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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [13]: humoristischer Roman
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MODERNE KUNST.

221

^' tz aus heiterem Himmel. Nicht, dass mein Herz Dir nicht brüderlich
^ tS egen geschlagen hätte! Gott weiss es, was ich fühlte, als ich Dein
^ 6Slcht nach so langer Zeit wiedersah. Aber . . .“ Er stockte in dem
estreben über das Peinliche der Selbstanklage hinwegzukommen. „Und
11 hestimme, was mit dem Deinigen geschehen soll.
nWie viel ist’s?“ fragte Fritz von Rocholl geschäftsmässig.

Leo stand jäh auf und ging mit geballten Händen zum Fenster. Sie
j* aubte genug aus diesem kühlen, berechnenden Gesichte gelesen zu haben.

'hren Augen standen Thränen zorniger Empörung.

^ »Ausser den Gütern Templin und Amalienruh“, erwiderte Herr von
° choll mit schwacher Stimme, „die allerdings von mir stark mit Hypo-
* en belastet wurden, um den plötzlichen Ueberfluss zu verdecken, noch
^gefahr 260000 Mark an baarern Gelde, Werthpapieren und sicheren
chuldverschreibungen!“

»Ah!“ sagte Fritz; nichts weiter.

I Dann plötzlich ging er zu seinem Bruder hin, umschloss ihn mit seinen
e,hen Armen und blickte ihm lange in das gramdurchfurchte, zuckende

Gesicht.

»Winand!“ sagte er. „Armer Kerl! Und darum hast Du Dich ab-
® ePlagt d;e ganze Zeit und hast Dir und den Deinen das Leben zur Hölle

^acht?“

Frau Amalie fing an zu weinen, und dann weinte auch Otti. Und
folgte nach und zuletzt sogar Leo. am Fenster. Und eine kurze Weile

Mla

var

nur ein einziges grosses Schluchzen im Zimmer.

»Fritz!“ stammelte Winand und suchte sich zu erheben. Doch Fritz
Cchte ihn sanft nieder.

^ »Bleib' sitzen, alter Rocholl! Vertheidige Dich nicht! Es ist ja nicht

e* ne Schuld. Warum hab' ich mich auch nicht gemeldet auf Deine Auf-
Cl'de

dri

erungen? Ich hab' sie wohl gelesen, aber Du kennst ja unser trotziges
Gott und die Ehr’, nichts mehr! Na, und ich suchte meine Ehre
Dir zu zeigen, dass in mir doch was Rechtes steckte. Nicht eher

Mte

^ut.

d;

Se\v,

• e ich zurückkehren, bis ich der Mann von meiner Hände Gnaden
°rden wäre. Und darum nannte ich mich drüben Fred Brown und

Denn ich bin nun der Mann von meiner
wn, der Gründer und erste Direktor der

uaru

|, UIri bin ich nun zurück.

^ nde Gnaden, der Fred Brc

Jtsch

-amerikanischen Bergwerks-Gesellschaft. Und nun, da ich's bin, da
s Satt bin von diesem gottverdammten Mammon, dem man leider soviel
(Jne Zeit und Kraft opfern muss, da ich zurückgekehrt bin, nur aus der
nsucht nach ein wenig Liebe, nun wirfst Du mir Dein Hungerloos vor

p..

rUsse, wie unsere Ahnen sich ihre Fehdehandschuhe vor die Fiisse

VV^rr

^ en- Aber das sage ich Dir, ich nehme ihn nicht auf! — Na, was
o Du denn, Mensch? Bleib’ sitzen, sag' ich Dir nochmals, aufDeinem
jj Ssel, auf Templin und Amalienruh, und auf Deinem Geldsack. — So!

nd

nun will ich doch ’mal sehen, ob Malchen noch tanzen kann!“

drängte die ihn Bestürmenden von sich ab und ergriff die weinende
luchende Frau Amalie mit beiden Händen, um mit ihr durch das
i, zu walzen. Dann, als er mit ihr in der Nähe eines gewissen

ers war, liess er sie sanft in einen Sessel gleiten und flüsterte ihr

und

G

eUst,

Ct\V;

as

zu.

