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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Feilmann, Johanna: Verkehrsmittel in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0162

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MODERNK KUNST.

6 7


Me

S tiber einen Wald von zahllosen schwarzen Schornsteinen, bald

^ ein Ungethüm mit feurigen Augen und qualmendem Rachen aus
r ^unklen Tunnelmündung hervorschiessen.

Vom frühen Morgen halb sechs, bis ungefähr um ein Uhr in

r Nacht folgen sich die Züge in Zwischenräumen von fünf bis zehn

d

, 'üuten und halten überall auf dem Wege nach ihrem Ziel an den
kurzen Entfernungen von einander liegenden Stationen, wenn es
lcht gerade hauptsächlich für Cityleute oder Arbeiter bestimmte,

Vr\ w .

einem zum anderen Orte direct gehende Züge sind.

T,

Welch buntes, je nach der Tagesstunde verschiedenartiges
re'ben an diesen Bahnhöfen! Es heisst: nur der Grossstädter kann
^üfen; (jer Londoner aber kann noch mehr als
aiJfen; ;n ;bm haben das Muss und die Gewohn-
<ir ganz besondere Fähigkeiten entwickelt. Ohne
stolpern fliegt er zu Schaaren mit fabelhafter
Jeschwindigkeit die gerade nicht immer sehr be-
ttten Treppen der „Unterirdischen“ hinab, wenn

<]Ue
es •.

&nt, den herandonnernden Zug zu erhaschen.

Ud wenn gar die Route einen Zugwechsel bedingt,

VtUn es hier heisst: nach den „City-trains“, dort
le Hand nach dem „Westend“ deutet, dann giebt

erst recht eine wilde Jagd, dann stürzen die
n'nier Eilenden vorwärts mit wehenden Kleidern und
nchtelnden Armen, hinweg iiber die Brücken, welche die
Verschied enen Plattformen verbinden, athemlos Trepp auf,
^* ePp ab. — Ja, angesichts der drohenden Gefahr, fünf
'nuten durch Versäumniss des Zuges zu verlieren, nimmt
einer Rücksicht auf den lieben Nächsten, rennt selbst der
'Urdige Geistliche das weisshaarige Mütterchen über den

Haufen.

Mit grosser Genauigkeit wird so gebremst, dass die
ei Classen des Zuges je an ihrer Stelle halten, da, wo
ai)f der Plattform ein Schild zur Unterweisung für die Fahr-
^Hste angebracht ist. Wer keine Jahreskarte besitzt, der
at sein Billet oben am Schalter gelöst und es von dem
eamten coupiren lassen. Und jetzt flugs hinein in die
^ agen, die Jeder selbst öffnen und schliessen darf, wenn
<llcb die Schaffner stets hülfebereit sind. Die Damen, so-
^ 1' die der vornehmen Welt, steigen gewöhnlich in die
-WeJte Classe, seitdem dies Mode geworden, die Kaufherren

^it V,

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orliebe in die erste, der Kleinbürger und die Arbeiter in die meist geräu-

& en mit vielen Bänken versehene dritte. Blitzschnell läuft der Schaffner
e Wagenreihe entlang und klappt die noch offenstehenden Thüren zu,

a kommen noch einige Nachzügler herangestürmt, aber o weh! zu spät,
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alti

schriller Pfiff und der lange Zug verschwindet im Tunnel. Auch der
Cri Untergrundbahn hat sich vor einigen Jahren eine längst geplante
^ ll(f endlich in’s Leben gerufene Bahn zugesellt, die den bis dahin von
e* Wohlthat einer Stadtbahn ausgeschlossenen Süden jenseits der Themse
tll' t der City in direkte Verbindung setzt. Oben wälzt der breite Strom
Hüe Fluthen, befördern grosse und kleine Dampfer Tausende und aber
■ ai,sende, tief unten fahren die Wagen durch saubere mit Estrich aus-
^' "lauerte Tunnel. Während bei der Mutterbahn die Geleise für die sich

e8 egnenden Ziige in einem und demselben Tunnel liegen, giebt es hier
abgesonderte, theils neben einander, theils über einander laufende
hnel, so dass jeder Zusammenstoss ausgeschlossen ist. Und kein Rauch!
e,n Dampf! keine Hetzjagd die Treppen hinab. Jeder Zug besteht aus
lller elektrischen Locomotive und drei mit einander verbundenen Wagen.

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f°rd

so weit wie möglich sind alle zeitraubenden und viele Schaffner er-
p, ernden Umständlichkeiten vermieden. Man legt einfach seine zwei
, 11,1:6 auf ein Drehkreuz und lässt sich in Gesellschaft von fünfzig Mit-
enden mit dem hydraulischen Aufzuge in die Unterwelt spediren, wenn

Hhr,

11 die breite Steintreppe nicht vorzieht.

^ W>n grosser Bedeutung für den Londoner sind auch die bis an die
1 Plätze fahrenden Extrazüge. Jeder, der es sich nur irgend leisten kann,
fj. ''ngt vierzehn, oder wenigstens acht Tage, am Meer, ja, der Haus-
iii r' ei' 1 'J'e Köchin, das Kindermädchen, sie beanspruchen ihren “holiday”
“Jönimer, wie sie ihren Lohn beanspruchen. Da muss man die Bahn-

Zu spät. Originalzeichnung von O Marcus.

höfe sehen, besonders am Anfang und Schluss der Schulferien. Jede
noch so geldbeschränkte Kleinbürgerfamilie spart für das grosse Ereigniss
des Jahres, “the seaside ”. Die Fahrkarten kosten ja so wenig, und das
Logis ist bei bescheidenen Ansprüchen so billig, und die Nahrungsmittel
sind dort gewiss noch billiger als daheim. Und Ueberfracht für Gepäck
giebt es ja auch nur in seltenen Fällen. Da werden die Babies und die
Kinderwagen und die Eimer und Schaufeln und hundert Kistchen und
Kästchen mitgeschleppt. Die dritte, durch ganz England die unterste Classe,
ist die gesuchteste, ja, selbst die Wohlhabenden ziehen sie oft der zweiten,
der Geräumigkeit und grösseren Bequemlichkeit wegen, bei weitem vor. —
Von dem bunten Gewühl vor der Abfahrt macht sich Keiner einen
Begriflf. Gepäckscheine werden nicht verabreicht, die giebt es nur für die
nach dem Continente spedirten Koflfer; für den kolossalen Binnenverkehr
wäre solche Umständlichkeit nach heutiger Ansicht der Bahnverwaltungen

GOLF CAPES
VHAMtFREF.BÖD>

LONDONW.
 
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