Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0161
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Heft 5
DOI Artikel:Wedderkop, Hermann von: Marie Laurencin
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Marie Laurencin
Len /V. 17. M/fDDf7?/öOP
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lenn ich fchreibe, diefe Frau hat Anmut, fo tut der Begriff fein übriges und
läßt fofort Ungebetenes herankommen, einen gewiffen ungefcßiecßtiicßen Egpus,
^ ^ der fcßenkt und doct) leitet, der feßr reai vorhanden ift, wenn auch bewundernd
aufgeiöft durch Poejie und für Bequeme biond i[t. Aber diefe Maierin, da fie wirkiicf)
eine Malerin ift, nicht eine füftorifcße Berühmtheit, wie Rofa, auch nicht das fagenßafte
Maiweib der Berge und des Meeres und der verfcßwiegenen biiiigen Orte aus der
zahlreichen Mufterkollektion ift weit entfernt von jegiichem Egpus. Sie hat ein neger-
haftes Durcheinander von Haar, fträhnig, nicht zu onduiieren, pudeihaft beftenfaiis, fie
hat beinahe die Augen, die fie gerne haben möchte, nämiich in horizontaler Richtung
lang geftreckt und weit in die Schläfen hinein gebogen, ift kurzfichtig, daher immer
etwas angejtrengt kuckend, und etwas fchmerzlich unkiar, auf keinen Faii irgendwie
täufchend oder (Donnen vorfpiegeind, wie es die taufende Frauenaugen tun, die für fich
und mangels Innenraumes ohne Funktion find. (Heiter eine breite Stirn, die Albern-
heiten verbietet und in männliche Ausdrucksgebiete ftrebt. Darüber alfo diefes fträhnige
Negerhaar. Sehr gerade Nafe natürlich zu diefer Stirn und diefen breit gezogenen
Augen und ein ziemlich unfinnlicher, aber fenfibler Mund, etwas größer als fie ißn
nach ihren Bildern haben möchte. Entfernung von Mund bis Augen gibt etwas Pferde-
kopfmäßiges. Sonft ift nicht mehr viel zu fagen; ihr Körper i[t luftig und beweglich,
aber doch gemeffen in Bewegungen.
(Heitere Eigentümlichkeit das Benehmen und das Außere einer englifcßen Gouvernante;
was die Hantierung mit dem Lorgnon nicht allein macht. Man kommt auf (Horte wie
Befcheidenheit, Nüchternheit. Aber es ift eine Glanzlofigkeit, Einfachheit, dadurch etwas
Erzieherifches, auch [ehr objektiv Aufnehmendes, kein Verdrängen, nichts Unternehmen,
was vorzeitig oder unzeitgemäß Stellung oder eine Rolle nehmen hieße.
Erobdem eine feßr präzife Eleganz der Eoilette, damenhaft, abgefchüffen, korrekt,
weit entfernt von irgendwie betonter Individualität.
Sie reklamiert die derniere femme du XVH1. Auch das, wie fo vieles bei ihr, wirkt
komifch, nicht der Sache nach, fondern der Art nach, wie [ie es rein und feft ver-
trauend vorbringt. Natürlich ift etwas davon da, aber doch nur ein Schein, der viel-
leicht unwefentlich ift. Vielleicht die Schärfe und Deutlichkeit (Uatteaus, bei feiner
Süßigkeit, die deutlich gewordene reflektierte dünne Süßigkeit, das Gehaltene, nirgend
noch Abgründe überdeckende, das Poßtive der Süßigkeit eines Moments. Aber es
kommt dann anderes hinzu, eine Schärfe, Vißonäres, Reaktion auf das Durcheinander
heutiger Umgebung und vergangener Erlebniffe, ein gerlegungsbedürfnis, das Herum-
angeln und Einfangenwollen abfolut unerreichbarer Dinge, das die Phantafie fomnambul
fchaffen läßt. Unglückliche Schwäche einer ßeit, die fich Expreffionismus nennt, heroifch
fich abmühend, um die Sichtbarmachung unfiefübarer (Uelt.
Aber fie macht ein Ende mit den Männchen und (Ueibchen, die Manet und Renoir
auf ihre Art unbekümmert in einer Seit malten, in der längft andere Dinge und Be-
dürfniffe wuchfen. Dauernd blamieren fich Exponenten neuer 3eit, die heute verhimmelt
werden durch Aufdeckungen abfcheulicher Jugendzeit. Und fie gehören auch heute in
die „Jugend", man braucht nur einige neuere Requifiten beifeite zu fcf)ieben. Der-
artiges hat es in der reinen Atmofphäre Maries nie gegeben.
Sie hat keinen Lehrer gehabt, war Schüler der Akademie Fjumbert, konnte nicht ein-
mal zeichnen, wurde nie korrigiert; vielleicht fand man fie belanglos oder hoffnungslos.
