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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921

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Heft 8
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Basler, Adolphe: Pablo Picasso und der Kubismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0263

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Pablo Picaffo und der Kubismus
Af/7 3 Von ADOAP//E /M-SPEP

T^\as Künftlerifche i[t heute zu einer Sad)e geworden, die keiner Kontrolle unterliegt,
y Ein inhaltsloser Gemeinplaß. Die fchöpferifche Persönlichkeit fteht daher vor
dem Problem wie die in unSeren feiten So mechanisierte KunSt zu vermenschlichen
Sei, wie fie zu einer erSinderiSchen KraSt zu machen Sei, die imstande wäre, aus den
Formen des DaSeins einen neuen, noch unbekannten Räuber hervorzubringen. —
Am weitesten ging in dieSem Streben PicaSSo. Von Cezannes Lehre über die Kon-
struktion ausgehend, gelangte er auS der Suche nach vollkommen aus den normalen
Proportionen befreiten Formen zu jenen Schöpfungen der Phantafie, die bei den Völkern
ohne Gefchichte als Fetifche entstanden find. Blöcke mit grotesken Deformationen und
elementarem Ausdruck, groß durch ihren primitiven Charakter, die die primitivfte Meta-
phyfik — die Furcht vor den Mächten der Natur zufammenfaffen, konnten einzig nur
noch diefe befondere Persönlichkeit in der modernen KunSt und die ganze ihm folgende
junge Generation von Malern anziehen. Denn diefe verharrten in Uliderwillen gegen
den entarteten griechifch-römifchen Klaffizismus und gegen das Virtuofentum der Spieß-
bürgerlichen Maler und kehren jeßt zu den Formen zurück, die die wilden Völker am
Kongo gefchaffen haben und betrachten diefe Formen als die genetifchften und jene
Kunft als die fubjektivfte.
Betrachten wir aber die Bilder Picaffos, fo bemerken wir noch etwas anderes als
das kubiftifche Schema der Deformation, welche die Gruppe junger franzöfifcher Maler
übernommen hat, ohne über die Natur diefer Auffaffung tiefer nachzudenken. In diefen
Bildern Spricht Picaffo ganz deutlich feine Empörung gegen alle bisher verpßicßtenden
Konventionen in der Kunft aus. Es Scheint, als wären diefe Bilder in der Halluzination
entstanden, in einem Hirn, dem Flächen in völlig unlogifcher Perfpektive, in völlig ver-
kehrter Anordnung der Linien vorfchweben. Es find dies Vifionen der Formen im Raum,
deren Inhalt die Architektur der Linien und losgeriffener Flächen ausmachen. (Denn
wir diefes abftrakte, aber dennoch empßndfame Lineament anfehauen, wenn wir fehen,
wie treu die Farbe fiel) mit der Linie verbindet, wenn wir jenen geometrifchen Rhyth-
mus bewundern, der fiel) in diefen Bildern befindet, fo gelangen wir zu der Über-
zeugung, daß diefer Künftler — deffen Bilder aus der blauen Epoche nur als jugendlich
Sentimentale Romanzen und die in den leßten fieben Jahren mit klaffifcßer Pofe auf-
gefaßten Zeichnungen und Malereien leider als Konzeffionen eines verzweifelten Erfinders
betrachtet werden können — mit feiner Natur vifionär einer anderen (üelt angehört.
Sollte jener Spanier, der die größten Kunftkenner beunruhigt, durch natürlichen Atavis-
mus feine Auffaffung der Kunft von jenen alten Bewohnern Spaniens ableiten, jenen
altmauritanifchen Architekten und Keramikern, die in diefem Lande neben höchften
Neigungen zur Abftraktion fo manche fchöne Tradition ßinterlaffen haben? Denn es
ßnd weniger fpanifche als arabifeße Merkmale, die fiel) in diefer ganz neuen Symbolik
der Naturformen kundgeben, einer Symbolik, die aus einer höchft abftrakten Auf-
faffung der Kunft entstanden ift. Schon Matiffe ftrebte zu einer dematerialifierten, ab-
strakten Syntßefe der Natur durch die Struktur der Form, die nur auf ihre Funktionen
reduziert wird. Aber die Fläche geftaltete er als ßaeßes Ornament. Picaffo leitet da-
gegen die Funktionen der Formen aus einer dreidimensionalen Auffaffung der Fläche
ab. Nicht durch die Mechanik der Perfpektive, Sondern durch die Dynamik der auf

Der Cicerone, X!U. Jat)rg., geft 8

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