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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schmidthässler, Walter: Die Nixe: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0343

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2^2

MODERNE KUNST

kleines Waldhäuschen vor ihr liegt, ihr Lieblingsplatz, halb versteckt zwischen
wild wucherndem Eichengebüsch.

Hier setzt sie sich nieder, das Skizzenbuch gleitet von ihrem Schooss
zwischen die zitternden Gräser, sie kreuzt die Arme unter das goldlockige
Köpfchen, lehnt sich weit zurück und blinzelt unter den langen Wimpern zu dem
grünen Blätterdach empor.

Lange, wohl eine Stunde liegt sie im Wald, da knackt und raschelt es im
Gezweig, ein schlankes Reh tritt aus dem Gehölz, sieht mit grossen Augen auf
das schlafende Mädchen — stutzt — und huscht über den Weg.

Auf dem Waldpfad nähert sich ein fester, jugendlicher Schritt, und gleich
darauf taucht aus den Bäumen die schlanke Gestalt eines kaum zwanzigjährigen
Bauernburschen. Wildes kastanienfarbnes Haar fällt in die gebräunte Stirn.
Unter der sammetnen Haut leuchtet rosig das purpurne Leben hervor, und unter
den dunklen Wimpern lachen fröhliche Augen sorglos in die sonnige Welt.

Wer Märchen gelesen, denkt sich so den zum Bauernburschen verwandelten
Königssohn, dessen trotzige Burg zwischen den höchsten Tannen auf schroffer
Felsenhöhe steht, wo Adler und Falken horsten.

Wie das Reh stutzt auch er vor dem schlafenden Mädchen, aber er läuft
nicht davon, sondern steht wie angewurzelt und starrt in das wunderliebliche
Gesicht mit dem Ausdruck maasslosen Entzückens.

Da öffnet auch sie im Halbschlummer die Lider, aber ein wenig nur — ein
ganz klein wenig und sieht, überfluthet vom blendenden Sonnenlicht, den Burschen
vor sich stehen, die grossen dunklen Augen fest auf sie gerichtet.

Langsam, ganz langsam richtet sie sich empor, aber wie gebannt bleibt der
junge Mensch stehen, wagt nicht zu athmen, und glühende Röthe flammt tiber
sein schönes Gesicht! —

Einen Augenblick starren sich die beiden an, dann bricht sie in ein helles,
lustiges Lachen aus und ruft dem verdutzten Burschen zu:

„Bitte, bleib’ so stehen und rühre Dich nicht! Ich will Dich zeichnen!“

Er gehorcht willenlos ihrem Befehle, an den Stamm einer Tanne gelehnt,
ohne zu antworten. Aber das Herz klopft ihm zum Zerspringen.

Und sie greift zum Skizzenbuch und beginnt ihn zu zeichnen.

Dabei plaudern sie beide harmlos und ungezwungen wie ein paar grosse
Kinder.

Er hat sie oft schon gesehen, die Tochter seines stolzen Gutsherrn, aber
von Weitem nur, ganz von Weitem, wie eine Heilige hat er sie angestaunt
und sich heimlich immer gefragt, wer schöner sei, sie oder die Madonna in der
kleinen Ortskirche, von der sie sagen, dass ein berühmter Maler sie geschaffen.

Er ist Holzfäller, wie sein Vater, wie seine Brüder, armer Leute Kind, aber
auch er hat eine Kunst gelernt, ganz aus sich selbst, die Holzschnitzerei, und
schüchtern bittet er sie, ihr seine kleinen Werke zeigen zu dürfen.

Ein undefinirbares Etwas drängt ihn, sich gerade ihr in günstigem Lichte
zu zeigen, seine bescheidene Kunstfertigkeit vor ihr glänzen zu lassen.

Sie kann ihre Skizze heut nicht vollenden, sie hat mehr geplaudert als ge-
zeichnet und lachend klappt sie das Buch zu.

Gern, sehr gern verspricht er ihr, morgen wieder zu kommen, fruiher als
heut, denn morgen ist Sonntag, ein arbeitsfreier Tag für ihn, und wie könnte er
ihn schöner verwenden!

Er verabschiedet sich von ihr, und sie streckt ihm ihre weisse Hand hin, die
er kaum zu ergreifen wagt, und wie im Fieber kommt er heim.

