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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [2]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0337

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246

MODERNE KUNST.

Hans Dahl. Studie.

„Sehen Sie, Fräulein Martha! das kommt davon!“ sagte Horst, indem
er die Beine vom Mauerrande herabschwanken liess. „Jetzt haben Sie
vor Schreck über mich gleich daneben geschnitten. Aber wenn Sie
wüssten, was ich für Dinge thue, blos, weil ich unter der Arbeit fort-
während an Sie denke, da würden Sie noch einen ganz anderen Schreck
erleben. Alle Reben habe ich gleich geschnitten und alle Augen ersäuft
und nur, weil ich regelmässig den Verstand verliere, wenn ich an Sie denke!“
Martha bückte sich, um einige Reiser zusammenzulesen, Sie sagte:
„Sie sollten nicht solche Sachen reden! Es glaubt’s Ihnen kein Mensch
und ist auch zu gar nichts Nütze.“

„Nun, wenn man’s nicht glauben will, so braucht man sich’s nur ein-
mal anzusehen, ob ich liige oder wahr rede, Sie brauchen blos über die
Mauer zu schauen, da werden Sie schon die Bescheerung merken, die Sie
angerichtet haben. Denn an Allem, was hier geschehen ist, daran sind
Sie schuld, Fräulein Martha Leiser, weil Sie es daraut anlegen, mir
gänzlich den Verstand zu nehmen!“

„Ja, was soll denn cla geschehen sein?!“ frug Martha von einer heim-
iichen Neugierde bewegt. „Wer soll denn iiberliaupt aus Ihnen klug
werden?!“ Sie schielte bei diesen Worten von ihrer Arbeit nach der Mauer
hinüber. „Kommen Sie nur hertiber zu uns und sehen Sie sich einmal die
Geschichte an! Und wenn Sie dann noch zweifeln, dass ich der Einzige
bin, den Sie gern haben müssen! Warten Sie, ich springe gleich hier
herunter und helfe Ihnen über die Mauer hinüber, dass Sie alles sehen!“
Er machte Anstalt von der Mauer herabzuspringen in das Grundstück
der Schwestern. Martha warf erschrocken ihre Scheere und Rebe hin,
ging ein Stück auf ihn los und sagte:

„Dass Sie sich nicht unterstehen! Auf mein Grundstück dtirfen Sie
nicht; ich lasse Sie nicht herein. Was Sie da drüben thun und reden,
das kann mir einerlei sein, aber meinen Weinberg betreten Sie nicht!“
„Aber ich muss Ihnen doch über die Mauer helfen!“ sagte Hörst,
etwas kleinlaut über die heftige Aufregung des Mädchens.

„Ich kann auch üb.er die Mauer sehen! Ich brauche nicht hinüber.
Ich duld’ es nicht, dass Sie hereinspringen! Ich gucke schon so hinüber,
wenn Sie’s durchaus wollen!“ - ■ ,

Sie war bei diesen Worten etwas zögernd gegen die Mauer gegann

creH-

lag

Sie nahm einen losgebrochenen Mauerstein, der am Fusse derselben
und rollte ihn zurecht, versuchte, ob sich mit ihrem Fusse darauf steh el1
liess, und, als sie ihn fest fand, trat sie darauf und schaute neugierig 1(1
das grosse Nachbargrundstück hinein.

„Nun, habe ich wahr gesprochen?!“ frug er mit einem Tone, in
sich lauernde Leidenschaftlichkeit und Genugthuung vermischten.

Martha sah, dass wirklich viele von den Reben unrichtig geschnit terl
waren, wie es kurz vorher Riidig an einer anderen Stelle gesehen hah e
Sie sah in nächster Nähe unter der Mauer mehrere durch den Saft ef
säufte Augen und brach in den Ruf aus:

„Aber, Horst, was haben Sie denn da gethan? Das ist ja der rei llC
Frevel.“ —

„Freveln muss man sein ganzes Leben lang, wenn man Sie nur d 11
mal angeseh’n hat, schönes Nachbarmädchen!“ sprach Horst, indem er
aut der Mauer näher an sie heranrückte und sich flüsternd zu ihr neig te

Ein Ton von wilder Leidenschaftlichkeit und Liebeshunger klang
seiner Stimme; Martha drückte unwillkürlich leise die Augen zu, in 1

aus

de« 1

tit

sie von innen lauschte, sie regte sich nicht und war wie heimlich geba 11

durch das, was sie sah und hörte. „Freveln muss man an Allem, " aS

man unter die Hand bekommt!“ fuhr Horst fort. „Wenn ich beim ^ 1

beiten Sie drüben im Garten stehen sehe und Sie kehren mir den Rück etl

ick

zu, ohne mich anzusehen, als merkten Sie mich nicht, gleich muss

üf

einen Schnitt in den Weinstock thun, dass er bis von der Wurzel hera
ausblutet und kein Tröpfchen Saft darin bleibt. Und wenn Sie nicht ^

llßS

sind und ich warte, dass Sie doch kommen möchten, mache ich au

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falsch, ich hacke die Gerinne in der Erde entzwei, ich schneide glei c

Ach.

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Schenkel, mein Verstand ist weg und lauter Verruchtheit geschieht.
wenn Sie doch ein Einsehen hätten, wenn Sie mich ein bischen
hätten und meine unglückliche Liebe verstehen könnten.“

Martha hatte die Absicht gehabt, den frechen Burschen, der sc
seit einiger Zeit ein Auge auf sie warf, stehen zu lassen. Aber

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di c

Empfindung, dass man um ihretwillen so grossen Frevel an den edelst el1
Weinstöcken beging, hatte etwas Bannendes und Lockendes. Sie wus :
nicht, dass Horst seine zerstörerische Thätigkeit fast ebenso sehr in

ste

bewussten Berechnung ausgeübt hatte, wie er in Anfällen eines geistiS er
Rausches, der unwiderstehlich über ihn kam, wenn Mädchen von K ia
und Schönheit ihm nahe waren:

Martha blickte, von einem Zaubergefühl erfasst, an der langen R el^
der Pfähle hinauf, und die Verrücktheit der
Leidenschaft, welche sie aus Horst’s Thun
empfand, verzauberte ihr Inneres.

„Wenn ich es nun dem alten Büttner
oder Herrn Spurmann sage, dass Sie solche
Sachen machen!“ fragte sie plötz-
lich, indem ihre Augen wie von
einem heimlichen Blitze erleuchtet
unter den Lidern aufflammten.

„Dann schiesse ich mich hier
auf der Stelle mit einer alten Vogel-
flinte todt oder ertränke mich im
Mostfass, dass der
ganze Wein ver- '
dirbt und in die
Strassengosse
laufen muss!“
flüsterte der Win-

zer ihr in’s Ohr. ß? \ Uans

„Sie haben
das Alles nur im
Rausche gethan
und wollen mir
vormachen, es sei
wegen meiner!“
sprach Martha, in-
dem sie mit den
Achseln zuckte

Hans
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