Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0677
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Heft 22
DOI article:Däubler, Theodor: Bernhard Hoetger
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Von 77VE0D07?
Bernhard poctger
^)eit faft hundert Jahren gibt es keinen Stii. Das nicßt immer gleich vcrftändige
Aufneßmen gefcßicßtlicßer Bildungsarten bedeutet in jedem Sinn: Kunftverfall!
Eroftlos trocknes Mitfcßleppen akademifcßen Verkapfeltfeins oder rein perfönlicße
Selbftßerrlicßkeit einiger allerdings fcßöpferifcßen Menfcßen war das wenig fruchtbare
Ergebnis. Daß es fo nicßt weitergehen konnte, faß fcßließlicß jeder Kunftbefliffene ein!
Vor etwa 20 Jahren konnte man durch Eßeo van de Velde eine tatfäcßlicße Ge-
Jundung erhoffen; diefer begabte Baukünftler wurde aber leider nicht genügend unter-
ftüßt, hingegen verftändnis- und gewiffenlos nachgeahmt, verballhornt: er hätte uns
fonft möglicherweife eine moderne Bauweife befchert. Meffel war auch talentvoll,
taftete [ich jedoch mehr durch hergebrachtes an eine moderne Linie heran.
Bernhard Fjoetger ift vor allem Bildhauer, als folcher ftrebt er jedoch nach einer vor-
läufig gar felbftändigen Bauweife. Ohne zu Architekturaufträgen zu kommen, probt er
viel hin und her: ftellt zurück, ergänzt, verfucßt immer aufs neue etwas Endgültiges
zu erreichen. Möglicherweife ftellt er fict) in letzter geit bereits „zentral" ein; denn
fchließlich brauchen wir einen einzigen Stil, der in feiner ftrengen Gebundenheit äußerfte
Freiheit zulaffen, ja kulturell überhaupt erblühen laffen kann. Schon Nießfcße hat auf
folche unweigerliche Notwendigkeiten gewiefen!
Bekommen wir nun unfere moderne Bauart? (üird wieder einheitlich eine Richtung
befolgt, in ihr geftaltet werden? Die Fragen bleiben noch vollkommen offen; immer-
hin läßt fieß feftftellen, daß beifpielsweife in Berlin das Kunftgewerbe in fogenannter
expreffioniftifeßer Aufmachung feine Entfaltung erlebt, ohne vorläufig dem Kitfcß ver-
fallen zu fein! Das hebt es immerhin vom Jugendftil unfeligften Gedenkens ab. Es ift
ficher, daß Künftler wie Cefar Klein, Beding oder Georg Lefcßnißer imftande find, Räume
auszugeftalten, wie man fie fieß vor einigen Jahren noch nicht vorftellen konnte: die
Ergebniffe find immer durchaus künftlerifcß. Bernhard Fjoetger verköperte jahrelang die
Eragik des Sucßen-müffenden. Man faß ißn immer wieder, fieß von irgendwo los-
ringen, oßne aber eigentlich an das faft unvorftellbare giel allgemeinen Beftrebtfeins:
Stil, gelangen zu können!
Die großartige Einfachheit äggptifcßen Empfindens beßerrfeßt gewiß urfprünglicßft den
jungen Künftler. In Paris, wo Fjoetger fieß als junger Mann dureßkämpfte, fiel man
aber fcßließlicß von jeder Überlieferung ab; ganz vor dem letzten Scßlußmacßen, ver-
liebten ßcß jedoeß einige Fjocßbegabte, ißnen allen voran Picaffo, in die Negerplaftik.
gu ißr kehrten auch, einige Jahre fpäter, gar viele, nach dem entfcßloffenen Schritt ins
Gegenftandslofe, wieder zurück. Im deutfeßen Fjoetger ßat diefe geit ebenfalls einfluß-
gewinnend gewirkt. Damals ereignete fieß aber die eigentliche Eat in den darftellenden
Künften: man ftand auf einmal im Kubismus! Jüngfte Künftler erkannten Cezanne, in
einem rein formalen Sinne, vielleicht noeß tiefgründiger als er es felbft vermochte:
Derain, Delaunag, Picaffo foeßten um das große Erbteil unferergeit: Greco und Cezanne!
(Denn wir heute Fjoetgers (Uerke der leßten geit betrachten, fo feßen wir, das er
felbft es verbanden ßat, mit dem Kubismus auf perfönlicße Art fertig zu werden; feit-
dem ißm das gelungen, fteßt er, wie man fo fagt, auf feften Beinen. Durch eindring-
liches Befaffen mit Kubismus gelang es ißm fcßließlicß, die verfeßiedenen oft ßiftorifeßen,
oft exotifeßen Einftrömungen in eigenes Schöpfen, feiner Perfönlicßkeit, wie fie in unferer
geit dafteßt, anzufeßmiegen, unferm zentralen Schaffen ftilgerecßter einzugliedern. Da,
Der Cicerone, XIII. )at)rg., peft 22
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Bernhard poctger
^)eit faft hundert Jahren gibt es keinen Stii. Das nicßt immer gleich vcrftändige
Aufneßmen gefcßicßtlicßer Bildungsarten bedeutet in jedem Sinn: Kunftverfall!
