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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Hevesi, Ludwig: Frühling in Nizza
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0354

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MODERNE KUNST.

263

P'

k^berbaum aus Australien. bepilanzt ist, nicht gut auf-
^° nlmen. Sie verstehen nichts von Politik, die guten
jj 22arden. AIs Italien sie an Frankreich abtrat, wurde
I r Haar keineswegs über Nacht weiss, und die Triko-
der Schönen von Nizza ist die nämliche geblieben;

Grün-Weiss-Roth, noch französisches
au-Weiss-Roth, sondern nizzardisches Blau-Schwarz-

\v,

w

etss. Nämlich blaue Augen, schwarzes Haar und

eisser Teint, was anerkanntermaassen unter die schön-
ten Nationalfarben gehört.

Der einzige Krieg, der hier allerdings jedes Jahr
nUsbricht, heisst Carneval und fällt in den eingangs er-
'' ähnten Hochfrühling. Da werden regelmässig drei
' Cnlachten geschlagen: die Confettischlacht, die Blumen-
Schlacht und die Moccoli/chlacht. In jeder der drei kann
S|ch der Tapfere nach Herzenslust auszeichnen. Wer
a' n Confetti-Tage in Cylinderhut und schwarzem Paletot
^ Urch die Strasse des heiligen Franziskus von Paula,
li* )er den Corso und an der Präfectur vorbeigegangen
' st> der hat mehr gewagt, als Bonaparte auf der Brücke
V° n Arcole. Dieser wurde nicht mit Confetti, sondern
l1Ur mit Kartätschen angehagelt und kam nicht vom
*°Pf bis zu den Füssen angegypst, als sein eigener
• ^'Psabguss heim. „Einmal und nicht wieder,“ sagte ich
1' 1* r, obgleich ich damals noch verhältnissmässig jung war,
l,n Jahre 1875. Unsere ganze Pension war in corpore
aüsgerückt, im Zuge selbst, weil das nichts kostete. Wir
_ aren als „englische Faune“ gekleidet, mit hohen grauen

cyii

nderhüten, rothen Backenbärten, blauen Brillen, gel-

Jetl Nankingfräcken und struppigen Bocksfüssen dazu.
s schneite an jenem Tage und wir kamen mit weissen

Psuletten aus Schnee und einem gemeinsamen Pensions-
Schnupfen heim. Das Confettiwerfen war den Leutchen
jj an>als verleidet, aber ich entging ihm doch nicht. In
Cr Altstadt, jenseits des Paillon, wo jedes Gässchen
e' n Treppchen ist und in einen finsteren Sack mündet,
aild es statt. Ich sing nach der „tollen Woche“ hinaut,

ll Ö o "

111 mich auf der kleinen Levkojenterrasse der sogenann-
ten „Mausefalle“ — sie ist halb Capelle, lialb Osteria —
?n sonnen. Man trank dort einen rothen Bellat. den die
Cftskundigen selbst dem noch rötheren f'alicon vorzogen
ntld den die Frühlingssonne köstlich durchwärmte. Dazu
*°chte einem die alte Maus — die Wirthin hiess näm-
ch Madame Souris — ein „Ravioli“, ftir das man in der


11T h n

Slschen Taverne des Casino neun Francs bezahlt. Ihre

er hatten die Eier dazu eigenhändig gelegt, sagte

^ le> und den Käse dazu bezog sie aus St. Martin de

. atltosque, hochoben in der „maritimen Schweiz“, wo

jjj r Sohn eine Almerei hatte. Und das Gemüse dazu

KaUfte sie von ihrer neunzigjährigen Mutter, unten am

Hclbspnjdelnden Var, deren Gemüse wie Iauter Blumen

aitssah. Und so wie Madame Souris wusste Niemand
di,

(b,

sagte sie) zu bräunen. Der Ravioli, das war der Speck
Und man hatte dabei die Aussicht, in sieben verschiedene

® Se Dinge feinzuhacken, zu mengen, zu buttern
eürrer ä l’huile, sagte sie) und über einem liebevollen
. eUer (feu amoureux,

111 der

Q

,° Ssen (mit o) hinab, die nicht gerade partümirt waren, und über ungezählte
leSelbraune Dächer, auf denen mit Flobertgewehren Katzen geschossen wurden,
j'hauende Kaninchen für die Gibelotten in so mancher Casserole der Altstadt.

