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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Malkowsky, Georg: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [4], Des Reichshauses Außen- und Innenbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0214

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MODERNE KUNST.

aufleuchtet, während die weissen Leiber d'er Karyatiden von den die Logen
theilenden Pfeilern flankirend aufstreben. Wie frei die Phantasie des Künstlers
auch diese figürlich behandelten Decorationsstücke gestaltet, zeigen vor Allem
die Eckkaryatiden. Zwanglos strecken sich die weissen Arme mit den Symbolen
aus und scheinen die an einander stossenden Wandungen mühelos an einander
zu schliessen. Diese Belebung des Details, dieses Uebersetzen des Verhältnisses
von Last und Tragkraft in scheinbar bewusst strebende Bewegung ist Wallot’s
grösste Stärke. Das freie Spiel mit den überkommenen Formen findet in diesem
stets energisch betonten Grundprincipe der architektonischen Harmonielehre sein
Regulativ. Wer die Decorationskunst des Meisters des Parlamentsgebäudes in
ihren Einzelheiten studiert, wird nirgends auf willkürliche Bepinselung, auf durch
Schnitzwerk um der lieben Abwechselung willen durchbrochene Flächen stossen.
Die Decoration verhüllt nicht den Aufbau, sie folgt seiner Gliederung mit discret
vertheiltem Schmuckwerk.

Viele haben mitgewirkt am Bau des Reichshauses, aber sie alle standen
unter dem Einflusse eines Gedankens, der ihr Können in seinen Bannkreis
zwang. Ueber Einzelnheiten des Monumentalbaues lässt sich streiten, in seiner
Gesammtheit ist er ein einheitliches Kunstwerk, bis in seine feinsten Gliederungen
von dem Geiste des leitenden Meisters durchströmt und von künstlerischem
Leben erfüllt und bewegt. Darum ist auch die künstlerische Bedeutung des
Reichstagsbaus eine ebenso bleibende, wie die politische. Unsere Architekten
haben uns daran gewöhnt, in ihren Schöpfungen geschickte Compilationen zu
bewundern. Wenn die überkommenen Stilformen einigermaassen gesclimack-
voll zusammengebracht waren, mussten wir eben zufriederi sein. Paul Wallots
Reichstagshaus ist kein Epigonenbau. Der Meister hat frei geschaltet mit
dem Gesehenen und Gelernten und daraus ein Neues geschaffen, einen
Organismus, der, weit über das mechanisch Functionirende hinausreichend,
durch den lebensvollen Zusammenhang seiner Theile wirkt, die einem Impuls
gehorchend zum Ganzen streben.

^ Treppenaufgängen ist für iiberraschende Durchblicke, fiir seitlich einfallendes,
j. rctl bunte Glaslenster gedämpftes Licht gesoigt, und wenn sich die bisher
9rblosen Wände erst mit den in Aussicht genommenen Schildereien bedeckt
Den, wird sich das Ganze als ein fein empfundenes und einheitlich gestaltetes
cnstwerk darstellen. Welche Fülle schöpferischer Phantasie hier thätig ge-
esen, beweist die Decoration des Sitzungssaales, des Bundesrathszimmers mit
‘ e'nem Vorsaal, der Bibliothek, des Foyers und der Kaiserzimmer. Ueberall
edecken fein ornamentirte Holzpanele die Wände, Karyatiden tragen die tief

caS;

^ Setirten Decken, und geschmackvoll vertheilte Vergoldung und Bronzirung
, enchtet aus dem tiefbräunlichen Grundton der Täfelungen hervor. Auch hier
Alles stilgerecht und doch von einer selbstständig schaffenden Künstler-
antasie den besonderen Zwecken angepasst und eigenartig componirt und

*st

Ph

Uät:


gestaltet.

