Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0059
DOI issue:
Heft 2
DOI article:Hübner, Friedrich Markus: Lodewijk Schelfhout
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0059
Lodewijk Scßelfßout
Von T. Ai. //UTßNT/?
At;7 /J
"ewijk Scßelfßout wurde 1881 in 's Gravenßage geboren — dem Geblüte nach ift er
jedocß kein Holländer. Seine Sippe ßat ißre Wurzeln väterlicßerfeits in flämifcß
—^Belgien; in der Provinz Antwerpen findet fieß der Name Scßelfßout ßäußg; in
Golland gibt es ißn unter Eingefeffenen nirgends. Die Frauen, welche die Vorfahren
des Malers als ißre Gattinnen ßeimfüßrten, find entweder Engländerinnen oder Fran-
zöfinnen gewefen. Lodewijk Scßelfßouts Mutter entftammt einer Gugenottenfamilie.
So bedeutet alfo Golland, wo der Maler die längfte 3eit feines Lebens verbrachte und
wo er fict) nach weit ausgedehnten Reifen fein Fjeim gegründet hat. für Schelfhout nur
eine Art Wahlheimat, wenn er feßon inmitten diefer Wahlheimat nicht als ein völlig
Außenfteßender lebt.
Die Unterfcßiede gegenüber feiner Umgebung find andererfeits nicht durcßfcßlagend
genug, als daß Schelfhout feine Niederlaffung inmitten der nördlichen Niederlande mit
dem Preife feiner eingeborenen Bodenftändigkeit hätte bezahlen müffen. Der Künftler
ift alles andere als ein Entwurzelter. Die Andersartigkeiten und Widerftände, die ihm
äußerlich begegnen, find geradezu Mächte, die ihm nötig find. Indem er ßch mit
ihnen mißt, indem für ißn die Aufgabe lautet, ihnen gegenüber fict) zu behaupten,
kommt er zu einer deutlicheren Lebensempfindung, zu einer umriffeneren Arbeits-
ftrenge, als wenn er etwa feinem Tagewerke inmitten der völlig gleich Fühlenden, in-
mitten belgifch Flanderns nachgehen müßte.
Abgefeßen von der eigenartigen kalviniftifcßen Glaubensluft, die in Golland ßerrfeßt,
befteßen die Gegenfäßlicßkeiten, von denen Scßelfßout in feiner Wahlheimat fieß um-
geben fießt und wider die es für ißn beftändig anzukämpfen gilt, in dem kulturellen
Selbftbeßagen und in der klugen, reeßnerifeßen Verftändigkeit diefes Landes überhaupt.
Der katßolifcße Flame ift dem Nordßolländer dadurch unterlegen, ißm dadurch weit voraus,
daß feine Natur noeß erficßtlicß weniger in den ßuftand der ßäßmung und der Nüßlicß-
keitsanpaffung übergegangen ift, daß in ißm noeß Gerde unberechenbarer Wildheit, tiefer
unbändiger Träumereien, kindlich zwecklofer Vergeudungslüfte fcßlummern. Der Süd-
ßolländer ift der kunftbegabtere Scßlag fcßlechtßin; die Einbildungskraft reißt ißn allent-
halben, nämlich ebenfowoßl in feinem Privat- wie in feinem ftaatlicßen Gefamtleben
zu Taten ßin, die nicht ein nebenhergehendes, teilweifes Glück, fondern immer fein
ganzes Dafein aufs Spiel fetten. In feinem Blute koeßt die Buntheit vermiedener
Raffen; durch fein Gaupt zieht erßi^end myftifcße Glaubensinbrunft und die irdifcß ge-
fcßäftlicße Leidenfcßaft zur großen Überfeeunterneßmung. Er ßat gegenüber den Nord-
ßolländern, die ftolz ßnd auf ißre umfießtigen Einricßter des bürgerlichen Gemeinwohls,
auf Flottenadmiräle, Staatsmänner, Rechtskundige, nur die jäßen Scßlagetote feiner
Genter Weber- und Fleifcßerzunftmeifter, die fueßende, verzückte Schar feiner Gottes-
freunde, die lärmenden Scßönßeitsgenießer feiner Rubens und van Dijk vorzuweifen
und all deren zufammenfaffende Verkörperung, den von übermächtigen Seßnfücßten
zerfprengten, fpottfroßen, rothaarigen, rußelofen Landfaßrer Tgll Eulenfpiegel. Dies ift
Flandern. Und der Maler Scßelfßout, der in feiner Jugend, um fieß den Lebensunter-
halt zu verdienen, viel niedrige Dienfte, u. a. als Dekorationsmaler, verrichten mußte
und der noeß heute die körperliche Ausdauer und Bedürfnislofigkeit anbetet, der rot-
haarige Lodewijk Scßelfßout mit dem prachtvollen Gebiß und dem breiten feßmetternden
Lachen, der fieß auf feine Preife etwas zugute tut, die er als Krikettfpieler und als
Der Cicerone, XHI. Jat)rg., peft 2 4 39
Von T. Ai. //UTßNT/?