V,

die

»Was meinst Du,Schwägerin, wenn Du meineSchwiegermama würdest?“
Sie fuhr auf und wollte etwas antworten. Aber sie kam nicht dazu.
° r ihr stand nun Leo neben dem Amerikaner. Und sie legtc erröthend
Hand auf den Arm des Geldmenschen.

Er jauchzte auf und hob sie hoch empor. Dann sank sie zu seinen
Lippen nieder.

Und nun küssten sie sich Alle: Frau Amalie Herrn Winand von RocholL
und Otti Herrn Amtsrichter Martius und Leo Herrn Fritz von Rocholl und
Mia des Phildoctors Brief.

Eine Stunde später sassen die Rocholl’s wieder in dem grossen Tanz-
saal des Rochollshofes und speisten; die Reste der verunglückten Geburts-
tagsfeier. Beim Braten und Sect brachte Winand seinen Toast aus, den
Toast auf das Hungerloos. Und diesmal unterbrach ihn Niemand.

„Aber sag’ mal, Winand,“ fragte Fritz dann, „das Loos ist also mit
dem zweiten Hauptgewinn herausgekommen?“

Winand nickte.

„Ja, mit 150 000 Mark. Nach Abzug der üblichen Procente blieben
da circa 120 000!“

„Und nun beläuft sich das Kapital auf. . . ?“

„Auf circa 260 000 ohne die Güter!“

„Donnerwetter! Colossal!“ lachte Fritz. „Musst Du da gearbeitet
haben. Das bringt man ja selbst in Amerika nicht fertig: aus 30 000 Mark
in 18 Jahren zwei Rittergüter und beinahe eine Drittel Million zu machen!“
„Aus 30 000?“ corrigirte Herr von Rocholl. „Aus 120 000!“

„Na, ja; 120 000 brachte das Ganze Loos; das Viertelloos also . . .“
Winand schaute erstaunt auf.

„Aber ich sagte Dir doch, dass das Ganze Loos herausgekommen ist.
Das Viertellos war eine Niete!“

Einen Augenblick war Alles still. Dann brach Fritz in ein furchtbares,
unauslöschliches Gelächter und Frau Amalie in ein convulsivisches
Wcinen aus.

„Aber, was ist Euch?“ fragte Winand verblüfft. „Was habt Ihr denn?“
Fritz konnte vor Lachen nicht gleich sprechen.

„Nicht wahr,“ brachte er endlich mühsam heraus; „Du fandest damals
in meiner Brieftasche ein Ganzes und ein Viertelloos?“

Wieder nickte Herr von Rocholl.

„Gewiss! Und das Ganze Loos hat, wie gesagt, gewonnen!“

Fritz stand auf und rannte im Saal umher.

„Hörst Du’s, Malchen, was er sagt?“ schrie er. „Das Ganze hat ge-
wonnen, das Ganze!“

Winand wurde ein wenig ärgerlich.

„Wenn Ihr mir nur sagen wolltet . . .?“

Nun fand auch Frau Amalie ihre Stimme wieder.

„Oh, Winand,“ stammelte sie, „werde nur nicht böse. Denn Alles ist
nur meine Schuld, meine Schuld ganz allein . . . Denn Du warst immer
so streng und so genau . . . und damals . . . Denn ich dachte, es könnte
doch sein, dass ich ein wenig Glück hätte . . . und da gab ich Fritz heim-
lich das Geld, hinter Deinem Rücken . . . Denn er spielte ja ein Viertel-
loos in der Lotterie, auch heimlich hinter Deinem Rücken . . . und da be-
sorgte er mir das Ganze . . . und ich dachte, er hätte es mit nach Amerika
genommen . . . und nun hat es gewonnen und wir ..."

Herr von Rocholl wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte.
„Und wir,“ vollendete er starr; „wir haben nun die ganze Zeit auf
unserem eigenen Geldsack gesessen und haben geglaubt, es wäre das . . .
zum Henker ja, das Hungerloos!“

E N D E. <$-

14. iv.
 
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