Ras Ganze wirkt wie eine Symphonie künstlerischer Motive, die in wohl

Urch'dachter Steigerung hervortreten. Der Grundriss des Ilauptgeschosses ist
|' lri Wahres Muster klarer symmetrischer Raumanordnung. Den Kern des Baus
J1'hct der gewaltige, sich vor den Sitzungssaal legende Kuppelraum, an den sich
r<?chts und links bis an die Seitenflügel heranreichende Wandelhallen anschliessen.

etl Sitzungssaal flankiren zwei mächtige Höfe, zu denen an der Nord- und Süd-
Seite Vorhallen hinauflühren. Um diesen Kern herum lagern sich die intimeren
eschäftsräume. In der Westfront Erfrischungs- und Lesesaal für die Ab-
^Ordneten, in der Ostfront Präsidium und Bundesrath; Sprechzimmer, Bibliothek
^ lri(I kleinere Amtszimmer liegen in der Nord- und Südfront.

Wunderbar sind die wesentlich malerischen Mittel, durch welche Wallot in
^ er Decoration der Innenräume eine künstlerische Steigerung hervorgebracht
* 1at- Der Kuppelraum und die Wandelhalle bauen sich in grandiosen, farblosen
' teinmassen auf, die sich erst beleben und auf die malerischen Reize der
'fttirneren Räume überleiten werden, wenn sie mit dem projectirten Fresken-
Schmuck versehen sind. Ueberraschend neue Wege schlägt Wallot in der Ver-
' Vendung der Holztäfelung ein; sie beherrscht mit
'Wn tief bräunlichen Tönen die ganze Innen-
architektur. Ohne sklavische Anlehnung an be-
ühmte Muster schöpfte der Künstler mit gleicher
^ lebe aus dem Quell Romanischer und Gothischer
° rmengebung, all’ die phantastischen Gebilde zwang-
° s in den zusammenschliessenden Rahmen der
^ enaissance spannend. Besonders die Ueberführung
^er verticalen Wandtäfelung zu den horizontal auf-
a§ernden Decken zeugt in einzelnen Räumen von
e|hem Formensinn, der die schwierigsten Aufgaben
sPielend bewältigt. Das auf die Profanarchitektur
^ertragene Chorgestühl im Vorraum des.Bundes-
rathssaales, die von einer Athenastatuette überragte
^endeltreppe im Lesezimmer, die Karyatidenreihe,

^ le im Sitzungssaal leicht stützend die weit ge-
sPannte Decke in der Schwebe hält, der in der
^ Pllung der Hammelsprungthür aufflackernde Humor,

*^ as Alles entquillt mühelos einer souveränen Ein-
^idungskraft voll sieghafter Schaffensfreude. Ein
^hnstlerisches Wagniss, wie die phantastische
ecoration des Tonnengewölbes im Restaurations-
^ ltflmer, kann nur einem genialen Meister gelingen.
hstig verschlungenes grünes Krautwerk, zu dem

^ as stachlige Distelblatt das Vorbild geliefert, über-
sPannt die Wölbung mit einem Gewiir von Ranken,
atls denen überall kraus verschnörkelte Verzierungen
11 grellen Farben auftauchen. Reichsschwert und
^ Cepter kreuzen sich in der Mitte, und die Wappen
^ er deutschen Fürsten springen an den Langseiten

Qb,
h

erall in leuchtenden Farben aus dem Blättergrün
eraus. Von gediegener Pracht ist dasSitzungszimmer
Ces Bundesrathes erfüllt. Hier vereinigt sich der
eUe Ton der Eichentäfelung mit dem Gold der
ecke und dem stumpfen Blau der Teppiche und
°belins zu einheitlicher Wirkung. Auf der Höhe der
^ u%abe zeigt sich Wallots Künstlerschaft vielleicht
gends in gleichem Maasse, als in der Raumgestal-

kir

lU;

h.

Dg des Sitzungssaales. Es lag die Versuchung nahe,

llerher in den Kernpunkt des Ganzen, das Schwer-
He\vicht (jer architektonischen Anlage zu verlegen und
. ecorativ zu betonen. Darauf hat der Meister aus
asthetischen und praktischen Gründen verzichtet.

le gewaltige Steinarchitektur der Hallen und Vor-
r^Utne durfte sich hier nicht wiederholen. Es handeite
SlcU um die Gestaltung eines wohnlichen, weder zu
® r°ssen, noch zu kleinenRaumes, derallen akustischen
utorderungen genügte. Die bräunliche Farbe der
_^°lztäfelung giebt den Grundton an, aus dessen
lete hier und da der Metallglanz der Bronzirung
 
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