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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Lenbach, Ernst: Donnerwetter: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0124

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2S

MODERNE KUNST.

„Donnerwetter!“ anwortete er. Ich sah ihn wohl etwas erstaunt an,
denn bis dahin war mir an meinem Namen nichts aufgefallen, was einen
so lebhaften Ausdruck der Verwunderung rechtfertigte. Nebenbei klang
dieser Ausruf in der piepsigen Stimme, begleitet von dem hülflosen Blick
der wasserblauen Augen, entschieden komisch.

„Donnerwetter!“ wiederholte er. „Ich bin Lehrer in dem Dorfe da
drüben und heisse Gottlieb Donnerwetter.“

„So, so!“ sagte ich. „Sehr angenehm.“

„Ich sage es nicht gern,“ fuhr er fort, „es klingt so . . .“

Es klang allerdings „so“, besonders wie er den Namen aussprach,
mit starker Betonung der ersten Silbe und einer Pause danach: „Gott —
lieb Donnerwetter!“

„Nun, es ist ja ein ganz volltönender Name,“ meinte ich.

„Ach,“ versetzte er kläglich, „sagen Sie das nicht, mein verehrter
Herr Doctor. Das ist es ja gerade. Ich sage Ihnen, dieser Name ist das
Schicksal meines Lebens.“

„Er beweist nur, dass Sie von sehr kraftvollen, ja gefürchteten Vor-
fahren abstammen,“ sagte ich.

Er nickte traurig und ergeben. „Da brauche ich gar nicht
weit zu suchen,“ erwiderte er, „mein Vater, der war Ober-
wachtmeister bei den Gensdarmen, ein Mann sechs Fuss hoch,
mit langem Vollbart, und konnte mit der Hand ein grosses
Fass Bier stemmen, als wäre es ein Zündholzdöschen. Ja,
wenn der seinen Namen sprach, da glaubte man dran. Aber
meine Mutter, die. früh starb, das war eine kleine, zarte Frau,
und ich bin ihr wohl ganz nachgeschlagen. Ich war immer ein
schwächliches Kind, mein
Vater nannte mich nur
das Knirpschen. Er hatte
mich sehr lieb, aber er
fürchtete sich ordentlich,
mich mal lieb zu halten.
geschweige michzu schla-
gen, damit ich riicht unter
seiner grossen Hand ganz
verginge. Wie ein Vögel-
chen fasste er mich an,
und so erzog er mich
auch. Aber hernach, als
ich dann in die Schule
kam und später unter
die Leute, da fing das
Elend an, mit dem
Namen, meine ich. Wenn
der Lehrer mich aufrief:

„Donnerwetter, weiter
lesen“, da brüllte die
ganze Classe los, der L.ehrer musste selbst mitlachen, und ich musste
weinen. Die anderen Jungen hänselten mich, und wenn ich mich
wehren wollte, so wurde ich verhauen, denn sie waren stärker als
ich. So wuchs ich einsam auf, immer allein bei meinen Büchern oder
allein hier draussen auf der Haide; ich mochte nicht einmal über die
Strasse gehen, denn wenn sich da Zwei unterhielten und Einer sagte:
„Donnerwetter“, so sah ich mich um, und dann fing das Gelache wieder
an. Nachher auf dem Seminar — ich sollte eigentlich Geistlich studiren,
aber der Pastor rieth dem Vater davon ab, er könne sich keinen Amts-
bruder mit meinem Namen denken, also wurde ich Lehrer, — aber was
habe ich auf dem Seminar alles ausstehen müssen, und dann, wie ich mich
zum Militär stellte, — „dienstuntaugliches Donnerwetter“, hiess es da, und
alle die Anderen legten los und riefen es mir noch ein halbes Jahr lang
nach. Und dann erst später, als ich es auch so gut haben wollte wie
Andere und mich nach einem Mädchen umsah, — ach, davon mag ich
Ihn'en nichts erzählen, aber da habe ich erst recht gesehen, wie Einem
ein Name, der Einem nicht passt, zum Unglück werden kann. Nun,
schliesslich bin ich um die Stelle hier im Dorf eingekommen — es ist eine
ärmliche Stelle, die magerste im ganzen Bezirk, aber mir passte sie, die
Leute hier lachen wohl auch über den Namen, aber sie machen wenigstens

keine Witze darüber, weil sie zu dumm dazu sind, und so hab' ich e s
jetzt doch etwas besser. Ich halte mich an meine Bücher, botanisire und
treibe auch etwas Imkerei, — nun, wie Gott will.“

