! Lrscbeint
13. Ä1ÜLÜ. E fünften u^zwanzigsten
Derausgeber:
Ferdtnand Nvenartus.
Kestellpreis:
vierteljährlich 21/2 Mark.
Zabrg. I.
Dus Donzerl-Minvesen
Übertreibung, mit welcher heutzutage die
in Haus uud Lamilie gepflegt wird,
drückt auch dem öffentlichen Musiktreiben iu
Konzertsälen ein seltsames Gepräge aus.
Das j)ublikum klagt über das Zuviel der öffentlichen
Ronzerte; die j^resse warnt und spottet, die Ronzert-
geber setzen Geld dabei zu — und doch gebiert jeder
neue Tag neue Aussührungen! Daß die Musikpflege
im ^ause und in den pensionen, wo unsere jungen
Mädchen, die Mütter kommender Geschlechter, erzogen
werden, krankhaste Formen angenommen hat, wird
von keiner Seite bestritten. Don der gemütsbildenden
sanften Macht der Tonkunst auf die Zugend ist dabei
kaum mehr die Rede. Der Musikkultus, eigentlich
nur mehr Alavierkultus, ist zu esnem Formelspiel
herabgesunken. Fingerbewegung und modisches Nach-
äffen ist an die Stelle tieferen Verständnisses getreten.
Und während keine Runst so ungeheuerlich bevorzugt
wird, wie die Nlusik, liegt doch bei keiner die Be-
kanntschast mit ihren inneren Schönheitsgesetzen, ja
selbst mit ihrer Geschichte, so sehr im Argen, wie
eben bei der Tonkunst. Ls wird zuviel Nlusik ge-
macht und zu wenig Aiusik empsunden. Das
entsetzliche Alaviergespiele geht nicht tiefer als etwa
vor hundert Zahren das Französisch-parlieren. Uian
macht es mit, weil es Aiode, nicht weil es zweck-
mäßig oder Bedürsnis ist.
Diese Thatsache muß man zuvörderst in Betracht
ziehen, um zu wissen, wie das j)ublikum bestellt
ist, für welches die Ronzerte gegeben werden. In-
solge der verkehrten Alusiküberfütterung im Hause
und in der pension, sind alle ernsteren Znteressen
sür die Litteratur, für die j)oesie, sa selbst sür das
Theater (soweit es sich nicht um die Oper handelt)
verkümmert. Nlan läuft ins Konzert, wenn Lserr ^
spielt oder Frau Z singt, oder wenn das „berühmte"
neue werk von b) ausgeführt wird. Zn den politischen
Zeitungen, deren viele die allerunfähigsten Leute zu
Musikreserenten haben, werden in jeder Saison eine
Anzahl Namen und werke bezeichnet, die nunmehr
„in Mode kommen". Diesen Namen läust unser
Ronzertpublikum nach, kritiklos, weil die ästhetischen
Gesetze und die historische Urteilssähigkeit ganz unent-
wickelt geblieben sind; und weil kein sestes Gesetz sür
die Nlenge existiert, nach welchem sie das Musikurteil
bilden könnte, so ist der sogenannte Musikgenuß etwas
rein eingebildetes. Statt Trkenntnis und Gefühl
herrscht (besten Falles) Schwärmerei und Übertreibung
vor, und jene Runst, welche uns in reinere Sphären
erheben, unser Lmpfinden veredeln, ein unbewußtes
Spiegelbild des absolut ^chönen vermitteln soll, ent-
nervt unser Geistesleben und benimmt Zeit und Rraft,
die man der Mege klarcr und wichtiger Dinge, zu
denen wir Litteratur, poesie und Geschichte zählen,
widmen müßte. Das T. publikum hat keine Zeit,
Bücher zu lesen. Aber in Konzerte zu lausen, wenn
die Nlode, das Mitschwatzenwollen, es verlangt, dazu
reicht die Zeit aus.
Sucht das jDublikum nun in Aonzerten weniger
den Musikeindruck als vielmehr die Zerstreuung, so
richten sich selbstverständlich die btonzertgeber darauf
ein. Mer ein Konzert giebt, sucht zuvörderst einen
„Namen" an die Spitze zu bekommen oder solche
Stücke vorzusühren, die gerade Mode sind. Ts hilst
dem Konzertgeber nichls, wenn er einen Geiger ge-
wänne, der wie Sarasate spielen würde. Sarasate
dagegen könnte ausnahmsweise ganz schlecht spielen,
so wäre das Tntzücken sicher. Denn der „berühmte
Name" thut IDunder, die Alode. „Fsaben Sie Sara-
sate gehört? Zn B. hat er tooo Thaler für seine
Autwirkung bekommen; der Fürst zu G. hat ihm den
höchsten Grden umgehängt; ach, die dunkeln Augen;
— ms —
13. Ä1ÜLÜ. E fünften u^zwanzigsten
Derausgeber:
Ferdtnand Nvenartus.
