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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921

DOI issue:
Heft 19
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Frieg, Will: Eberhard Viegener
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0573

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Eberhard Viegener

Von W/EE W/EG
ME /2 /VEjEEHngrn

Vorausfe^ungen
T**^inem Maler gegenüber einen Standpunkt einnehmen, t)eißt den Begriff Malerei in
[einer Klarheit und Böße erkennen und be[timmen. ln der Gegenwart aber, die
* ^ in das Jahrhundert der Revolutionen und des Nihilismus, in das ßoLalter der Ver-
wirrung, der Auflöfung und der (Imftellung fällt, i[t das kaum möglich, weil die Ma[[e,
die Menge jegliche Meinung macht. Die große Anzahl hat nun [tets geformt und
gefd)ät$t, was erlernbar, was wiffenfchaftlich, was demokratifch-fozialiftifch war. Faft
jeder kann heutzutage Staaten regieren, dichten, malen, bauen, Bach fpielen. (dir leben
darum im 3eitalter der größten Mittelmäßigkeit. Große Menfchheitswerke, Kulturdenk-
mäler, die Ewigkeitswerte verfinnlicßen, wurden [tets nur von Einzelnen gefcßaffen, die
fe[t in einem Volk, im Organi[chen, im Kosmifchen verwurzelt waren: die den dualifti-
fcßen Gedanken in [einer äußer[ten Polarität erfaßten und formten. Darum ift der Staat,
die Religion, die Dichtung, das Kunftwerk göttlich und menfchlich zugleich, und die Be-
griffe Infpiration, Konzeption deuten auf eine Liefe ohnegleichen. — Das Verhältnis
von Körper und Seele, von Phyfik und Metaphyfik, das in der ((läge [ein [ollte, hat
[ich in un[erer 3eit ver[d)oben. (Dir [ind zu „geiftig" geworden, und der Umgang mit
den Dingen i[t gering und mangelhaft. Spätrot umglimmt uns, und Fjerbftfarben er-
fchaut unfer Auge, (dir leben darum im Zeitalter der Kritik, der fchöpferifchen Kritik,
die der Philofophie, dem kalten winterlichen Denken die Band reicht und künftlerifche
Formen annimmt, hinter uns liegt die Mufik, die [ich in der Barockzeit von dem lebten
großen Bau[til freimachte, in Bach ihre Böhe erreichte, in Beethoven [ich fchon neigte,
in ((Iagner den Spätherbft offenbarte und in Reger den Verfall zeigte. Die Menfch-
heit begann mit Architektur, die darum die Grundlage jeder Kultur ift, wie die Allein-
herrfdßaft der Mufik den Niedergang anzeigt. Die Plaftik machte [ich zuerft frei; die
Griechen führten [ie zum Gipfel, Michelangelo durchdrang [ie fchon mit Skepfis, und in
der Neuzeit ift [ie durch Rodin malerifd) und durch Lehmbruck graphifch geworden.
Die Malerei ift ein Kind des Mittelalters. Nachdem jahrhundertelang wirkendes Chriften-
tum das Fjeidentum umgebogen hatte, und die Menfdßen in ihrer geiftigen Struktur
feiner geworden waren, konnte auch der farbige Bauch der dinglichen ((lelt flächig feft-
gehalten werden. Die Farbe als aureolenhafte Ausftattung verbindet unfere Erde mit
dem All; fie wird durch die Farben ein leuchtender Stern; ein bunter Falter, ein farben-
tönender Vogel. Malerei ift mittelalterlicher, myftifcher Farbenzauber in den Kuppeln
der cßriftlichen Kirchen, auf den dreifältigen Altären, ift buntverklärtes irdifcßes Leben
an den (Händen der Renaiffancepaläfte, ift das Aufleuchten von Bimmelsfarben im aus-
drucksvollen Kopf während der Barockzeit. Die Böhen der Malerei liegen deshalb im
Mittelalter bei Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo, Correggio, Cizian, in Italien,
das fo glücklich die Synthefe finden konnte zwifchen Rot und Blau, zwifchen der irdi-
fd)en Dingfarbe und der himmlifch geftaltenden Kraftfarbe. In Frankreich, dem Lande
der feinen, nuancierten Farbenempfindung klingt die Malerei während der Rokokozeit
ab, um im Impreffionismus des vorigen Jahrhunderts völlig zu verblinken. Expreffionis-
mus, die Gegenbewegung, die Kehrfeite des Impreffionismus, ift künftlerifcher Ausdruck,
Illuftrierung des Verfalls, ift wilde Auflehnung und Aufbäumung (Cezanne, van Gogh),
ift Auflöfung und Sprengung und Gruppierung von wirklichen Dingen zu ruinenhaften
Flächen (Picaffo, Schwitters). Der Expreffionift würfelt die verfdpedenften Gebiete durch-

Der Cicerone, XiH. Jai)rg., F)eft 19

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