Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0505
DOI issue:
Heft 17
DOI article:Biermann, Georg: Kunstwende: die neue Kunst als soziologisch-psychologisches Problem
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ließ in der geit felbft tief verankerten gentren fcßöpferifcßen (Hillens nacß-
zugeßen, die mit dem (Herden einer neuen (Heit auch das (Hefen einer heute erft
in ißren Anfängen erkennbaren, aber fieß deutlich) bereits formenden Kunft begreifen
machen.
Von welcher Seite man fieß aber auch) diefen Hatfacßen nähern mag — ob geftüßt
auf rein äftßetifcße Betrachtung oder getragen von der Idee völkerpfycßologifcßer Ge-
gebenheit — eines wird man unfcßwer erkennen und damit als feftftehend annehmen
dürfen, daß nämlich) hinter dem neuen Bilde in der Kunft diefer geit auch die Gefinnung
einer neuen Menfcßßeit fteßt und daß, fo feßr fich) auch der Schöpfer als jenfeits des
fonftigen geitgefcßeßens empfinden mag, fein (Herk im lebten ausfcßließlicß von den
Quellen gefpeift wird, die aus dem Nährboden eines felbft die Erdteile überbrückenden
neuen Geiftes ans Hageslicht drängen. Der Künftler aber, dem von jeher eine befon-
ders feine (Hitterung in die geit hinein eigen war, ift in (Hirklicßkeit auch der Prophet
des Kommenden.
Das Bild der jungen Kunft aber mutete auf den erften Blick weniger cßaotifcß an,
als es der Fall ift, wenn der Geift der neuen geit felbft bereits den (Heg gefunden
hätte, der zu einem lebten großen giele ßinfüßrt. Diefes felbft befteßt vorerft mehr in
der dunklen Atmung all derer, die inftinktiv empfinden, daß überall da, wo der Geift
zur Aktivität vorftößt, auch ein den Völkern des Kontinents (um nicht zu fagen: der (Heit)
gemeinfamer Fjorizont die Blickweite des menfcßlicßen Intellekts begrenzt und daß
irgendwo in der Ferne ein Punkt befteßt, von dem aus eine neue (Heltanfcßauung den
Sieg über die Erde erringen wird. Für Europa im befonderen bedeutet heute fcßon
der Hniverfalismus des Oftens einen nicht zu unterfcßä^enden Born junger Kraft, der
vielleicht imftande ift, den ermatteten Organismus des weftlicßen Kontinents noch ein-
mal für ein Jaßrtaufend und meßr lebensfähig zu machen. Faft könnte man oßne
Übertreibung behaupten, daß wir alle längft die Pilgerfcßaft zu den alten (Heifen Indiens
angetreten haben.
Für das Verftändnis der neuen Kunft find aber diefe allgemeinen Andeutungen durch-
aus meßt fo nebenfäcßlicß, wie es vielleicht im erften Augenblick feßeinen könnte.
Denn ftärker als der alltägliche Menfcß es vermag, der nur unter den Begleiterfcßei-
nungen eines materiell beengten Dafeins leidet und das Leben an fieß immer nur im
Gleichmaß der Stunden des Fjeute und Morgen empfindet, wird der Künftler in den
Bann des eigentlichen geiftigen Gefcßeßens diefer geit hineingezogen. Ift er Schöpfer
und produktiver Geftalter — und nur als folcßer ift er waßrßaft Künftler — fo ift er
zugleich auch Fjorcßer in die geit hinein und nießt weniger Gefäß all jener Strömungen,
die einer neuen Sgntßefe der Menfcßßeit den (Heg baßnen. So wird er, feiner eigent-
lichen Situation fieß in vielen Fällen kaum bewußt, Schöpfer aus Intuition im Sinne
eines Neuen und Kommenden, weil er, bewegt von jenen Energien, die auch dem
fcßärfften Beobachter erft unbewußt fühlbar, in feinem (Herk jene Formung fueßt, die
gewiffermaßen ein Symbol auf das fpirituelle (Heltgefcßeßen fein foll. In diefer Periode
des Übergangs aber, die letzte Fjarmonie noch lange nießt verfprießt, wird er zunäcßft
— weil es gar nießt anders denkbar ift — fcßöpferifcß nach irgendeiner Seite ßin
untertauchen in dem Meer leidenfcßaftlicßer Erregung, die heute die Erde durchzittert.
Hragifcß ift feine Miffion in jedem Fall, denn billige Bejahung im Sinne jener maleri-
feßer Routine vertrauenden Impreffioniften der lebten Vergangenheit geftattet die Gegen-
wart nießt meßr. (Das allein ift Sache der Allzuvielen, die auf Akademien mit kümmer-
licher Fingerfertigkeit ein unvollkommen begriffenes Fjandwerk erlernt haben.) Irgendwie
muß er Bekenner fein, foll an feinem (Herk die gukunft felbft erftarken. Dies Be-
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zugeßen, die mit dem (Herden einer neuen (Heit auch das (Hefen einer heute erft
in ißren Anfängen erkennbaren, aber fieß deutlich) bereits formenden Kunft begreifen
machen.