Der arme Kerl rührte mich. Ein so markiger Name bei einer so
marklosen Persönlichkeit, — es war kein Wunder, dass sich die Welt die
grobe Komik dieses Gegensatzes nicht entgehen liess. Hätte ich doch
beinahe selber anfangs über ihn gelacht.

„Aber warum sind Sie denn nicht beim König um einen andern
Namen eingekommen?“ fragte ich. „Könnten Sie nicht den Namen ihret
Mutter annehmen, oder ist der auch so — klangvoll?“

„O nein,“ erwiderte er, „meine Mutter hiess Leisegang — Anna
Maria Leisegang. Das würde mir ja schon eher passen, und es haben
mir auch friiher schon viele Leute dasselbe gerathen. Neulich noch sag te
mir der Herr Schulinspector, ich sollte es doch so machen. Und ich
habe auch schon mal gedacht, wenn ich wenigstens den Namen für meine
Gedichte nähme, — ich dichte nämlich ab und zu,“ fügte er mit eineni
zarten Erröthen ein, — „denn der Redacteur von der „Dichterharfe“

schrieb mir, er würde
ein paar von meinen
Sachen gcrne kostenlos
aufnehmen, aber sie seicri
zu zart gehalten fü r
meinen Namen. — Abei'
das geht doch nicht,“
schloss er und sah mh'
mit seinem unendlich
treuherzigen Blick in die
Augen, „denn sehen Sie,
den Namen hab’ ich von
meinem Vater, es ist sein
ehrlicher, ehlich vererb-
ter Name, und wenn ich
etwas thue, so darf ich
es doch nur unter diesem
Namen thun!“

Dagegen liess sich
nun weiter nichts sagen-
Wir sprachen noch ein
Weilchen über andere
Dinge, dann verabschie-
dete ich mich und wan-
derte heim, über die i®
Halbschlummer des Soni-
mernachmittags brütende
Haide, der Stadt zu.

Dass er sich niema!»

zu demversprochenenBe-

suche zumir in dieStadt wagte,war mir nach seinenBekenntnissenbegreiflich-
Indess erhielt ich, in Erfüllung eines anderen Versprechens, einige Zeit nach
unserer Begegnung ein dickes Päckchen Gedichte von ihm zur Ansicht, ah e
auf einzelne Bogen Conceptpapier sauber und zierlich abgeschrieben, in ein el
merkwürdig ausstudirten, knochenlosen Handschrift. Durchweg waren eS
sanfte, herzlich harmlose lyrische Anempfindungen ohne jede Spur ein el
selbstbewussten Eigenart, Reimspiele, wie sie durch das Lesen wohl-
klingender lyrischer Dichtungen in empfänglichen Seelen als bescheidencs
Echo ausgelöst werden. Unangenehm berührte nur hier und da ein g e"
wisses Prunken mit volltönenden geographischen Namen und schwierig el1
Reimworten, — die Stammesnarbe aller poetischen Halbnaturen, die d en
dürftigen Wuchs ihrer Gedanken gern mit allerhand dilettantisch zusamm e11'
gesuchten Lesefrüchten ausstaffiren, wie eine Pflanze, welche in halb el
I-Iöhe an ihrem graden Wachsthum gehindert ist und nun in krausc' 1
Ranken nach allen Seiten auswuchert. Sorgfältig waren alle diese un
bedeutenden Blättchen nach Tag, Monat und Jahr datirt und geordnD’
ohne dass sich nach dieser Chronologie irgend eine geistige EntwickluUo
ergab, nur zuletzt kamen einige Verse jüngsten Datums, aus denen elIie
anscheinend recht tiefgehende Empfindung für „Sie“ sprach, — ich küm
merte mich wenig darum, wer „Sie“ sei, und beschränkte mich auf d CI1
 
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