Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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Heft 17
DOI article:Graf, Oskar Maria: Neue Wege im Kunstgewerbe
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Neue (üege im Kunftgewerbe
AüY 72 Von 057CR7? AtTl7?7R G7?RF
I.
er den Entwicklungsgang der expreffioniftifchen Kunft genauer verfolgt hat,
wer, unbeeinflußt von den immerwechfelnden Eageseinftellungen und Meinungen,
von der Urfadße diefer Erneuerung auf die vielfältigen Wirkungen fcßloß, die
diefes Kunftftreben auf unfere ganze geitfpanne ausübte, der konnte faft mühelos zwei
Feftftellungen machen, die fiel) allmählich) für jeden Betrachtenden mit immer fichttichercr
Eindeutigkeit in den Vordergrund drängen.
Nach einem erregten, manifeftanten Aufflammen, einer Art wat)Hofen Bekennertums,
nach dem härteften Aufeinanderprallen der Gegenfät^e zwifchen geftriger und heutiger
Kunftauffaffung zeigte fich faft zwanghaft eine Scheidungslinie. Und nach langer Aus-
einandergeriffenheit trat, wenn auch noch keinesfalls beftimmt, aber um fo reicher an fympto-
matifchen Erlernungen, der tiefere gufammenhang vonKunft und Leben wieder zutage.
Das Spielerifche, Eaftende, Mitläuferifche amExpreffionismus, foweit es einem fchmieg-
famen Gefchmack entfprang und als Unterpfand immerhin eine gewiffe, fichere Ge-
fchicklichkeit aufweifen konnte, zweigte ab ins Kunftgewerbliche und leiftete unbewußt
Pionierarbeit für ein neues Stilempfinden. Das Echte, Innerliche, aus einer faft bluts-
mäßigen Notwendigkeit Fjerausgewachfene wurde dadurch entlaftet, erzwang fich fchneller
freie Bahn und fand den (Heg ins breite Strombett der großen Kulturwerte.
Die Fronten teilten fiel). Aber die eine förderte die andere. — Die Aufhellung eines
folchen Entwicklungsprozeßes an fich böte aber noch keinesfalls einen Anlaß zu der
Behauptung, daß mit dem Beginn des Expreffionismus eine zunehmendere (Uechfel-
wirkung von Kunft und Allgemeinleben einfe^te. Auf eine (mehr oder weniger) be-
ftimmte Art hat die Kunft felbft in geiten ihrer ftrengften Fjinzielung auf Abgefondert-
heit immer auf das menfchliche Selbanderleben eingewirkt. (Uas aber den Expreffionismus
(das (Hort fei Iper keineswegs dogmatifche Verdeutlichung, fondern gufammenfaffung
aller heutigen Kunftgebärdung) von aller früheren Kunft unterfcheidet, ift, daß er ein
abfolutesProduktfei-
nergeit ift, daß er von
diefer hervorgerufen, wir-
kungsfähig und lebendig
gemacht wurde, von ihr
feine Schlagkraft, Gegen-
wärtigkeit und Grenze
empfing.
Der Sat$, es handle fich
beim Expreffionismus um
eine Reaktion desGeiftes
gegen denUngeift und die
Vermechanißertheit unfe-
rergeit, erhält damit feine
Erweiterung. Immer war
Kunft in geiten der Eiefen-
lofigkeit ein Gegenftrom,
immer war ihr (Hille der,
R. Rofenberg. Brofche.
Leben in die Erftarrung
zu bringen. Vielfach ha-
ben Epochen es fertig ge-
bracht, den Anfturm des
Kunftwillens (die Een-
denz desgufammens) zu
unterbinden, ihn durch
Surrogate zu erfet$en, und
die Kunft wurde einfam,
weil die Vorbedingungen
zu einer Architektonik
noch nicht gegeben waren.
