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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Klitscher, Gustav: Aus dem Heidelberger Studentenleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0252

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IÖ2

MODERNE KUNST.

man soll ökonomisch sein und schliesslich muss man doch auf einen armen
aber ehrlichen Familienvater etwas Rücksicht nehmen. Ja wenn wir noch
im vierzehnten Jahrhundert, in den ersten Jahren der Universität lebten,
da konnte man noch billig Wissenschaft geniessen. Damals erhielt ein
Profdssor jährlich 30—50 Gulden, das Honorar für eine Vorlesung betrug
1—8 Groschen, und Kostgeld zahlten unsere Commilitonen von damals -—
na rathe 'mal — drei Kreuzer die Woche! Ja, andere Zeiten, andere Sitten.
Im fünfzehnten Jahrhundert konnte es in unserm guten Heidelberg vor-
komwen, dass die juristische und philosophische Facultät in grimmer Fehde
lagefi' ob der Frage, welcher von beiden allein das Recht zustände, rothe
Barette zu tragen, bis der Kurfürst sie durch sein Machtwort den Phiio-
sophen zusprach, und um 1790,gab’s hier einen Professor, den Dominikaner
Rumpel, der „aus langer Weile“ allen Ernstes mit „propter longum quoniam“
übersetzte. Ja damals — na hör’ mal, das ist unerhört, ich halte Dir hier
höchst belehrende Vorträge und Du liebäugelst mit dem kleinen Conditor-
mädchen von vis-ä-vis — lache nicht — Du wirst Dich mit der nächsten
Blume melden, wegen bedauerlichen Mangels an Aufmerksamkeit gegen-
über wahrer Geistesbildung. — Nun aber ’raus da, ’raus da aus dem Haus
da! Bummeln wir ex in’s Freie.“

Am waldbedeckten Bergeshang steigt man hinauf zum Königsstuhl
von dessen Aussichtsthurm man weit in’s rheinische Land blicken kann:
Worms, Mannheim, Speyer, ja das Strassburger Münster erkennt man
deutlich in der klaren Luft. Durch die grünende Forst geht’s weiter zum
Kümmelbacher Hof und nach Neckargemünd, von da am andern Ufer des
Flusses nach Neckarsteinach, wo die drei Burgen wie Schwalbennester am
Fels kleben. Dort nimmt die lustige Gesellschaft einen Kahn, der Dils-
berg grüsst einen Abschiedsgruss, und die Wellen des schnell fliessenden
Neckars tragen das Schiff stromabwärts durch das liebliche Thal. Endlich
taucht die alte Ruine wieder auf, emporragend aus dem Laub des Schloss-

gartens. Da bliihen jetzt dic Obstbäume weiss und rosa, Aepfel, Bii nCl
und die alten Kirschen, von denen einst die unglückliche Lise Lotte v0t
der Pfalz, dic Gemahlin des Sonnenkönigs, deren Ehe dem allerchristlichst c
König den Vorwand bieten musste zu der entsetzlichen Verwüstun
schönen Landes, zu Versailles in ihrer derbdeutschen Art schrieb: ,,

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Gott, wie oft hab’ ich in dem Berg Kirschen gefressen, morgens
5 Uhr, mit ein gut Stück Brodt, damals war ich lustiger als jetzt.“

Verhungert und schier verdurstet kommt die Schaar der fahrend cl
Scholaren heim in die traulichen Räume des Corpshauses. . So
Corpshaus lässt sich am besten den Clublocalen vergleichen, wie sie
sonders in England und auch bei uns Eigenthum geschlossener Ges c
schaften sind. Hier findet sich Alles, was ein Kreis studierender j un
Leute zu des Lebens Annehmlichkeit gebraucht. Rauch-, Lese-, Sp 1'
Zimmer laden zu gemüthlicher-Benutzung, auch die Privatwohnungeo
Chargirten pflegen in dem Hause zu liegen. Die Hauptsache aber
natürlich die Kneipe, die Stätte sich immer wieder erneuernder studentisc
Geselligkeit und Fröhlichkeit. Hier hängen die Photographien sämmtliH 111
Corpsmitglieder an den Wänden, vom ältesten alten Herrn bis zum jüng stel
Fuchs, dazwischen kostbare Dedicationen, Trinkhörner, Humpen U11
anderes mehr. Die Kneiptische und -Stühle ziert das geschnitzte WapP 1' 1'
alles ist homelike und comfortable zugleich. Hier versammelt man slC'
zu feuchtfröhlichem Thun, zum Kneipen und commersiren. Am Anfa 11^
des Semesters wird auch wohl die Fuchstaufe voivenommen, die noch h 1

