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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Trojan, Johannes: Eine Bismarck-Gemeinde
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0317

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226

MODERNE KUNST.

\

Eva Werner.

Werth erscheinen als
sehr vieles Gross-
artige, das sonst ge-
sehen und gemalt
worden ist. Werden
wir, ja, werden die-
jenigen, die nach uns
geboren werden, etwas
Aehnliches je zu sehen
bekommen?

Der Maler konnte einen belie-
bigen der Tage wähleh, an denen
er vor dem Reichstagsgebäude in
der Leiziger Strasse das historische
Bild, das er malen wollte, in sich
aufgenommen hatte. Ich glaube
aber, dass er schliesslich an einen
besonderen Tag gedacht hat, näm-
lich an den 6. Februar 1888, als
der Fürst Bismarck im Reichstage
das stolze Wort sprach: „Wir
Deutschen fürchten Gott, aber sonst
nichts in der Welt."

Für sein geplantes Bild inusste
der Ktinstler sich zuerst des Für-
sten Bismarck selbst versichern,
der doch unter den vielen Figuren
derselben die Hauptfigur sein
sollte. Es genügte ihm aber nicht,
den Fürsten ab und zu einmal ge-
sehen zu haben, sondern gründlich
und gewissenhaft, wie er ist — er
ist gegen sich ebenso strenge wie gegen andere — hielt er es für nothwendig, dem
Altreichskanzler ruhig in’s Gesicht zu schauen, stundenlang ungestört sich ihn
einprägen zu können. Natürlich konnte er von einem solchen Mann nicht bean-
spruchen, dass er sich in der Weise der Modelle ihm zur Verfügung stellte. Ihm
kam es nur darauf an, den grossen Mann gleichsam in der Freiheit eine Zeit Jang
beobachten zu können. Zu diesem Zweck musste er nach Friedrichsruh hin,
und nun handelte es sich darum, ob es ihm gelingen würde, dorthin zu kommen
und in dem sogenannten „Schloss“, wie das sehr einfache und schlichte Herren-
haus am Sachsenwaide genannt wird, Aufnahme zu finden. Es gelang ihm, er
war mehrere Tage hindurch des Fürsten und der Fürstin Gast, und ich erinnere
mich noch, wie voll von Bismarck er nach Berlin zurückkehrte. Er hatte den
Fürsten gesehen, er hatte seine Gesichtszüge und seine Gestalt in aller Musse
studiren können, und dabei hatte er zugleich das geistige Bild des Mannes, der
im persönlichen Verkehr hinreissend auf ihn gewirkt hatte, in sich aufgenommen.
Kurzum, als er zurückkehrte, brachte er den ganzen Bismarck mit sich, und ihn
auf die Leinwand zu übertragen, konnte für einen in der Führung des Pinsels
so sicheren Meister kaum mehr besondere Schwierigkeiten haben; es sei denn,
sein Herz wäre von dem, den er darstellen wollte, so voll gewesen, dass er iii
Sorge war, wie er sich und ihm mit seiner Kunst genug thun sollte. Solche
Sorge mag ja aber wohl jeder echte Künstler empfinden, der es am ernstesten
meint, am meisten.

Bismarck also war da und ist dann auch
auf die Leinwand gebracht worden zur Zufric-
denheit aller derer. die das Bild gesehcn haben.

Nun aber brauchte Fritz Werner Volk. Als
ein praktischer Mann sah er sich, um Volk zu
bekommen, zuerst in seiner nächsten Um-
gebung um. Und wo konnte er besser, was
er suchte, finden als in der Moselweinschenke
von Heinrich Haussmann, wo ja doch so allerlei
Volk verkehrt? Er verkehrte ja auch da jeden
Abend beinah’, den Gott werden liess, und
kannte das allerlei Volk. War nicht zunächst
Haussmann selbst ein Mann aus dem Volk, wie
er sich ihn nicht besscr wiinschcn konnte? An
der Mosel, woher Haussmann stammt — sein
Elternhaus steht da, wo die I'ähre zwischen



Traben und Trarbach ruhelos hin und her
fliegt — an der Mosel giebt es noch Römer-
köpfe, die aus alter Zeit, als die Römer dort
sassen und Reben pflanzten, sich fortgeerbt
haben. Einen solchen Römerkopf hat Hauss-
mann, aber ein Herz dabei, das ganz deutsch
empfindet. Ich glaube, in keiner Weinschenke
Berlins ist auf das Wohl Bismarck’s so viel
mit den Gläsern angeklungen worden als in
der Haussmann’schen in der Jägerstrasse, und