Kestellpreis:
vierteljährlich 21/2 Mark.
Zabrg. I.
Dus Donzerl-Minvesen
Übertreibung, mit welcher heutzutage die
in Haus uud Lamilie gepflegt wird,
drückt auch dem öffentlichen Musiktreiben iu
Konzertsälen ein seltsames Gepräge aus.
Das j)ublikum klagt über das Zuviel der öffentlichen
Ronzerte; die j^resse warnt und spottet, die Ronzert-
geber setzen Geld dabei zu — und doch gebiert jeder
neue Tag neue Aussührungen! Daß die Musikpflege
im ^ause und in den pensionen, wo unsere jungen
Mädchen, die Mütter kommender Geschlechter, erzogen
werden, krankhaste Formen angenommen hat, wird
von keiner Seite bestritten. Don der gemütsbildenden
sanften Macht der Tonkunst auf die Zugend ist dabei
kaum mehr die Rede. Der Musikkultus, eigentlich
nur mehr Alavierkultus, ist zu esnem Formelspiel
herabgesunken. Fingerbewegung und modisches Nach-
äffen ist an die Stelle tieferen Verständnisses getreten.
Und während keine Runst so ungeheuerlich bevorzugt
wird, wie die Nlusik, liegt doch bei keiner die Be-
kanntschast mit ihren inneren Schönheitsgesetzen, ja
selbst mit ihrer Geschichte, so sehr im Argen, wie
eben bei der Tonkunst. Ls wird zuviel Nlusik ge-
macht und zu wenig Aiusik empsunden. Das
entsetzliche Alaviergespiele geht nicht tiefer als etwa
vor hundert Zahren das Französisch-parlieren. Uian
macht es mit, weil es Aiode, nicht weil es zweck-
mäßig oder Bedürsnis ist.
Diese Thatsache muß man zuvörderst in Betracht
ziehen, um zu wissen, wie das j)ublikum bestellt
ist, für welches die Ronzerte gegeben werden. In-
solge der verkehrten Alusiküberfütterung im Hause
und in der pension, sind alle ernsteren Znteressen
sür die Litteratur, für die j)oesie, sa selbst sür das
Theater (soweit es sich nicht um die Oper handelt)
verkümmert. Nlan läuft ins Konzert, wenn Lserr ^
spielt oder Frau Z singt, oder wenn das „berühmte"
neue werk von b) ausgeführt wird. Zn den politischen
Zeitungen, deren viele die allerunfähigsten Leute zu
Musikreserenten haben, werden in jeder Saison eine
Anzahl Namen und werke bezeichnet, die nunmehr
„in Mode kommen". Diesen Namen läust unser
Ronzertpublikum nach, kritiklos, weil die ästhetischen
Gesetze und die historische Urteilssähigkeit ganz unent-
wickelt geblieben sind; und weil kein sestes Gesetz sür
die Nlenge existiert, nach welchem sie das Musikurteil
bilden könnte, so ist der sogenannte Musikgenuß etwas
rein eingebildetes. Statt Trkenntnis und Gefühl
herrscht (besten Falles) Schwärmerei und Übertreibung
vor, und jene Runst, welche uns in reinere Sphären
erheben, unser Lmpfinden veredeln, ein unbewußtes
Spiegelbild des absolut ^chönen vermitteln soll, ent-
nervt unser Geistesleben und benimmt Zeit und Rraft,
die man der Mege klarcr und wichtiger Dinge, zu
denen wir Litteratur, poesie und Geschichte zählen,
widmen müßte. Das T. publikum hat keine Zeit,
Bücher zu lesen. Aber in Konzerte zu lausen, wenn
die Nlode, das Mitschwatzenwollen, es verlangt, dazu
reicht die Zeit aus.
Sucht das jDublikum nun in Aonzerten weniger
den Musikeindruck als vielmehr die Zerstreuung, so
richten sich selbstverständlich die btonzertgeber darauf
ein. Mer ein Konzert giebt, sucht zuvörderst einen
„Namen" an die Spitze zu bekommen oder solche
Stücke vorzusühren, die gerade Mode sind. Ts hilst
dem Konzertgeber nichls, wenn er einen Geiger ge-
wänne, der wie Sarasate spielen würde. Sarasate
dagegen könnte ausnahmsweise ganz schlecht spielen,
so wäre das Tntzücken sicher. Denn der „berühmte
Name" thut IDunder, die Alode. „Fsaben Sie Sara-
sate gehört? Zn B. hat er tooo Thaler für seine
Autwirkung bekommen; der Fürst zu G. hat ihm den
höchsten Grden umgehängt; ach, die dunkeln Augen;
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