Die 3eit und der Markt
Von der Nordi[d)en (üo<±)e
in Lübeck
Ehedem waren wir gewohnt, geiftiges Leben
und Arbeit an den Kulturaufgaben der 3eit
außerhalb der Univerptäten noch am erften an
den großen und kleinen Fürftenpöfen zu pnden.
Heute muß der Hille zu fold)er Arbeit febon
von den j'chwerfälligeren Verwaltungskörpern
der Städte ausgeben. Und fie fcbeinen in der
Veranftaltung befonderer Kulturwocben in löb-
lichem Hettftreit dafür eine neue, fachgemäße
Form gefunden zu haben, die, richtig und klug
gebandbabt, für künftlerifche und wiffenfcbaft-
licbe Beftrebungen erheblichen Nutzen bringen
wird. Diefen Eindruck nahmen wir wenigftens
aus den bocbgeftimmten Lagen der Nordifcben
Hoche mit, die Lübeck im September eingerichtet
hatte. Neben den Angelegenheiten des Hirt-
fcbaftslebens der Oftfee ging in den Vorträgen
und Ausftellungen ein ftattlicher Strom von künft-
lerifchen und kunfthiftorifchen Leiftungen einher,
der h'cr Beachtung verdient. Der greife, ftets
frifcheMontelius fpracb über die Urgefcbicpte
der Germanen wie ein Großvater, der Märchen
erzählt; und doch hatten feine Hörer die Ge-
wißheit, daß er jedes feiner Horte nötigenfalls
mit Bänden von wiffenfcbaftlicber Kleinarbeit
würde belegen können. J.Roosval,denFüprer
der febwedifeben Kunftgefcpichtsarbeit hatte
man eingeladen, über die Meifterwerke Bernt
Notkes, die große S. Jürgengruppe in Stockholm
und die verwandten Bildwerke der Spätgotik in
Schweden zu fpreeben. Er tat es mit der Ab-
ficht, eine gemeinfame baltifcpe Kunft für diefe
Epoche aufzuftellen, die bis Finnland über die
ganzen Oftfeeufer ficb erftreckte, und die von Lü-
beck ihren Ausgang genommen hat. Eine fepöne
Ergänzung gab Pinder, der ficb mit feiner tem-
peramentvollen Frifche mit der deutfepen Plaftik
in der Jugendzeit Dürers befchäftigte. So wurde
vor dem außerordentlich zahlreichen Hörerkreis
mittelbar dem Verftändnis der eigenen Lübecker
Kunftfchä^e der befte Dicnft erwiefen.
Stärkere Eindrücke noch gaben die verdienft-
vollen Ausftellungen, die Fjeife aus Anlaß der
Nordifcben Hocpe zufammengebraebt hatte. Vor
allem das heute febon volkstümlich gewordene
Bebnfcpe Haus. Nachdem es Fjeife gelungen
war, im lebten Augenblick das weiträumige, ftatt-
liche klaffiziftifche Hohnhaus vor dem Umbau
zu retten, dadurch, daß er aus dem Kreis der
Lübecker Kunftfreunde die nötige Summe von
300000 Mark für den Ankauf des Fjaufes zu-
fammenbraebte, ift das Gebäude nun der Stadt
gefebenkt und von diefer in guten Bauzuftand ver-
femt, im übrigen natürlich in feiner reizvollen alten
Raumausftattung ganz erhalten worden. Um zu
zeigen, wie es pep künftig für Zwecke der Kunft-
pßege verwenden läßt, hatte Fjeife je§t aus den
Beftänden der beiden Mufeen mit Leihgaben aus
der Hamburger Kunfthalle, dem Fjiftorifcben Mu<-
feum und aus Lübecker Privatbefip eine Jabr-
bundertausftellung Lübecker Malerei lebendig
und gefcbmackvoil aufgebaut. Die Bildniffe
Grögers und Aldenraths, deren Lübecker
Heimat nur durch Lichtwarks Eifer bisher ver-
dunkelt war, die Bildniffe und kleinen Gemälde
Overbecks, die tüdptigenLeiftungen von Stolle
und Kindermann, dazu eine Menge Miniaturen
der 3eit und einige Möbel zur Belebung der
Räume, fügten ficb trefflich in das alte Milieu.
