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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Ompteda, Georg: Der Spiegel, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0139

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MODERNE KUNST.

im Spiegel betrachtet und mir war, als stände ich der Maske nicht mehr
ganz fremd gegenüber, die mir aus dem Glase entgegenblickt: ich habe
an den Augen seitlieh ein paar Striche gefunden, die mich an fröhliche
Tage erinnern. Kleine Falten, kurz, kraus, und mir ist es, als kicherte
helles Lachen aus ihnen, als erzählten sie mir eine Geschichte vom Glück.

Denn auch mir hat einmal das Glück gelacht, und ich habe gelacht
und gejubelt im Glücke.

Das war die Zeit der ersten Freundschaft.

Damals schlugen die Herzen näher zusammen in dem dumpfen unge-
klärten Gefühle, das Liebe noch nicht hiess und nur ungeklärte Sehnsucht
bedeutete. Sie hatte kein Ziel, sie sah keinen Weg. Und sie, die irrend
umherzog, liess sich nieder an der Brust eines Freundes.

In der Literaturstunde auf dem alten Gymnasium, das in uns die
hundertste Generation Mann werden sah, da blühte sie auf.

„Wingolf-Tempel der Freundschaft“ hiess nach dem Vorbilde, das
uns gelehrt worden war, unser Bund. Er und ich. Wir beide ganz allein
waren der Bund, den wir im Ueberfliessen der Herzen gegründet hatten,
um alle darin aufzunehmen, die „deutsche Jünglinge“ waren und das ,,Ideal“
hoch hielten.

Doch wir beide
blieben allein. Es
fand sich keiner zu
uns. Und wir schwo-
ren uns Freund-
schaft bis auf den
Tod. Wir ritzten
uns die Adern und
liessen unser Blut
sich vermischen.

Wir gelobten uns,
dass wir uns nie
trennen und dass
wir uns beistehen
würden in allen
Nöthen des Lebens.

Wir blöden Knaben,
die wir beide nichts
besassen, wir gaben
uns das feste Ver-
sprechen, dass unser Güt, unser Vermögen dereinst, alles was wir hätten,
uns gemeinsam gehören solle bis an unser Lebensende.

Unsere Herzen entzündeten sich aneinander. Es gab Tage, wo wir
crwogen, ob wir uns nicht gemeinsam den Tod geben sollten, um, zu-
sammen sterbend, durch ein äusseres Merkmal zu zeigen, dass wir zuein-
ander gehörten untrennlich bis an das Ende.

Und dann wieder genossen wir gemeinsam die Schönheit der Welt,
dann waren wir heiter und glückselig, wenn wir miteinander an einem
schönen Sommerabend mit seiner satten Ruhe und dem Frieden überall,
durch die Kornfelder streiften, die sich ringsum ernteschwer, golden in
Halmen wiegten.

Zu dieser Zeit legten sich mir leise die Falten, die ich heute am Auge
als tiefe Furchen sehe. Das müde gesättigte Lächeln des Glückes hat sie
gezogen.

Und an demselben Tage, da der Freund, dieser Blutsbruder, mich
von seiner Thür wies, weil ich ihm die paar Mark nicht zurückerstatten
konnte, die er mir vorgeschossen — an diesem Tage ward mir am Mund
jene bittere tiefe Rinne geritzt, jener Zug, den ich heute, wo ich von
neuem daran denke, im Spiegel wiederfinde, so herb und scharf, dass er
fast einen Schatten zu werfen scheint.

Es ist die Linie der Verachtung.

•jfr w

Lange, lange Zeit sass ich vor dem Spiegel. Er ist mir vertrauter
geworden. Er erzählt mir von verflossenen Tagen und ich rede mit ihm.
Allmählich zieht so mein ganzes Leben vorüber. Und dieses Versenken
in die Vergangenheit, in mich selbst, lässt mich klarer sehen über so
vieles, was mir bisher nur in dämmernden Umrissen erschienen, und über

Manches, an das ich nicht zu rühren wagte, weil ich mich fürchtete odei
weil ich mich schämte vor mir selbst.

