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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Reimann, Georg: Unsere Rechtsanwälte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0109

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IO

MODERNE KUNST.

stuhl zurückgelehnt, den wer weiss welch' ein Zufall einmal hieher ver'
schlagen, ruht mit der jovialsten Miene von der Welt ,der Justizrath
gleich ausgezeichnet als Koch wie als Anwalt — man erzählt sich di e
wunderlichsten Historien von den exclusiven Diners, die er giebt, b el
deren jedem ein Paar neu von ihm erfundener Gänge aufgetragen werdeüi
— und gleich gefürchtet von Richtern wie Collegen: denn er hat eiü e
scharfe Zunge und weiss sie zu brauchen. Er ist auch der Witzbold i 111
Anwaltszimmer und nie um ein Wort verlegen, wenn es gilt. Eben ei' st
hat er drüben den langen Rechtsanwalt Bär erblickt, der, ein Actenstück
unter’m Arm, von dessen Schwanz weithin die Firma „Nordstern“ leuchteh
mit behaglicher Miene dreinschaut, und schon recitirt er mit sonoreH 1
Organ das Stimmengewirr übertönend:

Im Anwalts -Zimmer.

Platz in Verzweiflung zu bringen. Von den Robenschränken ist der eine
geöffnet, und lässt in Verbindung mit dem einsamen Hut und Mantel in der
Ecke erkennen, dass einer der Collegen durch einen missvergnügten Richter
mit einem noch frtiheren Termine gekränkt worden ist. Sonst alles noch
verschlafen und über dem Ganzen eine schräge melancholische November-
sonne, die eben über das Dach des Quergebäudes drüben emporklettert.

Zwei Stunden später, und welch’ ein anderes Bild in diesem Zimmer!
Die stille Morgenstimmung ist einem lauten Hin und Wieder gewichen;
ein ewiges Kommen und Gehen. Die Thür steht nicht still. Da sitzen
und stehen die Herren Anwälte in den weitärmeligen schwarzen Talaren
mit den breiten Seidenaufschlägen bunt durcheinander, alte und junge,
geheime Justizräthe und gestrige Assessoren, germanische Reckengestalten
und kleine behende Schwarzköpfe semitischen Ursprungs, gemischte • und
ungemischte, wie sie technisch näher unterschieden werden. In blauen
Strichen zieht der Tabaksrauch durch den Raum und verbindet mit
schwanken Fäden die einzelnen Gruppen. Die einen frühstücken schon
und lassen sich die mitgebrachten Schinkensemmeln zum Gläschen Cognac
wohl schmecken, oder genehmigen sich eine „kleine Weisse“ — dabei
plaudern sie vom Wetter und Theater; die andern erörtern mit lebhaften
Gestikulationen einen schwierigen Rechtsfall, über den sie sich durchaus
nicht einigen können; noch andere besprechen einen dunklen Paragraphen
der Gebührenordnung—ja schlechte Menschen behaupten, dass man öfter
als irgend eine and’re hier die Frage hören könne: ,,Herr College, was
meinen Sie; wie würden Sie wohl liquidiren, wenn . .?“ Dort wieder steht
einer eifrig suchend vor dem Bücherschrank und schlägt unter Flüchen
schon den zwanzigsten Band vergeblich auf; an dem immer heftiger aus-
gestossenen Rauch der Cigarre merkt man das Anwachsen seines Zornes.
Drüben endlich, am äussersten Ende des Tisches, in den einzigen Schaukel-

„Dort oben hoch und hehr
Da steht der grosse Bär. —

Er trägt mit stillem Glanz

Den Nordstern in dem Schwanz!"

Und ein allgemeines Gelächter belohnt seinen Einfall. —

Draussen aber auf den Corridoren geht es derweil nicht minder
haft zu. Da wimmeln sie umher, die Zeugen und Parteien, gefasst wartend
die einen, ungeduldig kommend die andern, dazwischen mit neugiei' 1^
gleichgültigen Gesichtern die „Criminalstudenten“, jenes seltsame Völkcheü>
das hier nichts zu suchen hat und doch beständig im Suchen begrifl etl
ist, nach einem Scandalprocesschen, einem belehrenden Diebstahlsfall, A el
angenehmen Aufregung, Andere wegen einer That verurtheilt zu seheüi
die man selber neulich in ganz ähnlicher Weise begangen, oft auch n 111
nach einem warmen Zimmer — alles in allem keine gerade Vertrauen ef'
weckende Gesellschaft. Nur die Eine, die auf der Bank neben der Stati ,c
der Justitia Posto gefasst, als wolle sie sich sichtlich in den mächtig en
Schutz der Göttin dieses Hauses begeben, macht eine Ausnahme. Sie ist
zierlich, nicht ohne Eleganz gekleidet, das helle Sonnenschirmchen sieh
nach der „letzten Neuheit“ aus; der blassrosa Schleier verhüllt ein no c^
jugendliches Gesicht. Sie sitzt schon geraume Zeit hier; fast scheint eS>
als mustere sie die Rechtsanwälte, die aus dem Versammlungszirnm cl
tretend an ihr vorbei müssen. Denn soviel als einer alleinsitzenden Dan 113
der Anstand erlaubt, wirft sie rasche prtifende Blicke auf jeden, der voi
beikommt. Ja ein paar Mal hat schon die Spitze ihres Fusses gezuckb
als wolle sie aufsteh’n und an einen der Talare herantreten. Aber A el
alte schien ihr wohl zu alt, und der junge zu jung zu sein. Jetzt endli^ 1
hat sie Muth gefasst: der mittelaltrige mit dem Ring an der rechten Ha llC*
muss ihr Vertrauen erweckt haben.

,,Um Verzeihung, Herr Rechtsanwalt.“

Bitte sehr, mein Fräulcin-?
 
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