Den neueren Lübeckern, Kuebl, Ulrich Fjübner,
Linde-Haltper, Maria Senvona', H. Otto
u. a. hatte man in der Fjauptfacbe die oberen
indifferenten 3'mmer eingeräumt. Behaglich und
ungezwungen wurde fo auf dem Hintergrund
patrizifeper Hohnkultur ein faft überall glück-
liches, an Licht und Raum mehr als genügendes
Gemäldehaus. Die wiebtigfte Lat bleibt freilich
die Rettung des Baudenkmals felbft, das ein
würdiges Gegenftück zu dem Schabbelhaus, nach
diefem glänzenden Erfolg gewiß auch künftig
trot$ der Not der 3eit als ein Haus der Kunft-
pßege erhalten werden wird.
Eine zweite bedeutende Ausftellung batte Heife
in den Räumen der Overbeck-Gefellfcbaft
der nordifcben Kunft der Gegenwart gewidmet;
d. p. außer den treulichen werkgerechten däni-
fchen Silberfchmiedearbeiten und zwei unbe-
deutenden Gemälden von Hamersboi war es
eigentlich nur eine Munch-Ausftellung. Neben
den problematifcberen Arbeiten der lebten Jahre,
die man bei Commeter und bei Caffirer febon ge-
feben hatte, wirkten die feit 20 Jahren nicht
öffentlich gezeigten vier Bildnisgemälde aus
Dr. Lindes Beph mit überzeugender wuchtiger
Klarheit wie die klaffifchen Vorboten der heu-
tigen 3eit — ganz befonders das große Bild der
vier Söhne —, alles übrige weit hinter ficb laffend.
Die ftärkfte, viel umftrittene, aber von der
Mehrzahl der Kunftfreunde mit Begeifterung be-
grüßte Leiftung war fcbließlicb die Vereinigung
der religiöfen Gemälde Noldes zu einer weit-
räumig und feierlich infzenierten Ausftellung in
derKatparinenkircpe. Schon allein, daßesend-
629
Der Cicerone, XIH. Jai)rg., Fjeft 21
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Von der Nordi[d)en (üo<±)e
in Lübeck
Ehedem waren wir gewohnt, geiftiges Leben
und Arbeit an den Kulturaufgaben der 3eit
außerhalb der Univerptäten noch am erften an
den großen und kleinen Fürftenpöfen zu pnden.
Heute muß der Hille zu fold)er Arbeit febon
von den j'chwerfälligeren Verwaltungskörpern
der Städte ausgeben. Und fie fcbeinen in der
Veranftaltung befonderer Kulturwocben in löb-
lichem Hettftreit dafür eine neue, fachgemäße
Form gefunden zu haben, die, richtig und klug
gebandbabt, für künftlerifche und wiffenfcbaft-
licbe Beftrebungen erheblichen Nutzen bringen
wird. Diefen Eindruck nahmen wir wenigftens
aus den bocbgeftimmten Lagen der Nordifcben
Hoche mit, die Lübeck im September eingerichtet
hatte. Neben den Angelegenheiten des Hirt-
fcbaftslebens der Oftfee ging in den Vorträgen
und Ausftellungen ein ftattlicher Strom von künft-
lerifchen und kunfthiftorifchen Leiftungen einher,
der h'cr Beachtung verdient. Der greife, ftets
frifcheMontelius fpracb über die Urgefcbicpte
der Germanen wie ein Großvater, der Märchen
erzählt; und doch hatten feine Hörer die Ge-
wißheit, daß er jedes feiner Horte nötigenfalls
mit Bänden von wiffenfcbaftlicber Kleinarbeit
würde belegen können. J.Roosval,denFüprer
der febwedifeben Kunftgefcpichtsarbeit hatte
man eingeladen, über die Meifterwerke Bernt
Notkes, die große S. Jürgengruppe in Stockholm
und die verwandten Bildwerke der Spätgotik in
Schweden zu fpreeben. Er tat es mit der Ab-
ficht, eine gemeinfame baltifcpe Kunft für diefe
Epoche aufzuftellen, die bis Finnland über die
ganzen Oftfeeufer ficb erftreckte, und die von Lü-
beck ihren Ausgang genommen hat. Eine fepöne
Ergänzung gab Pinder, der ficb mit feiner tem-
peramentvollen Frifche mit der deutfepen Plaftik
in der Jugendzeit Dürers befchäftigte. So wurde
vor dem außerordentlich zahlreichen Hörerkreis
mittelbar dem Verftändnis der eigenen Lübecker
Kunftfchä^e der befte Dicnft erwiefen.