At;7 /J
"ewijk Scßelfßout wurde 1881 in 's Gravenßage geboren — dem Geblüte nach ift er
jedocß kein Holländer. Seine Sippe ßat ißre Wurzeln väterlicßerfeits in flämifcß
—^Belgien; in der Provinz Antwerpen findet fieß der Name Scßelfßout ßäußg; in
Golland gibt es ißn unter Eingefeffenen nirgends. Die Frauen, welche die Vorfahren
des Malers als ißre Gattinnen ßeimfüßrten, find entweder Engländerinnen oder Fran-
zöfinnen gewefen. Lodewijk Scßelfßouts Mutter entftammt einer Gugenottenfamilie.
So bedeutet alfo Golland, wo der Maler die längfte 3eit feines Lebens verbrachte und
wo er fict) nach weit ausgedehnten Reifen fein Fjeim gegründet hat. für Schelfhout nur
eine Art Wahlheimat, wenn er feßon inmitten diefer Wahlheimat nicht als ein völlig
Außenfteßender lebt.
Die Unterfcßiede gegenüber feiner Umgebung find andererfeits nicht durcßfcßlagend
genug, als daß Schelfhout feine Niederlaffung inmitten der nördlichen Niederlande mit
dem Preife feiner eingeborenen Bodenftändigkeit hätte bezahlen müffen. Der Künftler
ift alles andere als ein Entwurzelter. Die Andersartigkeiten und Widerftände, die ihm
äußerlich begegnen, find geradezu Mächte, die ihm nötig find. Indem er ßch mit
ihnen mißt, indem für ißn die Aufgabe lautet, ihnen gegenüber fict) zu behaupten,
kommt er zu einer deutlicheren Lebensempfindung, zu einer umriffeneren Arbeits-
ftrenge, als wenn er etwa feinem Tagewerke inmitten der völlig gleich Fühlenden, in-
mitten belgifch Flanderns nachgehen müßte.
Abgefeßen von der eigenartigen kalviniftifcßen Glaubensluft, die in Golland ßerrfeßt,
befteßen die Gegenfäßlicßkeiten, von denen Scßelfßout in feiner Wahlheimat fieß um-
geben fießt und wider die es für ißn beftändig anzukämpfen gilt, in dem kulturellen
Selbftbeßagen und in der klugen, reeßnerifeßen Verftändigkeit diefes Landes überhaupt.
Der katßolifcße Flame ift dem Nordßolländer dadurch unterlegen, ißm dadurch weit voraus,
daß feine Natur noeß erficßtlicß weniger in den ßuftand der ßäßmung und der Nüßlicß-
keitsanpaffung übergegangen ift, daß in ißm noeß Gerde unberechenbarer Wildheit, tiefer
unbändiger Träumereien, kindlich zwecklofer Vergeudungslüfte fcßlummern. Der Süd-
ßolländer ift der kunftbegabtere Scßlag fcßlechtßin; die Einbildungskraft reißt ißn allent-
halben, nämlich ebenfowoßl in feinem Privat- wie in feinem ftaatlicßen Gefamtleben
zu Taten ßin, die nicht ein nebenhergehendes, teilweifes Glück, fondern immer fein
ganzes Dafein aufs Spiel fetten. In feinem Blute koeßt die Buntheit vermiedener
Raffen; durch fein Gaupt zieht erßi^end myftifcße Glaubensinbrunft und die irdifcß ge-
fcßäftlicße Leidenfcßaft zur großen Überfeeunterneßmung. Er ßat gegenüber den Nord-
ßolländern, die ftolz ßnd auf ißre umfießtigen Einricßter des bürgerlichen Gemeinwohls,
auf Flottenadmiräle, Staatsmänner, Rechtskundige, nur die jäßen Scßlagetote feiner
Genter Weber- und Fleifcßerzunftmeifter, die fueßende, verzückte Schar feiner Gottes-
freunde, die lärmenden Scßönßeitsgenießer feiner Rubens und van Dijk vorzuweifen
und all deren zufammenfaffende Verkörperung, den von übermächtigen Seßnfücßten
zerfprengten, fpottfroßen, rothaarigen, rußelofen Landfaßrer Tgll Eulenfpiegel. Dies ift
Flandern. Und der Maler Scßelfßout, der in feiner Jugend, um fieß den Lebensunter-
halt zu verdienen, viel niedrige Dienfte, u. a. als Dekorationsmaler, verrichten mußte
und der noeß heute die körperliche Ausdauer und Bedürfnislofigkeit anbetet, der rot-
haarige Lodewijk Scßelfßout mit dem prachtvollen Gebiß und dem breiten feßmetternden
Lachen, der fieß auf feine Preife etwas zugute tut, die er als Krikettfpieler und als
Der Cicerone, XHI. Jat)rg., peft 2 4 39