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vielen Corps im Schwange ist. Rittlings auf Stühlen sitzend reitet
Fuchscorona, der Fuchsmajor an der Spitze, in der Kneipe umher un
Absingung des schönen Liedes: „Was kommt dort von der Höh',
kommt dort von der ledernen Höh’ —.“ Nach Erledigung von allerha 11

durch Alter geheiligten Gebräuchen wird dann den Täuflingen ein Quant 11' 11

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alkoholischer Flüssigkeit über das junge Dulderhaupt gegossen. D ar

schliesst der Ulk und wenn er auch für die Betroffenen m
gerade zu den allergrössten Annehmlichkeiten des menschlich 0' 1
Lebens gehört, so ertragen sie’s doch lachend gern. Die Si ttL
von heute ist ja nur ein schwacher Abglanz dessen, was niari
früher unter Fuchstaufe verstand. Zur Zeit der Universitä 1
grtindung musste der krasse Fuchs das „animal nesciens vita' 11
studiosorum“ zunächst die Hörner ablegen. Mit einer mächtig el
Scheere schnitt man ihm das Haar ab, mit einem gros

Kolben reinigte man ihm die Ohren, der Bacchantenzahn W ul'
ausgebrochen und die Nägel wurden mit einer riesigen t e
bearbeitet. Dann hatten die Täuflinge dem Depositor die Ha n
zu küssen und wurden, indem man ihnen Wein über den
goss, mit dem Segenswunsch entlassen: „So wünsch ich E l,c^
allen insgesammt Gltick und Wohlfahrt zu Eurem neuen S tal1
und Orden.“

Auf dem Heimwege aber nach Schluss der Kneipe ereig' 111

sich gewöhnlich jene eigenartigen Geschehnisse, welche
kleine Studentenkaste so nothwendig erscheinen lassen.
jungen Füchse fühlen ein unabweisbares Bedürfniss, mit

Stöcken an die geschlossenen Fensterladen friedliebender Bürg e

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zu trommeln. Strassenweit hallt der Lärm, bald nahen aucn

jat.

Organe der öffentlichen Sicherheh. Resultat: ein Strafnia 11
Carcer. Anfangs ist der Fuchs senr geknickt, bald aber lV)

er getröstet. Auf dem historischen Heidelberger Carcei

sitzen ist ein besonderer Genuss, den sich manches bem°° s

Haupt schon seit langen Semestern gewiinscht hat, der _

aber in unserer Zeit der die Geldstrafen liebenden Gericht=>l lü

ist-

trotz aller tollen Streiche noch nicht zu Theil geworden

Jetzt hommt das Glück so einem Fuchs, wenn auch m

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Schlaf, so doch zu nachtschlafender Zcit. Den EintreteH'
grüssen von den Wänden des Carcers herab die ErinneruoS
an viele Generationen akademischer Bürger, die hier geses='

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(lit

und sich hier verewigt haben. In Bild und Wort, in SteiO
meisselt, in Holz geschnitten, in Farben und Kreide genialt,
Tinte oder Bleistift geschrieben, ja selbst in das Glas der Fen

scheiben geritzt finden sich hier die Documente einer H ia "

, , Tag el

keit, die den folgenden Geschlechtern von vergangenen ^

künden wollte. In diese geschichtliche Umgebung spielt nun hm
 
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