Und wieder gliiht die Sonne auf das durstende Land, wieder rührt sich irn
Geäst der Bäume kein Blättchen und wieder sitzt im weichen Moose die junge
Gräfin und zeichnet ihr Modell. —

An die Tanne gelehnt steht er wie ein marmornes Bild, nur die Augen
leben und sprechen ihre beredte stumme Sprache, sagen wortlos tausend Dinge,
die der Mund niemals auszusprechen wagen würde.

Seine kleinen Kunstwerke gefallen ihr, und das macht ihn stolz und glücklich,
unsagbar glücklich. Es-ist der schönste Sonntag seines ganzen Lebens.

Am Abend tanzen im Dorf unter der Linde die Burschen und Mädchen,
er aber geht heute nicht dorthin sich unter die Kameraden zu mischen wie sonst.
Im Mondschein streift er durch den Wald, nach dem Waldhäuschen hinaus, und
dort im thaufeuchten Gras sucht er die Stelle, wo sie gesessen. Dort kauert er
sich nieder, starrt vor sich hin und träumt mit offenen Augen stundenlang. Er
hat einmal ein Märchen gelesen von einer wunderschönen Nixe, die den Hirten-
buben hinabzog in ihr feuchtes Königreich und ihm dort die funkelnde Krone
aus Corallen und Muscheln auf’s Haupt setzte. Aber der arme Erdensohn starb
an der Ueberfülle des Glücks.

Er hatte es früher nie so recht begriffen, aber heut schleicht er nach Haus,
kramte das alte Kinderbuch mit seinen bunten Bildern unter altem Gerümpel
hervor und liest das kleine Märchen, bis er es auswendig weiss! —

Am nächsten Tage treffen sich die beiden, obwohl sie nichts verabredet
haben, auf dem Wege zu dem kleinen Häuschen tiefer im Walde, als er von der
Arbeit zurückkommt.

Heut zeichnet sie nicht, sie plaudert mit ihm, und dabei kommt ihm das
unglückselige Märchen nicht aus dem Sinn.

Immer ist es ihm, als schlängen sich weiche, wonnige Arme um seinen
Nacken und zögen ihn hinunter in eine bodenlose Tiefe!

Und geheimnissvoll schwieg der Wald ringsumher, die Zweige wölben s' c
dicht und schattig, und die Tannen duften dazwischen.

Plötzlich rauscht ein Windstoss tiber sie durch die Wipfel, und in der Fe' 11’
grollt es dumpf und ahnungsvoll heriiber.

„Es konimt ein Gewitter!“ ruft sie erschrocken, „ich bitte Dich, begleite nü
zum Schloss!“ —

Und schweigend schreiten sie neben einander her.

Aber schnell zieht das Wetter empor, immer finsterer wird’s um die beid eI ’

imtner näher hallt der Donner, die Blitze folgen immer schneller und leuchten

aufeinander, und einzelne dicke Tropfen fallen durch das Geäst! —

Sie beschleunigen ihren Schritt, um wenigstens die Waldhütte zu erreich el
aber das Wetter holt sie ein.

Ein flammender Blitz taucht secundenlang alles in bläulich-violetten Schc' 1

ein mächtiger Donnerschlag begleitet ihn. und mit einer unwillkürlichen Beweg 1 r

des Erschreckens schlingt sie fest den Arm um ihn.

Als hätten Blitz und Donner ihn getroffen, zuckt er zusammen bis in’s M* 1

alles Blut schiesst ihm in heisser Welle in’s Gesicht. Sie halten einen Moni eI1

sie

unter ciner breitästigen Eiche. In Strömen rauscht jetzt der Regen um
hernieder.

Aber nicht weit von ihnen winkt schon die Lichtung, an der das Waldhn 11
ihnen ein schützendes Obdach bietet.

Am Stamm des Baumes bietet sich in kleinem Kreise ein dürftiger Sch llt?
Willenlos lehnt sie sich an seine schützende Brust. ^

Auch ihr ist es, als zöge eine unwiderstehliche Gewalt sie in Donner 1,11
Blitz zu ihm hin.

Sie hebt die Arme und legt sie um seinen Hals, und er denkt wieder h c
Nixe, die ihn wie im Märchen zu sich hinabzieht in die feuchte Tiefe.