Stärkere Eindrücke noch gaben die verdienft-
vollen Ausftellungen, die Fjeife aus Anlaß der
Nordifcben Hocpe zufammengebraebt hatte. Vor
allem das heute febon volkstümlich gewordene
Bebnfcpe Haus. Nachdem es Fjeife gelungen
war, im lebten Augenblick das weiträumige, ftatt-
liche klaffiziftifche Hohnhaus vor dem Umbau
zu retten, dadurch, daß er aus dem Kreis der
Lübecker Kunftfreunde die nötige Summe von
300000 Mark für den Ankauf des Fjaufes zu-
fammenbraebte, ift das Gebäude nun der Stadt
gefebenkt und von diefer in guten Bauzuftand ver-
femt, im übrigen natürlich in feiner reizvollen alten
Raumausftattung ganz erhalten worden. Um zu
zeigen, wie es pep künftig für Zwecke der Kunft-
pßege verwenden läßt, hatte Fjeife je§t aus den
Beftänden der beiden Mufeen mit Leihgaben aus
der Hamburger Kunfthalle, dem Fjiftorifcben Mu<-
feum und aus Lübecker Privatbefip eine Jabr-
bundertausftellung Lübecker Malerei lebendig
und gefcbmackvoil aufgebaut. Die Bildniffe
Grögers und Aldenraths, deren Lübecker
Heimat nur durch Lichtwarks Eifer bisher ver-
dunkelt war, die Bildniffe und kleinen Gemälde
Overbecks, die tüdptigenLeiftungen von Stolle
und Kindermann, dazu eine Menge Miniaturen
der 3eit und einige Möbel zur Belebung der
Räume, fügten ficb trefflich in das alte Milieu.
Den neueren Lübeckern, Kuebl, Ulrich Fjübner,
Linde-Haltper, Maria Senvona', H. Otto
u. a. hatte man in der Fjauptfacbe die oberen
indifferenten 3'mmer eingeräumt. Behaglich und
ungezwungen wurde fo auf dem Hintergrund
patrizifeper Hohnkultur ein faft überall glück-
liches, an Licht und Raum mehr als genügendes
Gemäldehaus. Die wiebtigfte Lat bleibt freilich
die Rettung des Baudenkmals felbft, das ein
würdiges Gegenftück zu dem Schabbelhaus, nach
diefem glänzenden Erfolg gewiß auch künftig
trot$ der Not der 3eit als ein Haus der Kunft-
pßege erhalten werden wird.
Eine zweite bedeutende Ausftellung batte Heife
in den Räumen der Overbeck-Gefellfcbaft
der nordifcben Kunft der Gegenwart gewidmet;
d. p. außer den treulichen werkgerechten däni-
fchen Silberfchmiedearbeiten und zwei unbe-
deutenden Gemälden von Hamersboi war es
eigentlich nur eine Munch-Ausftellung. Neben
den problematifcberen Arbeiten der lebten Jahre,
die man bei Commeter und bei Caffirer febon ge-
feben hatte, wirkten die feit 20 Jahren nicht
öffentlich gezeigten vier Bildnisgemälde aus
Dr. Lindes Beph mit überzeugender wuchtiger
Klarheit wie die klaffifchen Vorboten der heu-
tigen 3eit — ganz befonders das große Bild der
vier Söhne —, alles übrige weit hinter ficb laffend.
Die ftärkfte, viel umftrittene, aber von der
Mehrzahl der Kunftfreunde mit Begeifterung be-
grüßte Leiftung war fcbließlicb die Vereinigung
der religiöfen Gemälde Noldes zu einer weit-
räumig und feierlich infzenierten Ausftellung in
derKatparinenkircpe. Schon allein, daßesend-
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Der Cicerone, XIH. Jai)rg., Fjeft 21
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