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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [1]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0324

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MODERNE KUNST.

233

' Vl'ide in die Grube gethan und verarbeitet, und bald schauten aus der
^ rubenecke nur noch zwei kurzgeschnittene Rebenschenkel mit den
Pelzigen jungen Augen hervor, die einst einen neuen kräftigen und trag-
^higen Stock ergeben sollten.

Rüdig wollte für heute sein Tagewerk beschliessen mit dieser ersten
neüen Senkung auf dem Felsen, den er für seinen Berg zu erobern dachte.
^ 1 lehnte sich auf seinen Schaufelschaft und blickte nachdenklich in die
enachbarten Weingärten, die sich jenseits des Felsens in einem Seiten-
tha’e hinzog en.

Er hatte eine Weile hinübergeblickt und schüttelte endlich den Kopf
üher die nachlässige Winzerarbeit, die er hier verrichtet sah. Das ganze
^eitenthal auf beiden Bergabhängen, die nächsten zwei Bergrücken, die
^äch dem Strome zu lagen, waren das Eigenthum der weitberühmten
^eingrosshandlung von Anton Spurmann, welche nur Eigenbau betrieb,
lhle köstlichen Traminer, Rieslinge und Burgundertraubenweine aber in

pii

le Welt verschickte und den Ruf eines der solidesten und leistungs-
fÄhigsten Weingeschäfte genoss. Sie verdankte diesen Ruf nicht zum
h'Cfingsten dem fleissigen Anbau ihrer Berge, der vorzüglichen Winzerei,
' Velche unter der Oberaufsicht des alten Hans Büttner, des Winzermeisters
her Handlung, in den letzten Jahrzehnten hier verrichtet worden war.

Rüdig sah drliben über dem Seitenthale auf der Berghöhe den alten
^ ann zwischen den Weinpfählen stehen und graben. Er erkannte ihn,
hotzdem die Gestalt in der Ferne verkleinert erschien, deutlich und dachte
harüber nach, was der Alte wohl sagen würde, wenn er die wundersame
^inzerthätigkeit sehen würde, die man trotz seiner erfahrenen Ober-
aüfsicht hier ausgeübt

Rüdig sah ganz deutlich, dass hin und wieder die Tragreben der
^Hnstöcke am Rande des Nachbargrundstückes hin in gleich grossen
^chenkeln geschnitten waren. Das war ein Fehler, den er schon mit
-chselzucken wahrnahm.

„Es wird wohl wieder einmal der Horst gewesen sein, der lüderliche
Schelm!“ meinte Rüdig bei sich und unwillktirlich suchten seine Blicke

nach Martha, seiner jungen
Schwägerin, der Schwester
seiner Frau, welche mit der
letzteren die Besitzerin des
Weinberges war, den er be-
baute. Er wusste, dass Martha
mit Schneiden der Reben den
ganzen Tag verbrachte; sie
war darüber, die letztenTau-
sende ihrer Weinstöcke zu
bestellen, nachdem man schon
längere Zeit auch gemeinsam
den Rebenschnitt besorgt
hatte. Rüdig’s Blicke suchten
vergeblich die Gestalt seiner
Schwägerin; aber er wusste,
dass sie drunten am Berge
stehen musste, wo Schleh-
dornhecken und Obstbäume
sie verbargen. Der Winzer
dachte zwar bei sich, dass
Martha wohl fleissig und sorg-
sam ihren Rebenschnitt ver-
richten würde, denn es war
ja im Grunde ihr eigener
Wein, ihre eigne ererbte
Habe. Aber die Beobachtung
beim Nachbarn veranlasste
ihn doch einmal nachzusehen,
ob das Mädchen, während
er der Senkarbeit oblag, alles
gut gemacht hätte.

