Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0175
DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:Dammann, Walter Heinrich: Landolin Ohmacht in Hamburg, [2]
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leicßte Steilfalten. Die Augen iiegen
tief, mit ieidendem Ausdruck. Pu-
pille und Blickfpiegel find plaftifcß
angedeutet, was bei Oßmacßt nur
ausnaßmweife vorkommt. Der (Han-
genfack, der ficß vom Nafenfattel
ßer um die Mundwinkel herumzieht,
ift ftark ausgebildet. Der dünne und
nicht feßr breite Mund ift in der
Mitte ganz leicht geöffnet, fo daß
die Unterlippe etwas vorkommt. Die
Mundlinie verläuft auffallend wellig;
die Mittelfpalte der Unterlippe ift ftark
ausgebildet; die zahlreichen Vertikal-
falten an beiden Lippen geben dem
ganzen Geficht einen feßr ungewöhn-
lichen, höchft perfönlichen Ausdruck:
etwas von wohlwollender Ablehnung,
von abgeklärter Rclativitäterkenntnis,
die der Durchfcßnittpfycßologe, der
das (Hiffen um Leid in diefem Ant!it$
nicht fieht, als ißerzenskälte empfin-
det — kurz, das Charakterbild ift fo,
daß die Vermutung, es fei der Dom-
herr Meyer dargeftellt, begreiflich er-
fcheint, folange man nur an feine
Schriften denkt. Aber es find mehrere
gute Bildniffe des Domherrn vor-
handen — er fah ganz anders aus.
(Her alfo kann es fein? Zweifellos
nur eine im damaligen Hamburg nicht
alltäglich wirkende Perfönlicßkeit;
zweifellos jemand, den Ohmacht mit
befonderer Eindringlichkeit ftudierte, oder aus großer Fjerzensnäße genau kannte. Man
könnte woßl an Büfch denken; aber auch der hatte mit unferem Unbekannten nur wenig
Ähnlichkeit . . . Um es gleich ßerauszufagen: es fcßeint, als hätten wir in diefem
Bilde Ohmacht felbft vor uns. Die halsfreie Eracht mit dem kittelartigen Überrock
entfpräche dem (Uerkanzug des Meifters. Die Geficßtsäßnlicßkeit konnte bisher nur
mit dem Ohmachtbildnis in Rohrs Schrift verglichen werden; es reproduziert einen
Steindruck, deffen Urheber Rohr nicht nennt; er ift wohl unter den Oßmacßt-
porträtiften zu fuchen, die er auf S. 35 nennt: Beyer, Flaxland oder Simon. Der Mann
der Lithographie ift derber, bäurifeßer, man möchte fagen: borftiger, als der unferes
Bildes. Aber wichtige Züge find zweifellos gleich: die Kopfform, das Verhältnis von
Geficßtsßöße zu Stirnhöhe, die Fjaartracßt, die (Hangenform; die Nafe der Lithographie
ift dicker, unförmlicher, aber oben genau fo angefet$t. Völlig gleich find die eigenartig
geformte linke Braue und vor allem der ganz ungewöhnliche, entfeßeidend cßarakter-
gebende Mund. Am Straßburger Scßloßmufeum fteßt eine Marmorbüfte OßmaclVs, die
fein Schüler Graß anfertigte. Diefe müßte mit unferem Bildwerk verglichen werden.
Landolin Oßmacßt. Kiopftockbüfte. Marmor.
Rambnrgifd)es Mu)eum fiir Kunff und Gewerbe.
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tief, mit ieidendem Ausdruck. Pu-
pille und Blickfpiegel find plaftifcß
angedeutet, was bei Oßmacßt nur
ausnaßmweife vorkommt. Der (Han-
genfack, der ficß vom Nafenfattel
ßer um die Mundwinkel herumzieht,
ift ftark ausgebildet. Der dünne und
nicht feßr breite Mund ift in der
Mitte ganz leicht geöffnet, fo daß
die Unterlippe etwas vorkommt. Die
Mundlinie verläuft auffallend wellig;
die Mittelfpalte der Unterlippe ift ftark
ausgebildet; die zahlreichen Vertikal-
falten an beiden Lippen geben dem
ganzen Geficht einen feßr ungewöhn-
lichen, höchft perfönlichen Ausdruck:
etwas von wohlwollender Ablehnung,
von abgeklärter Rclativitäterkenntnis,
die der Durchfcßnittpfycßologe, der
das (Hiffen um Leid in diefem Ant!it$
nicht fieht, als ißerzenskälte empfin-
det — kurz, das Charakterbild ift fo,
daß die Vermutung, es fei der Dom-
herr Meyer dargeftellt, begreiflich er-
fcheint, folange man nur an feine
Schriften denkt. Aber es find mehrere
gute Bildniffe des Domherrn vor-
handen — er fah ganz anders aus.
(Her alfo kann es fein? Zweifellos
nur eine im damaligen Hamburg nicht
alltäglich wirkende Perfönlicßkeit;
zweifellos jemand, den Ohmacht mit
befonderer Eindringlichkeit ftudierte, oder aus großer Fjerzensnäße genau kannte. Man
könnte woßl an Büfch denken; aber auch der hatte mit unferem Unbekannten nur wenig
Ähnlichkeit . . . Um es gleich ßerauszufagen: es fcßeint, als hätten wir in diefem
Bilde Ohmacht felbft vor uns. Die halsfreie Eracht mit dem kittelartigen Überrock
entfpräche dem (Uerkanzug des Meifters. Die Geficßtsäßnlicßkeit konnte bisher nur
mit dem Ohmachtbildnis in Rohrs Schrift verglichen werden; es reproduziert einen
Steindruck, deffen Urheber Rohr nicht nennt; er ift wohl unter den Oßmacßt-
porträtiften zu fuchen, die er auf S. 35 nennt: Beyer, Flaxland oder Simon. Der Mann
der Lithographie ift derber, bäurifeßer, man möchte fagen: borftiger, als der unferes
Bildes. Aber wichtige Züge find zweifellos gleich: die Kopfform, das Verhältnis von
Geficßtsßöße zu Stirnhöhe, die Fjaartracßt, die (Hangenform; die Nafe der Lithographie
ift dicker, unförmlicher, aber oben genau fo angefet$t. Völlig gleich find die eigenartig
geformte linke Braue und vor allem der ganz ungewöhnliche, entfeßeidend cßarakter-
gebende Mund. Am Straßburger Scßloßmufeum fteßt eine Marmorbüfte OßmaclVs, die
fein Schüler Graß anfertigte. Diefe müßte mit unferem Bildwerk verglichen werden.
Landolin Oßmacßt. Kiopftockbüfte. Marmor.
Rambnrgifd)es Mu)eum fiir Kunff und Gewerbe.
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