Der Cicerone, XUI. [at)rg.. F)eft5 14 137
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lenn ich fchreibe, diefe Frau hat Anmut, fo tut der Begriff fein übriges und
läßt fofort Ungebetenes herankommen, einen gewiffen ungefcßiecßtiicßen Egpus,
^ ^ der fcßenkt und doct) leitet, der feßr reai vorhanden ift, wenn auch bewundernd
aufgeiöft durch Poejie und für Bequeme biond i[t. Aber diefe Maierin, da fie wirkiicf)
eine Malerin ift, nicht eine füftorifcße Berühmtheit, wie Rofa, auch nicht das fagenßafte
Maiweib der Berge und des Meeres und der verfcßwiegenen biiiigen Orte aus der
zahlreichen Mufterkollektion ift weit entfernt von jegiichem Egpus. Sie hat ein neger-
haftes Durcheinander von Haar, fträhnig, nicht zu onduiieren, pudeihaft beftenfaiis, fie
hat beinahe die Augen, die fie gerne haben möchte, nämiich in horizontaler Richtung
lang geftreckt und weit in die Schläfen hinein gebogen, ift kurzfichtig, daher immer
etwas angejtrengt kuckend, und etwas fchmerzlich unkiar, auf keinen Faii irgendwie
täufchend oder (Donnen vorfpiegeind, wie es die taufende Frauenaugen tun, die für fich
und mangels Innenraumes ohne Funktion find. (Heiter eine breite Stirn, die Albern-
heiten verbietet und in männliche Ausdrucksgebiete ftrebt. Darüber alfo diefes fträhnige
Negerhaar. Sehr gerade Nafe natürlich zu diefer Stirn und diefen breit gezogenen
Augen und ein ziemlich unfinnlicher, aber fenfibler Mund, etwas größer als fie ißn
nach ihren Bildern haben möchte. Entfernung von Mund bis Augen gibt etwas Pferde-
kopfmäßiges. Sonft ift nicht mehr viel zu fagen; ihr Körper i[t luftig und beweglich,
aber doch gemeffen in Bewegungen.
(Heitere Eigentümlichkeit das Benehmen und das Außere einer englifcßen Gouvernante;
was die Hantierung mit dem Lorgnon nicht allein macht. Man kommt auf (Horte wie
Befcheidenheit, Nüchternheit. Aber es ift eine Glanzlofigkeit, Einfachheit, dadurch etwas
Erzieherifches, auch [ehr objektiv Aufnehmendes, kein Verdrängen, nichts Unternehmen,
was vorzeitig oder unzeitgemäß Stellung oder eine Rolle nehmen hieße.
Erobdem eine feßr präzife Eleganz der Eoilette, damenhaft, abgefchüffen, korrekt,
weit entfernt von irgendwie betonter Individualität.
Sie reklamiert die derniere femme du XVH1. Auch das, wie fo vieles bei ihr, wirkt
komifch, nicht der Sache nach, fondern der Art nach, wie [ie es rein und feft ver-
trauend vorbringt. Natürlich ift etwas davon da, aber doch nur ein Schein, der viel-
leicht unwefentlich ift. Vielleicht die Schärfe und Deutlichkeit (Uatteaus, bei feiner
Süßigkeit, die deutlich gewordene reflektierte dünne Süßigkeit, das Gehaltene, nirgend
noch Abgründe überdeckende, das Poßtive der Süßigkeit eines Moments. Aber es
kommt dann anderes hinzu, eine Schärfe, Vißonäres, Reaktion auf das Durcheinander
heutiger Umgebung und vergangener Erlebniffe, ein gerlegungsbedürfnis, das Herum-
angeln und Einfangenwollen abfolut unerreichbarer Dinge, das die Phantafie fomnambul
fchaffen läßt. Unglückliche Schwäche einer ßeit, die fich Expreffionismus nennt, heroifch
fich abmühend, um die Sichtbarmachung unfiefübarer (Uelt.
Aber fie macht ein Ende mit den Männchen und (Ueibchen, die Manet und Renoir
auf ihre Art unbekümmert in einer Seit malten, in der längft andere Dinge und Be-
dürfniffe wuchfen. Dauernd blamieren fich Exponenten neuer 3eit, die heute verhimmelt
werden durch Aufdeckungen abfcheulicher Jugendzeit. Und fie gehören auch heute in
die „Jugend", man braucht nur einige neuere Requifiten beifeite zu fcf)ieben. Der-
artiges hat es in der reinen Atmofphäre Maries nie gegeben.
Sie hat keinen Lehrer gehabt, war Schüler der Akademie Fjumbert, konnte nicht ein-
mal zeichnen, wurde nie korrigiert; vielleicht fand man fie belanglos oder hoffnungslos.
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