Alles mußte bis zur Un-
erträglichkeit anwachfen,
alles mußte fich foweit
fteigern, daß es augen-
fällig wurde, ehe (faft
inftinktiv) das Bedürfnis
Der Cicerone, XU!. Jal)rg., beft 17
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er den Entwicklungsgang der expreffioniftifchen Kunft genauer verfolgt hat,
wer, unbeeinflußt von den immerwechfelnden Eageseinftellungen und Meinungen,
von der Urfadße diefer Erneuerung auf die vielfältigen Wirkungen fcßloß, die
diefes Kunftftreben auf unfere ganze geitfpanne ausübte, der konnte faft mühelos zwei
Feftftellungen machen, die fiel) allmählich) für jeden Betrachtenden mit immer fichttichercr
Eindeutigkeit in den Vordergrund drängen.
Nach einem erregten, manifeftanten Aufflammen, einer Art wat)Hofen Bekennertums,
nach dem härteften Aufeinanderprallen der Gegenfät^e zwifchen geftriger und heutiger
Kunftauffaffung zeigte fich faft zwanghaft eine Scheidungslinie. Und nach langer Aus-
einandergeriffenheit trat, wenn auch noch keinesfalls beftimmt, aber um fo reicher an fympto-
matifchen Erlernungen, der tiefere gufammenhang vonKunft und Leben wieder zutage.
Das Spielerifche, Eaftende, Mitläuferifche amExpreffionismus, foweit es einem fchmieg-
famen Gefchmack entfprang und als Unterpfand immerhin eine gewiffe, fichere Ge-
fchicklichkeit aufweifen konnte, zweigte ab ins Kunftgewerbliche und leiftete unbewußt
Pionierarbeit für ein neues Stilempfinden. Das Echte, Innerliche, aus einer faft bluts-
mäßigen Notwendigkeit Fjerausgewachfene wurde dadurch entlaftet, erzwang fich fchneller
freie Bahn und fand den (Heg ins breite Strombett der großen Kulturwerte.
Die Fronten teilten fiel). Aber die eine förderte die andere. — Die Aufhellung eines
folchen Entwicklungsprozeßes an fich böte aber noch keinesfalls einen Anlaß zu der
Behauptung, daß mit dem Beginn des Expreffionismus eine zunehmendere (Uechfel-
wirkung von Kunft und Allgemeinleben einfe^te. Auf eine (mehr oder weniger) be-
ftimmte Art hat die Kunft felbft in geiten ihrer ftrengften Fjinzielung auf Abgefondert-
heit immer auf das menfchliche Selbanderleben eingewirkt. (Uas aber den Expreffionismus
(das (Hort fei Iper keineswegs dogmatifche Verdeutlichung, fondern gufammenfaffung
aller heutigen Kunftgebärdung) von aller früheren Kunft unterfcheidet, ift, daß er ein
abfolutesProduktfei-
nergeit ift, daß er von
diefer hervorgerufen, wir-
kungsfähig und lebendig
gemacht wurde, von ihr
feine Schlagkraft, Gegen-
wärtigkeit und Grenze
empfing.
Der Sat$, es handle fich
beim Expreffionismus um
eine Reaktion desGeiftes
gegen denUngeift und die
Vermechanißertheit unfe-
rergeit, erhält damit feine
Erweiterung. Immer war
Kunft in geiten der Eiefen-
lofigkeit ein Gegenftrom,
immer war ihr (Hille der,
R. Rofenberg. Brofche.
Leben in die Erftarrung
zu bringen. Vielfach ha-
ben Epochen es fertig ge-
bracht, den Anfturm des
Kunftwillens (die Een-
denz desgufammens) zu
unterbinden, ihn durch
Surrogate zu erfet$en, und
die Kunft wurde einfam,
weil die Vorbedingungen
zu einer Architektonik
noch nicht gegeben waren.
Alles mußte bis zur Un-
erträglichkeit anwachfen,
alles mußte fich foweit
fteigern, daß es augen-
fällig wurde, ehe (faft
inftinktiv) das Bedürfnis
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