Da hält es ihn nicht mehr. Er beugt sich nieder, umfasst die zarte Kind eI
gestalt, hebt sie mit spielender Leichtigkeit auf seine kräftigen Arme. I

Ihr lockiges Haupt sinkt auf das seine, ihre Lippen berühren seinen Sche ltf^
und durch den rauschenden Regen trägt er sie in wilden Sätzen über die Licht 1" 1-"
bis zu dem kleinen Waldhäuschen, dessen Thür er mit kräftigem Fusstf
aufstösst.

Und weiter rollt der Donner, der Regen strömt hernieder und die bla 11

B , jg ii

Blitze erleuchten wie dämonische Fackeln den einsamen Forst, während in
rauschenden Zweigen die Geister des Sturmes ihr jauchzendes Lied singen.
Nach Stunden erst klärt sicli der Himmel.

Von Strauch und Baum tropfen im Abendsonnengolde wie Diama 1 ^
funkelnde Regentropfen, und an der Thür der Hiitte lehnt das blonde Weib ^
der Brust des schönen Burschen. der auf sie niederschaut mit einem unbescm e ^
lichen Ausdruck der Verklärtheit, während sie leise vor sich hinlächelt und ein
bunten Falter naChschaut, der im Sonnenlicht seine farbigen Flügel badet!

Drei Wochen sind vergangen.

Im Grafenschloss herrscht reges Leben. Blumengewinde kränzen die hol'
Säulen uncl bunte fremde Livreen drängen sich auf Treppen und Corridoren-

jYilt

Abend fiir Abend steht am Eingange des Parkes ein junger Bauer
unheimlichen dunklen Augen, presst die heisse Stirn an die kiihlenden P tel
und schaut unverwandt durch das vergoldete Gitterwerk nach dem Eckfens
im ersten Stock, bis hinter dem dichten Blättergerank dort die nächtliche I aWP
erlischt. Dann stöhnt er auf. tief und schmerzlich wie ein zum Tode vervvunde
Wild und geht wie ein Träumender kopfschüttelnd heim, zu den letzten Häü» e
im Dörfchen, wo die armen Holzfäller wohnen!

Heut’ ist auch die Schlosscapelle festlich erleuchtet gewesen, das g al
Herrenhaus schwimmt noch in einem Meer von Licht. und auch der Park g ta ^
in seinen träumerischen Alleen von bunten Lampions und farbigen Windlicht el
Noc’n heut’ Nacht reisen die Neuvermählten ab. ^

Die Gräfin betritt, während die Musik vom Garten heriiberklingt, zum l etz ..

1 Jll 1 L

Mal ihr lauschiges Mädchenzimmer, um das langschleppende Brautgewanu

dem Reisekleid zu vertauschen! ,r

. ,,

In Kranz und Schleier tritt sie zum off’nen Fenster, da fällt ihr BucK
ein Buch, das offenbar von unten während des Festes in’s Zimmer geworfe 11
und nun halb aufgeblättert auf dem Fensterbrett liegt! —

Ein Märchenbuch ist es, zerlesen und vergilbt. Ein sorgfältig befestU
Strauss verwelkter Glockenblumen bezeichnet ein kurzes Märchen von der
haarigen herzlosen Wassernixe, die den armen unseligen Hirtenbuben mit
schneeigen Armen umschlingt und hinabzieht in die schweigende Tiefe! —
Darunter steht ein Kreuz und ein Datum, das heutige — wie man I ot
tage zu bezeichnen pflegt. Sonst nichts! — ,je

Als die Zofe in’s Zimmer tritt, steht die Gräfin am Fenster, bleicher al-" ^
matte Seide ihres bräutlichen Gewandes, hinausstarrend zum Walde, beide ^^||[
auf’s Herz gepresst, und langsam rollt eine Thräne über ihr Gesicht und
zwischen die funkelnden Edelsteine ihres Geschmeides.

Langsam wendet sie dem Mädchen das Gesicht zu, in dem ein rriaassi 0^
Leid sich spiegelt, reicht ihr das kleine Buch und sagt mit zitternder Stn 11
während sie den Kranz aus den rothen Locken nimmt:

„Leg’ beides zusammen, es gehört zu einander!“

Nur die Nixen und Wasserrosen wissen, wo der junge Bursche g e

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