ngsum aber starrten Hunderte, nein, viele Tausende von umgestürzten irdenen
, ütllentöpfen, die lauter Schornsteine waren und deren hellblaue Athemzüge
Slcb als Rauchwölkchen vom tiefblauen Himmel abhoben. Und die Eleganten
Ifllt vergoldeten französischen Schuhabsätzen liessen sich auf Tragstühlen hinauf-

b

r* ngen, während ihre Begleiter in genagelten, juchtenen Schnürschuhen über die
j e' en glitschigen Pflasterstufen nachstolperten. Und siehe da, ant Sonntag nach
er tollen Woche machte sich die Jugend von Alt-Nizza da oben ihre eigene

den in Rue St.
noch ganz

Vincent de Paula zusammengekehrten Ge-
anderes Kreuzfeuer als unter den Augen

° nfettischlacht mit
°ssen. Das war ein
^° nsieur le Prefets. Die hohe Gaminerie von Nizza macht nämlich da oben der
eganten Welt all das parodistisch nach. Auch die Balgerei mit den Lichtlein,
au«geblasen und wieder angesteckt werden. Sie sammeln auf dem Corso
^ ' Veggeworfenen Stümpfchen und was unten noch Moccoli war, wird oben
° Ccolatti. Nur ihr Feuerwerk ist weniger glänzend

Va‘ser

als unter dem zweiten

Py Erreicb> wo Mr. Gavini, der unsterbliche Präfect von Nizza, der Altstadt, jeden
, r° technischen Unfrg gestattete, allerdings auch die
erett hielt.

Pompiers fortwährend

Der Blumencorso der Altstadt blieb freilich hinter dem der englischen Stadt
£ l' cb- Dazu bedarf es nun einrnal einer Promenade des Anglais und zweier
’pagenreihen voll nobler Leute mit einem Gesichtsausdruck, als hätte jeder


Maler in Nizza.
Originalzeichnung von
E. R osenstand.

einzelnc gerade ein pralinirtes
Bonbon von Rumpel, dem Welt-
beriihmten, im Mnndc. Oben
warfen sich die Leutchen mit
Rüben und Zwiebeln. nnten mit
Doppelveilchen und Camelien.
Ein Faschingmontag bringt eine
halbe Million Francs in Göttin
Flora's Sparbüchse. Man hat
Nizza schon als alles Mögliche
bezeichnet: als „ mittelländi-
sches Babel“, als „Stadt der
Väter“ (wegen der Väter Gari-
baldi's, Gambettäs und Sardou's), als „Avenue de l’Opera am Südmeer“, als
„Residenz des Frühlings“ und „Mylordopolis“; eigentlich aber und vor allem
ist es doch die Blumenstadt. Es ist unbegreiflich, warum man noch heute
„violettes de Parme“ (und Partnesankäse) sagt. Selbst aus Florenz werden keine
100 000 Schachteln Blumen in einem Winter versandt. Nizza ist die Stadt Al-
phonse Karr's, des Verse- und Blumenziichters, der einst von sich sagte: „Ich
habe Nizza in das Knopfloch von Paris gesteckt.“ Er hat Nizza zu einer Blumen-
grösse gemacht, und dann wurde ihm selber vor dieser Herrlichkeit bange und
er entfloh in die Stille von Saint-Raphael. Noch jetzt heisst ein Blumenladen
am Jardin Public, „Zum Alphonse Karr“. Darum war Karr auch der Vater
Solignac’s, des grossen, unerreichten Solignac's, des Königs der Bouquetieren.
Der kleine, grauköpfige Gärtner, der als anerkannte Weltberühmtheit noch in
Hemdärmeln Rosen zuschnitt und Veilchen begoss, war zugleich das bahnbrechende
Genie für Blumenarrangements. In London und St. Petersburg prangten Ball-
königinnen mit Solignac’schen Blumensträussen zu 1000 Francs. Seine Knopf-
lochabonnenten allein. denen er jeden Tag eine gefiillte Nelke zu lief'ern hatte,
machten ihn reich. Solignac war ein Dichter und Maler in Blumen; ein Bouquet-
gelehrter. Er skizzirte Kränze in Aquarell und ersann dabei förmliche Symphonien.
Ein von ihm geschmückter Fächer, eine von ihm umrahmte Photographie waren
Musealstücke. Eine Petroleumkönigin erschien einst auf dem Blumencorso in
einent Schlitten, der eine Eisgrotte darstellte und dicht mit Eiszapfenbehängen
aus Silber und echten Maiglöckchen drapirt war. Man rieth hin und her, wie
viel Petroleum Solignac wohl dafür erhalten haben mochte. Bei Solignac hing
als weltgeschichtliches Andenken unter manchen anderen die Photographie der
chapelle ardente des Thronfolgers Nikolaus Alexandrowitsch, die er ausgerüstet
 
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