Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0179
DOI issue:
Heft 5
DOI article:Müller-Wulckow, Walter: Vergängliche Schönheit
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0179
Vergängliche Schönheit von iv. AtüAAÄ/?- ivüAc/ro^
At/Y .? noc/? Wonaf^r/<Ycn/ 7?/cAur<Y ^^trvYYs
T^hrfurcht vor künftlerifchen (Herten i[t ein Glichen geiziger Kultur, fofern fich diefe
Einleitung auf den feelifcßen Gehalt bezieht. Nur zu i)äupg wird jedoch eine
^ ^ Pietät damit verwechfelt, die allein auf den materiellen Befifs gerichtet ift. Und
dafür gilt das Paradoxon, daß Pietät im umgekehrten Verhältnis fteht zur künftlerifchen
Potenz, foweit diefe Geftaltungswillen vorausfe^t und unter jener allein das Bewahren-
wollen verftanden werden kann, ßeiten nämlich, die wirklich von künftlerifcfter Trieb-
kraft befeelt find, muffen vorhandenen Befiß um fo mehr zu vernichten bereit fein, als
fie die Fähigkeit in fiel) fpüren, (Hertvolleres, Geltungsreicheres an die Stelle zu fetten.
Denn immer verdrängt mit Naturgefeßlicftkeit das in Neubildung Begriffene ein im Ab-
fterben Befindliches. Darüber zu zetern ift ein Reichen mangelnden Gutrauens und über-
handnehmender Refignation. Ein Gefeß von der Konftanz geiftiger Intenfität fcheint
auch hier das Ausmaß der Möglichkeiten zu regulieren. Durch die Gefehlte derMenfch-
heit ßutet offenbar nach ewigen Rhythmen ein An- und Abfchwellen beider Äußerungs-
formen: Geftalterfeßnfucht und Erßaltungsforge, Vernichtungstrieb und Sträuben gegen
die Gerftörung. Höhepunkte des Schaffens fowofd wie Epochen der Befit^esficfterheit
werden fich ihrer Einfeitigkeit kaum bewußt. Tragifch wirken nur die (Handlungen
des Übergangs: fei es, daß die Schaffenskraft nachläßt, aber die Bereitfcßaft zum Dran-
geben des Vorhandenen noch fortdauert, fei es, daß die Giftigkeit im Eeftßalten einem
(Hillen zur Umwertung im (Hege fteftt. Anfang und Ende des 19. Jahrhunderts find
folcfte Geitfpannen, in denen eine Unausgeglichenheit diefer Art befonders deutlich zu-
tage trat. (Has ift nicht nach der franzöfifeften Revolution alles zerftört worden, ohne
daß es durch Gleichwertiges erfe&t werden konnte. Und zwar gefeftaft es in einer
Überkreuzung und einem Auspendeln weiterer Gegenfatspaare: in der Hoffnung, Le^t-
vergangenes umbilden zu können, wurden die Formen des 18. Jahrhunderts vernichtet,
Rid). Seewald. (Uandbitder in der früheren Klobnung des Künftters.
155
At/Y .? noc/? Wonaf^r/<Ycn/ 7?/cAur<Y ^^trvYYs
T^hrfurcht vor künftlerifchen (Herten i[t ein Glichen geiziger Kultur, fofern fich diefe
Einleitung auf den feelifcßen Gehalt bezieht. Nur zu i)äupg wird jedoch eine
^ ^ Pietät damit verwechfelt, die allein auf den materiellen Befifs gerichtet ift. Und
dafür gilt das Paradoxon, daß Pietät im umgekehrten Verhältnis fteht zur künftlerifchen
Potenz, foweit diefe Geftaltungswillen vorausfe^t und unter jener allein das Bewahren-
wollen verftanden werden kann, ßeiten nämlich, die wirklich von künftlerifcfter Trieb-
kraft befeelt find, muffen vorhandenen Befiß um fo mehr zu vernichten bereit fein, als
fie die Fähigkeit in fiel) fpüren, (Hertvolleres, Geltungsreicheres an die Stelle zu fetten.
Denn immer verdrängt mit Naturgefeßlicftkeit das in Neubildung Begriffene ein im Ab-
fterben Befindliches. Darüber zu zetern ift ein Reichen mangelnden Gutrauens und über-
handnehmender Refignation. Ein Gefeß von der Konftanz geiftiger Intenfität fcheint
auch hier das Ausmaß der Möglichkeiten zu regulieren. Durch die Gefehlte derMenfch-
heit ßutet offenbar nach ewigen Rhythmen ein An- und Abfchwellen beider Äußerungs-
formen: Geftalterfeßnfucht und Erßaltungsforge, Vernichtungstrieb und Sträuben gegen
die Gerftörung. Höhepunkte des Schaffens fowofd wie Epochen der Befit^esficfterheit
werden fich ihrer Einfeitigkeit kaum bewußt. Tragifch wirken nur die (Handlungen
des Übergangs: fei es, daß die Schaffenskraft nachläßt, aber die Bereitfcßaft zum Dran-
geben des Vorhandenen noch fortdauert, fei es, daß die Giftigkeit im Eeftßalten einem
(Hillen zur Umwertung im (Hege fteftt. Anfang und Ende des 19. Jahrhunderts find
folcfte Geitfpannen, in denen eine Unausgeglichenheit diefer Art befonders deutlich zu-
tage trat. (Has ift nicht nach der franzöfifeften Revolution alles zerftört worden, ohne
daß es durch Gleichwertiges erfe&t werden konnte. Und zwar gefeftaft es in einer
Überkreuzung und einem Auspendeln weiterer Gegenfatspaare: in der Hoffnung, Le^t-
vergangenes umbilden zu können, wurden die Formen des 18. Jahrhunderts vernichtet,
Rid). Seewald. (Uandbitder in der früheren Klobnung des Künftters.
155