Wie ich so irn Nachsinnen die Augen senke, ist es mir als hätte ich
in Blitzesschnelle einen neuen Zug gesehen. Wann war ich so? Wann
schlug ich den Blick zu Boden?

Plötzlich weiss ich es: wenn etwas gesagt oder gethan wurde, was
wir unschicklich nannten (weil es uns die Gewohnheit, die Erziehung s0
vorschrieb) und was doch eigentlich nur der Natur entsprach. Die Prü-
derie, die zuweilen in unserem Verwandtenkreise herrschte, altjüngferlich

und lächerlich, die Prüderie hatte mich gelehrt, die Augen so zu senken-

* *

Und auch ein Heuchler bin ich gewesen.

Wie oft war ich fröhlich mit den Anderen und verwünschte die ganze
flache, platte Gesellschaft mit ihrem Clownhorizont und ihrem Bajazzowitze-
Und dann sagte ich Artigkeiten rechts und links und verdammte sie n u
Grunde meines Herzens zum Teufel.

Jetzt wo ich die Augen hebe und scheinheilig gen Himmel schlage,
nimmt mein Spiegelbild genau die Züge an, wie in einer Stunde meines

Lebens, die mit
einem Male wiedei'
sonnenklar vor nin'
steht, als durchlebte
ich sie von neuem-
Das war, als ich
der meine Liebe ge-
stand, die meine
Frau werden sollte.

Ich sagte ihr,
wie ich nicht mehr
leben könne ohne
sie —• und ich log-
Ich sprach ihr von
denMonaten vorhet',
dass ich nicht mehr
habe ein Auge zu-
thun können in det'
Nacht, weil ihr Bild
mich nicht ruhen
liess — und ich log-
Ich erklärte ihr, dass niemals vorher ich an ein Weib gedacht — und
ich sagte schamlos die Unwahrheit. Und sie sass vor mir erröthend,
zitternd in höchster Aufregung, und ihr Herz schlug stürmisch mir ent-
gegen — ich aber berechnete kalt die Worte, ich achtete auf meine
Bewegungen wie ein Schauspieler, ich war fühllos und kalt, nur in
nervöser, furchtbarer Spannung, ob wohl meine Rede den gehofften Ein-
druck machen würde.

Und das alles that ich — um Geld, um gemeines, gemeines Geld.

Denn unsere Summe, die Mutter und ich noch zu verzehren hatten,
war fast verbraucht, ohne dass mein Studium beendet war, ohne dass ich
einen Weg vor mir sah, unseren Unterhalt zu verdienen. Sie aber war
reich und dazu jung, unerfahren, leichtgläubig und mit einem Herzen voll
Vertrauen zu den Menschen.

Ich siegte, sie sagte „Ja!“

Und als sie es that und wir uns umarmten und sie weinte an meinem
Halse, weinte vor Glück, da weiss ich, dass ich nicht an sie dachte, dass
meine Gedanken weit fortflogen, dass ich darüber sann, was mit dem
vielen Gelde geschehen sollte, das nun bald mir gehören würde. Abei
ich war erlöst aus der grausarhen Folter der Spannung und tief athmete
ich auf, so dass sie erschrocken fragte: — Was ist?

Und ich gewann es über mich zu lügen: •—• Ich bin so glücklich!

So dass sie schamverwirrt und im Uebermaass der Seligkeit an
meiner Brust den Kopf verbarg.

Deutlich erkenne ich sie wieder die Furche, die mir bange Erwartung’
zog, um den hohen Einsatz, den ich wagte, und leicht lese ich jetzt d‘ e
Falten auf der Stirn heraus, deren Grundlinien zu jener Zeit vorgezog en
worden sind, als — Monate vorher — die Noth an unsere Thüre z'- 1
pochen drohte. LFortseuung foigt.]

H. Corrodi. Ave Maria
 
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