zwar schon von der ersten Zeit her, als Bismarck’s Stern erst im Aufgeh en
war. Und als nachher, lange nachher, ein Schatten in das Leben des aU erl
Recken fiel, da wurde erst recht nicht init Anstossen und Toasten nachgelasse* 1
Es half denn auch endlich, die Sonne kam wieder, und der Schatten wich. i a’
bei Ilaussmann ist wirklich in älteren und jiingeren Mosel- und Rheinvvei>' el1
viel fiir den Fürsten Bismarck gethan worden. Wenn manchmal alte Stann n
gäste — auch Geheime Räthe gehören dazu — mit nicht ganz sicherem Schti 1
nach einer langen Sitzung ihre Heimstätten in Berlin W. wieder aufgesucht hab el1,
so trägt der erste Kanzler des Deutschen Reiches die Schuld. Doch deshalb ha lt
er keine Ursache, sich graue Ilaare wachsen zu lassen, und thut es auch IllC''|
Also Heinrich Haussniann wurde für das Bild gewonnen und zunächst Iia
dem Werner’schen Atelier verschleppt, wo er ein paar Tage hindurch als M° d
herumstehen musste. AIIzu schwer wurde ihm die Sache nicht gemacht, el
durfte ab und zu mit dem Standbein wechseln, konnte auch rauchen und, w’ elin
er Durst verspiirte, etwas trinken. Trotzdem glaube ich, dass dieses vven'g 1-
Modellstehen ihm nicht ganz leicht geworden ist. Nicht als ob ich an sei liel
Geduld zweifelte - bewahre! Er ist Angler von Profession und kann StundC’
lang. ja ganze Tage und halbe Nächte hindurch ruhig im Uferschilf oder in ein e|^
Kahn oder auf einem Floss stehen mit der Angel in der Hand, ohne die Gedu 1
zu verlieren, auch wenn er in der ganzen Zeit nichts fängt, nicht einmal el1
Rothauge oder einen kleinen Plötz. Aber ganz richtig sagt er ja: „Das Ang'
unterscheidet sich denn doch wesentlich vom
Modellstehen. Beim Angeln bin ich derjenige,
der mit dem Einfangen beschäftigt ist, beim
Modellstehen aber ist es der Maler, und ich
spiele gewissermaassen die Rolle des Fisches,
dessen Schicksal ich mir noch niemals als
besonders beneidenswerth vorgestellt habe.“

Nach Haussmann kam der Pfarrer Hfllsen
aus Böhne bei Rathenow an die Reihe, der,
wenn seine Amtsgeschäfte es zulassen, in der
Haussmann’schen Moselweinkneipe als immer
willkommener Gast zu erscheinen pflegt und
einen „Charakterkopf“ hat, wie die Meister
der Malerkunst sich auszudrücken pflegen.

Und hat er ihn nicht entschieden? Mit Freude
und Ehrfurcht begrüsse ich Dich, den redlichen
Pfarrer von Böhne, den gattinbeglückten,
kinderumblühten, sangeskündigen, immer un-
verzagten und heiteren! Wie manche frohe

el 11

Küster Schneider.

Stunde habe ich gesessen in der Lindenlaube vor Deinem Pfarrhause, in dem j e
Gast willkommen geheissen, von dessen Thür kein Armer zurückgewiesen vV 11'

Doch ich verehre Dich noch aus einem besonderen Grunde, weil Du ein gross'

ei'

Botaniker bist, dem alles bekannt ist vom Ysop, der auf der Mauer vvächst, b’
zur Ceder des Libanons, vor allem aber auch unsere heimische freundli c' lt'
Pflanzenwelt. Ich habe Dich oft gesehen in Deinem Garten, wo Du mir D ellie
Lieblinge zeigtest, das lefzte Mal aber sahen wir uns im Winter, als drauss e1’
hoher Schnee lag, auf der Hasenjagd, die ein gemeinsamer Freund als Jagdh e1'
auf der Böhncr Feldflur veranstaltet hatte. Du führtest kein Mordgevvehr. s’’
vvenig vvie ich, vvir beide waren nur als Zuschauer an dem Waidmannsvergnüg el1
betheiligt. Da sahen vvir beide, auf der Landstrasse stehend, vvie ein Häsch el
auf eiliger Flucht vor den Treibern fortwährend gegen ein dünnes Drahtg lttel

ansprang, mit dem eine kleine Baumpflanzüfc
umgeben vvar. In seiner Angst oder vveil e
schwacher Augen vvegen das Gitter nicht sa
sprang es dagegcn an. „Warte.' dich kn e»

ich,“ riefst Du und liefst mit dem Stöck in


- • ’ :

Hand auf den kurzsichtigen Lampe los. ^b e
ehe Du ihn noch schlagen oder greifen konnt e
drehte er sich — ein Gott erbarmte sich s ellie
— um, erkannte Dich als den Pfarrer von Böh 11

bei Rathenow, wo die Brillen gemacht vv'er

rd etI'

AuS'

ei 11

reissen habe ich noch nie gesehen. Wie
Vogel flog er davon über das Schneefeld u' 1
die Gräben. Wir aber standen da und lacht el1
und auch Du freutest Dich ini Herzen darüb el
dass er glücklich entwischt war.

An den Pfarrer schliesst sicli würdig c
Küster an. Es ist der Küster Schneidei'
der Dreifaltigkeitskirche in Berlin, der auch

und zu bei Haussmann erschien uiid bei elllC

d el''

solchen Gelegenheit von Fritz Werner,

wie alle guten Maler, immer die Augen

hüb

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d e-

oflfen hat, bemerkt und eingeheimst vvu 1'
Auch ein Charakterkopf! Es liegt aber daf a^

Professor Scheibler.

etwas vom Heiligenschein, wie er so l e,e
gerade bei Küstern, die viel mit froru 111
Leuten in Berührung kommen und meist

nic
 
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