die draftifcß hölzerne Bewegung
eines Pferdes, die Gefpreiztßeit eines dicken Clowns wueßfen bedacht in die Tiefe des
Raums. Bewußter geformte Stücke ließen inneßalten. Neben der warmfarbigen Kom-
pofition „Frau auf dem Stier" hing das Bild der „Rußenden", ^wifeßen aufragenden
Baumftämmen zwei Frauen und ein rußendes Pferd um ein Lagerfeuer. Orangeßimmei
mit fattgelber Sonne um einen fanften Fjüftenßügel. Die Farben leucßten, die Kontur
ßat fieß verloren. Viel ßinnober, Orange, Kupferrot und Kobaltblau enthält diefer
dekorative Hymnus des Ausrußens. Eine ungeheure Sanftmut und Erdfcßwere ftrömt
aus den Körpern von Menfcß und Tier.
F)ier begegnet man bereits der künftlerifcßen Klärung. Nocß einmal ßat die Künftlerin
ißre dekorative Seßnfucßt bis zur Spitze getrieben und es ift außerordentlich bedeutungs-
voll für ißr intenfives farbliches Temperament, wie fie feßon in den folgenden, zeitlich
wenig entfernten (Uerken von der Gefaßr einer diesartigen Veroberfläcßlicßung los-
kommt. Und darin liegt die Stärke ißrer Könnerfcßaft und ißr bewußtes Ringen um
Fjöcßftes: Sie verzichtet auf das ins Auge Springende, (Uirkungsvolle dekorativer Ten-
denz und dringt vor bis ins (Uefentlicße. Ißr unendlich feinfühliger, malerifcßer Takt,
die ftrenge Selbftfcßulung und Beßerrfcßtßeit ißrer Schauart verfteßen es immer wieder,
das Überfließende des FJervorquellens der Farbe einzudämmen und die Fülle zugunften
der Gefamtformung der Idee unterzuordnen.
Seltfam klar zutage tritt diefe ißre bezeießnendfte künftlerifcße Eigenfcßaft in den
Aquarellen aus jener ßeit. In den beiden Bildern „Traum 1 und 2", im „Mondfcßein"
und im mclancßolifcßen „Sumpf" ift bereits die ganze fpätere Art ißres TUeltfeßens.
Gewiß find hier anregende Einflüffe bemerkbar. Es ift bereits gejagt worden, daß
Cßagall das große Erlebnis für die Künftlerin war, und unverkennbar reden die let^t-
Dcr Cicerone, Xilt. Jat)rg., geft 3
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Maria U ß d e n
unft: Vom (Uelterleben Durcßfcßütterte, Berührte, Erweckte Riffen ißre Faunen. Es
i[t keine Frage in ißnen. Nur ein Ja. Jntenjivjte Erfaffung des Seinsgebaltes,
A Beraufcßtwerden davon — nicht meßr anders können a!s Jo. Und dann die
Traurigkeit und das ßeißefte Begehren, wie aus einem unerjd)öpfbaren Füilßorn Gnade
fcßütten. — Unmögliches wollen und es ais Mögliches dann im (Uerke finden, öUeiter-
getrieben. Um Fjöcßftes ringend.
Das ift die frühverblichene Maria Uhden.
Secßsundzwanzigjäßrig, nach kurzer Ehe mit dem Maler Georg Schrimpf, knapp einen
Monat nach der Geburt ihres Kindes, Jtarb fie am 14. Auguft 1918 in einem Münchner
Krankenhaus. Ihre Jugendzeit in Koburg und Gotha verlief intereffelos, unbefriedigt
verließ fie die Malfcßule Exter in München und das Kunftgewerbemufeum in Berlin.
Und auf einmal ftand diefes große, entfcßeidende Erlebnis anläßlich einer Gefamtfcßau
in den Räumen des „Sturm" vor ihr: Marc Chagalls Bilder.
Alles Vorhergegangene fie! ab, endliches Beginnen brach durch-
1915 zeigte der „Sturm" ihre erftmalige Ausftellung. Frühefte Verfuche hingen neben
fcßon zielbeftimmten Arbeiten. Ein „Zirkus" ftrahlte feine Munterkeit aus. 3u ißm
gefeilten fiel) noch etliche Farbzeicßnungen gleicher Art. Vorhergehend war die eck-
linige Konturführung. Die ausfüllende Farbe kam zu flächig zur Geltung, taftend und
unficher gewählt, ohne rechtes ßufammenklingen. Nur das Kompofitorifche überrafchte.
Das Kreifen diefer primitiven Seiltänzerinnen mit den klobigen Füßen, der feßwer-
laftende Rhythmus gefeßwungener Akrobatenkörper, die draftifcß hölzerne Bewegung
eines Pferdes, die Gefpreiztßeit eines dicken Clowns wueßfen bedacht in die Tiefe des
Raums. Bewußter geformte Stücke ließen inneßalten. Neben der warmfarbigen Kom-
pofition „Frau auf dem Stier" hing das Bild der „Rußenden", ^wifeßen aufragenden
Baumftämmen zwei Frauen und ein rußendes Pferd um ein Lagerfeuer. Orangeßimmei
mit fattgelber Sonne um einen fanften Fjüftenßügel. Die Farben leucßten, die Kontur
ßat fieß verloren. Viel ßinnober, Orange, Kupferrot und Kobaltblau enthält diefer
dekorative Hymnus des Ausrußens. Eine ungeheure Sanftmut und Erdfcßwere ftrömt
aus den Körpern von Menfcß und Tier.
F)ier begegnet man bereits der künftlerifcßen Klärung. Nocß einmal ßat die Künftlerin
ißre dekorative Seßnfucßt bis zur Spitze getrieben und es ift außerordentlich bedeutungs-
voll für ißr intenfives farbliches Temperament, wie fie feßon in den folgenden, zeitlich
wenig entfernten (Uerken von der Gefaßr einer diesartigen Veroberfläcßlicßung los-
kommt. Und darin liegt die Stärke ißrer Könnerfcßaft und ißr bewußtes Ringen um
Fjöcßftes: Sie verzichtet auf das ins Auge Springende, (Uirkungsvolle dekorativer Ten-
denz und dringt vor bis ins (Uefentlicße. Ißr unendlich feinfühliger, malerifcßer Takt,
die ftrenge Selbftfcßulung und Beßerrfcßtßeit ißrer Schauart verfteßen es immer wieder,
das Überfließende des FJervorquellens der Farbe einzudämmen und die Fülle zugunften
der Gefamtformung der Idee unterzuordnen.
Seltfam klar zutage tritt diefe ißre bezeießnendfte künftlerifcße Eigenfcßaft in den
Aquarellen aus jener ßeit. In den beiden Bildern „Traum 1 und 2", im „Mondfcßein"
und im mclancßolifcßen „Sumpf" ift bereits die ganze fpätere Art ißres TUeltfeßens.
Gewiß find hier anregende Einflüffe bemerkbar. Es ift bereits gejagt worden, daß
Cßagall das große Erlebnis für die Künftlerin war, und unverkennbar reden die let^t-
Dcr Cicerone, Xilt. Jat)rg., geft 3
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