Von welcher Seite man fieß aber auch) diefen Hatfacßen nähern mag — ob geftüßt
auf rein äftßetifcße Betrachtung oder getragen von der Idee völkerpfycßologifcßer Ge-
gebenheit — eines wird man unfcßwer erkennen und damit als feftftehend annehmen
dürfen, daß nämlich) hinter dem neuen Bilde in der Kunft diefer geit auch die Gefinnung
einer neuen Menfcßßeit fteßt und daß, fo feßr fich) auch der Schöpfer als jenfeits des
fonftigen geitgefcßeßens empfinden mag, fein (Herk im lebten ausfcßließlicß von den
Quellen gefpeift wird, die aus dem Nährboden eines felbft die Erdteile überbrückenden
neuen Geiftes ans Hageslicht drängen. Der Künftler aber, dem von jeher eine befon-
ders feine (Hitterung in die geit hinein eigen war, ift in (Hirklicßkeit auch der Prophet
des Kommenden.
Das Bild der jungen Kunft aber mutete auf den erften Blick weniger cßaotifcß an,
als es der Fall ift, wenn der Geift der neuen geit felbft bereits den (Heg gefunden
hätte, der zu einem lebten großen giele ßinfüßrt. Diefes felbft befteßt vorerft mehr in
der dunklen Atmung all derer, die inftinktiv empfinden, daß überall da, wo der Geift
zur Aktivität vorftößt, auch ein den Völkern des Kontinents (um nicht zu fagen: der (Heit)
gemeinfamer Fjorizont die Blickweite des menfcßlicßen Intellekts begrenzt und daß
irgendwo in der Ferne ein Punkt befteßt, von dem aus eine neue (Heltanfcßauung den
Sieg über die Erde erringen wird. Für Europa im befonderen bedeutet heute fcßon
der Hniverfalismus des Oftens einen nicht zu unterfcßä^enden Born junger Kraft, der
vielleicht imftande ift, den ermatteten Organismus des weftlicßen Kontinents noch ein-
mal für ein Jaßrtaufend und meßr lebensfähig zu machen. Faft könnte man oßne
Übertreibung behaupten, daß wir alle längft die Pilgerfcßaft zu den alten (Heifen Indiens
angetreten haben.
Für das Verftändnis der neuen Kunft find aber diefe allgemeinen Andeutungen durch-
aus meßt fo nebenfäcßlicß, wie es vielleicht im erften Augenblick feßeinen könnte.
Denn ftärker als der alltägliche Menfcß es vermag, der nur unter den Begleiterfcßei-
nungen eines materiell beengten Dafeins leidet und das Leben an fieß immer nur im
Gleichmaß der Stunden des Fjeute und Morgen empfindet, wird der Künftler in den
Bann des eigentlichen geiftigen Gefcßeßens diefer geit hineingezogen. Ift er Schöpfer
und produktiver Geftalter — und nur als folcßer ift er waßrßaft Künftler — fo ift er
zugleich auch Fjorcßer in die geit hinein und nießt weniger Gefäß all jener Strömungen,
die einer neuen Sgntßefe der Menfcßßeit den (Heg baßnen. So wird er, feiner eigent-
lichen Situation fieß in vielen Fällen kaum bewußt, Schöpfer aus Intuition im Sinne
eines Neuen und Kommenden, weil er, bewegt von jenen Energien, die auch dem
fcßärfften Beobachter erft unbewußt fühlbar, in feinem (Herk jene Formung fueßt, die
gewiffermaßen ein Symbol auf das fpirituelle (Heltgefcßeßen fein foll. In diefer Periode
des Übergangs aber, die letzte Fjarmonie noch lange nießt verfprießt, wird er zunäcßft
— weil es gar nießt anders denkbar ift — fcßöpferifcß nach irgendeiner Seite ßin
untertauchen in dem Meer leidenfcßaftlicßer Erregung, die heute die Erde durchzittert.
Hragifcß ift feine Miffion in jedem Fall, denn billige Bejahung im Sinne jener maleri-
feßer Routine vertrauenden Impreffioniften der lebten Vergangenheit geftattet die Gegen-
wart nießt meßr. (Das allein ift Sache der Allzuvielen, die auf Akademien mit kümmer-
licher Fingerfertigkeit ein unvollkommen begriffenes Fjandwerk erlernt haben.) Irgendwie
muß er Bekenner fein, foll an feinem (Herk die gukunft felbft erftarken. Dies Be-
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