Eroftlos trocknes Mitfcßleppen akademifcßen Verkapfeltfeins oder rein perfönlicße
Selbftßerrlicßkeit einiger allerdings fcßöpferifcßen Menfcßen war das wenig fruchtbare
Ergebnis. Daß es fo nicßt weitergehen konnte, faß fcßließlicß jeder Kunftbefliffene ein!
Vor etwa 20 Jahren konnte man durch Eßeo van de Velde eine tatfäcßlicße Ge-
Jundung erhoffen; diefer begabte Baukünftler wurde aber leider nicht genügend unter-
ftüßt, hingegen verftändnis- und gewiffenlos nachgeahmt, verballhornt: er hätte uns
fonft möglicherweife eine moderne Bauweife befchert. Meffel war auch talentvoll,
taftete [ich jedoch mehr durch hergebrachtes an eine moderne Linie heran.
Bernhard Fjoetger ift vor allem Bildhauer, als folcher ftrebt er jedoch nach einer vor-
läufig gar felbftändigen Bauweife. Ohne zu Architekturaufträgen zu kommen, probt er
viel hin und her: ftellt zurück, ergänzt, verfucßt immer aufs neue etwas Endgültiges
zu erreichen. Möglicherweife ftellt er fict) in letzter geit bereits „zentral" ein; denn
fchließlich brauchen wir einen einzigen Stil, der in feiner ftrengen Gebundenheit äußerfte
Freiheit zulaffen, ja kulturell überhaupt erblühen laffen kann. Schon Nießfcße hat auf
folche unweigerliche Notwendigkeiten gewiefen!
Bekommen wir nun unfere moderne Bauart? (üird wieder einheitlich eine Richtung
befolgt, in ihr geftaltet werden? Die Fragen bleiben noch vollkommen offen; immer-
hin läßt fieß feftftellen, daß beifpielsweife in Berlin das Kunftgewerbe in fogenannter
expreffioniftifeßer Aufmachung feine Entfaltung erlebt, ohne vorläufig dem Kitfcß ver-
fallen zu fein! Das hebt es immerhin vom Jugendftil unfeligften Gedenkens ab. Es ift
ficher, daß Künftler wie Cefar Klein, Beding oder Georg Lefcßnißer imftande find, Räume
auszugeftalten, wie man fie fieß vor einigen Jahren noch nicht vorftellen konnte: die
Ergebniffe find immer durchaus künftlerifcß. Bernhard Fjoetger verköperte jahrelang die
Eragik des Sucßen-müffenden. Man faß ißn immer wieder, fieß von irgendwo los-
ringen, oßne aber eigentlich an das faft unvorftellbare giel allgemeinen Beftrebtfeins:
Stil, gelangen zu können!
Die großartige Einfachheit äggptifcßen Empfindens beßerrfeßt gewiß urfprünglicßft den
jungen Künftler. In Paris, wo Fjoetger fieß als junger Mann dureßkämpfte, fiel man
aber fcßließlicß von jeder Überlieferung ab; ganz vor dem letzten Scßlußmacßen, ver-
liebten ßcß jedoeß einige Fjocßbegabte, ißnen allen voran Picaffo, in die Negerplaftik.
gu ißr kehrten auch, einige Jahre fpäter, gar viele, nach dem entfcßloffenen Schritt ins
Gegenftandslofe, wieder zurück. Im deutfeßen Fjoetger ßat diefe geit ebenfalls einfluß-
gewinnend gewirkt. Damals ereignete fieß aber die eigentliche Eat in den darftellenden
Künften: man ftand auf einmal im Kubismus! Jüngfte Künftler erkannten Cezanne, in
einem rein formalen Sinne, vielleicht noeß tiefgründiger als er es felbft vermochte:
Derain, Delaunag, Picaffo foeßten um das große Erbteil unferergeit: Greco und Cezanne!
(Denn wir heute Fjoetgers (Uerke der leßten geit betrachten, fo feßen wir, das er
felbft es verbanden ßat, mit dem Kubismus auf perfönlicße Art fertig zu werden; feit-
dem ißm das gelungen, fteßt er, wie man fo fagt, auf feften Beinen. Durch eindring-
liches Befaffen mit Kubismus gelang es ißm fcßließlicß, die verfeßiedenen oft ßiftorifeßen,
oft exotifeßen Einftrömungen in eigenes Schöpfen, feiner Perfönlicßkeit, wie fie in unferer
geit dafteßt, anzufeßmiegen, unferm zentralen Schaffen ftilgerecßter einzugliedern. Da,
Der Cicerone, XIII. )at)rg., peft 22
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