Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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Heft 18
DOI Artikel:Krell, Max: Produktivität
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Produktivität
^elbftändigkeit im Scßaffen ift fo relativ, daß fie [icß faft negiert. Immer greifen die
Füßler feßweifend weit zurück in eroberte, betätigte Sphären, daß, abßraßiert
man diefe, vom Autonomen nur eine (Uinzigkeit übrigbleibt. Das entfprießt aueß
ungefäßr dem Verhältnis, in dem die Armut des Fortfcßritts zum drückenden Ballaft
der Vergangenheit fteßt. Soweit gedieß dann die Intellektualifierung, daß aus reiner
Intuition ßeraus kaum noeß gefeßaffen wird, keinesfalls mit großen, befreienden Scßritten.
Die Fanale der Gefcßicßte glüßen immer über uns ßin, der Marmor Michelangelos er-
fcßreckt tief, weil er feßon alles umwölbt, was noeß gefagt werden kann. Fjöcßftens
bleibt: einen neuen Geficßtspunkt aufzuftöbern, der das Vifier um Grade verfeßiebt.
Das Monumentale und die Begriffe find vorßanden; nur fie zu betrachten gibt noeß
Modalitäten. Die moderne Kunft ift keine Monumentalkunft aus fieß meßr, fondern:
Variationskunft der Betrachtung, keine Formung des Unbekannten, kein Fjerausbrecßen
des Mytßos aus Dunkelheiten, fondern ^ifeüerung, Abplattung, Verdeutlichung. Daßer
immer Gefcßrei um neue Stile und Bewegungen, daßer Gßeorie und Ortsbeftimmung,
Geograpßie geradezu der neuen Geficßtspunkte, wäßrend es doeß darauf ßinauslaufen
müßte: das Abfolute zu kriftallifieren. Das war früßer anders, weil die Begriffe, die
Dämonien überhaupt erft benannt und gefaßt werden mußten. Euripides, Aefcßylos,
Praxiteles wurden, die fie ßeute in der Menfcßßeit find, nießt nur dureß die Gewalt
und Scßönßeit ißrer Linien, vielmehr und beftimmender dureß die Mytßen, denen zu-
erft fie Ausdruck gaben. Dort, im Morgen der Künfte, fteßen die Spi^enerfcßeinungen
noeß dießt; von einem Niveau ift zunäcßft nießt zu reden, da alles Entdeckung, Primat
ift. Stück um Stück wird der Scßleier von der Scßöpfung geriffen. (das fpäter kam
bis Vergil und Gaffo, bis Cßardin oder Fifcßer von Erlacß ßaben fie damals im großen
Umriß vorausgenommen, indem fie das Ewige und das Gypifcße, Menfcßlicßes wie
Sakrales, den Dualismus Fauft-Mepßifto geftaltlicß fanktionierten. Im ßeroifeßen 3eit-
alter war jedes noeß zu geben: die großen Linien, Standartbegriffe menfeßließer Scßick-
fale, Gedanken, Griebe. Als die Kunft kreißte, wartete ein unbefeßiekter Markt, den
man vorfießtig, exemplarifcß nur befueßte, bis Gewöhnung die Maffe lockte und zum
Monumentalen, Einmaligen das Vielfältige, Differenzierte ftieß, den Kärrnern die Arbeit
erwueßs: die Spielarten zu deftillieren, jenen Generalnenner zu fueßen, der in der erften
großen Formung gegeben, dureß das Barock der Folge aber verwifeßt war. (Uie im
(Uiffenfcßaftlicßen: je reießer die Fundamente der Kunft betoniert wurden, defto inten-
fiver gefeßaß auf folcßem Podium Spezialifierung. Der Strom ftreckte fieß ins Breite,
bekam Äfte, wurde Meer, der Spiegel rückte ßößer, Spi^enexemplare ertranken, Sophis-
mus überragte. Da es auf Details ankommt, weiß aueß der Flacßkopf einiges von
Belang in feine Provinzgaffe zu feßreien, fagt es mit Empßafe, Schulung aus bedeuten-
dem Vorbild. Dank der Faszination aus lebendiger Atmung überredet die Näße feines
Ausfprucßs, der auf Kenntnis und Logik immerhin gerußt, täufeßt über eine (Uicßtig-
keit, die morgen feßon verblaßt und naeß weniger als einer ßalben Generation ver-
modert ift.
3weck!ofigkeit gibt es nirgends. Die Kunft aueß, die als Abftraktum bezeichnet wird
und aus ißrer ätßerifcßen Konftitution Vorrecßte ßimmlifeßer Art genießt, ift irdifcß
zweckvoll; ift inftrumental, organifcß, pßyfifcß und — da fie nießt exiftiert, wenn fie
uns nießt zum Spiegel, unfer Fjerz nießt zur Antenne ßat — durchaus menfeßließ ge-
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