Bald kam er in das Be-
reich, wo Martha den Tag
iiber geschaffen hatte. Er

sah die Spuren ihres Thuns
an allen Stücken auf der
Hügelrundung. Die kräftigen,
braunen Reben standen über-
all sauber geschnitten neben
den Pfählen in die Höhe; die
abgeschnittenen Reiser lagen
schon zum Theil zusammen-
geschichtet am Wegrande,
und Rüdig wusste, dass das
die kleinen Hände seiner
Kinder besorgt hatten. Er
lächelte leise und glückselig
in seinen blonden Bart hin-
ein. Aus den regeirecht und
ordentlich beschnittenen Re-
ben aber floss überall der
wasserklare Saft heraus und
hing in Tropfen, gleich Thrä-
nen, am Rebengnde, um lang-
sam auf die Erde hinabzu-
träufeln. Rüdig sah mit Be-
friedigung, dass Martha Alles
wohlgethan, das kräftigste
und tragbars.te Holz zum
Schnitte ausgewählt und
jeden Stock nach seiner Art
und seiner Eigenthümlichkeit
entsprechend zurechtge-
schnitten hatte. Ein Gefühl
von stiller Dankbarkeit und
freundschaftlicher Zuneigung
zu der Ungesehenen kam
über ihn. Er sah, dass er
gar nichts besser machen
konnte und suchte sich endlich mit grosser Mühe ein Rebenende aus, das
ihm zu lang gerathen schien. Er beschnitt es heimlich, damit er seinen Weg
nicht ganz umsonst gemacht hätte. Zufrieden und lächelnd ging er dann den
Weg zwischen den frischen Schnitten zurück, bis er um die Hügelrundung
bog und dort seine beiden blonden Kinder, einen Knaben und ein Mädchen,
eifrig mit dem Auflesen der abgeschnittenen Rebentheile und Strohbänder
beschäftigt sah. Munter häuften sie dieselben, zwischen den Weinpfählen
heraustretend, am Wegrande zusammen, damit sie gebunden nach dem
Hause hinaufgetragen und zur Feuerung benutzt werden konnten.

Der Weg, den die frisch geschnittenen, weinenden Reben bezeichneten,
führte noch weiter abwärts am Berge zu den Schlehdornhecken. Hier
stand die Winzerin, ein rothleuchtendes Kopftuch tragend, dessen Zipfel
ihr leicht über die ovale, ebenmässige Stirn hereinnickte. Sie hatte ihren
Rock zur Arbeit hochgeschürzt und wanderte von einem Weinstock zum
andern, schnitt mit der Scheere die untauglichen Rebenenden ab und
säuberte die Stöcke. Man sah sie die abgefallenen Ranken mit dem Fusse
bei Seite schieben. — Martha hielt eben einen kräftigen Schössling vom
Vorjahre in der Hand und suchte sich die schönsten Augen aus, um über
ihnen den Rest abzuschneiden. Je nach dem Alter der Stöcke pflegte
sie zwei, drei, auch vier Augen stehen zu lassen.

Hinter der niederen Weinbergsmauer, die mit Moos und Gras be-
wachsen war, das seine ersten grünen Spitzen zeigte, tauchte der Ivopf
eines Mannes vor. Mit heimlich funkelnden Augen, in denen ein wunder-
samer Schmelz, ein heimliches Schillern zu leuchten schien, schaute Horst
dem Mädchen zu, das sich unbeobachtet glaubte. Eine scharfgebogene
Adlernase, ein hellbraun gebranntes Gesicht, ein hübscher Mund, in dem
die schönsten weissen Zähne sassen, während ein kurzes, weiss-blondes
Bärtchen seltsam von seinen schwarzen Augenbrauen und schwarzen
Haaren sich abhob, machten diese Erscheinung zu etwas Aussergewöhn-
lichem. Er beobachtete ejn Weilchen die ahnungslose Winzerin mit den
niederblickenden Augen in einer stummen, ungeduldigen Leidenschaft-

lichkeit. — [Fortsetzung folgt.]

Mimiker Ernst Schulz.
Originalskizze von Fritz Werner.

Johannes Trojan.
Originalskizze von Fritz Werner.

IX. 15. 111.
 
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