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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0407

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MODERNE KUNST.

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Warum vvill er nicht die Entwickelung der Weine beschleunigen mit
Mitteln, die-vollständig erlaubt und vielfach im Gebrauche sind! In Ihrer
Uand, Fräulein Marianne, liegt es. Sie sind die Einzige, welche unsern
Herrn Chef zu diesen zeitgemässen Neuerungen bewegen kann. Und
wenn wir vollends fremde Trauben aufkaufen, die Bestellungen sind so
massenhaft, dass wir einen doppelten, drei- und vierfachen Umsatz mit
einem Schlage haben. Die Million ist vorhanden, Sie brauchen nur zu-
zugreifen.“

„Ja, upd was sind denn das für Mittel?!“ frug Marianne.

Müller beschrieb ihr die Anwendung der Hausenblase und der Filter-
apparate und theilte ihr einige weitere Kellergeheimnisse mit; es seien
dies alles nicht Fälschungen, sondern vollständig erlaubte Mittel, um in
kürzerer Zeit Erfolge zu erzielen. Sie fühlte, dass der Schlag, den Sie
ihm gegeben, wohl auch den Muth in ihm erhöht habe, für diese Keller-
mittel zu reden, und auf einmal hatte sie ein Gefühl, als sei dies alles wie
ein heimlicher Angriff auf ihre Frauenkeuschheit und Würde. Sie liess
den Mann ausreden und entgegnete dann ernst und abweisend:

„Eine Million könnte mich wohl reizen, aber ich gestehe, dass ich in
Ihrem Sinne doch nicht zu meinem Vater reden kann. Die Gründe, die
mein Vater hat, müssen gut sein, und ich selbst möchte Niemandem einen
Wein vorsetzen, der die künstliche Reife hat. Was wäre die Liebe in
'einem jungen Mädchenherzen, die man mit Berechnung erweckte und mit
bewussten Mitteln zur Leidenschaft anreizte? Nein, sie muss von selber
erwachen und sich klären und wenn sie dann später zum inneren Feuer
kommt, so wird sie auch ein wohlthätiges Feuer sein wie ein feuriger
Wein, der den Herren trotzdem ja gut bekommt und ihnen keine Kopf-
schmerzen hinterlässt, wenn er wirklich rein ist. Ich bedaure, dass ich
hier ganz entschieden auf der Seite meines Vaters stehen muss.“

Das letzte Wort sprach sie besonders schroff, weil sie in dem Ver-
gleiche mit dem feurigen Mädchenherzen zu viel gesagt zu haben fürchtete.
Müller hätte das vielleicht missverstehen können.

Der Reisende merkte, dass er abgefallen war, dass im Inneren des
Mädchens sich eine Ideenverbindung vollzogen hatte, die auf ihre feinsten
Gefühle ging, die sie mit der Reinheit der väterlichen Weine verquickte.
Man musste also auf diese Empfindung eingehen, um sie vielleicht dafür
in einer anderen Sache für gewisse Absichten zu gewinnen.

„Mein Fräulein, ich habe das nur so beiläufig gemeint und wenn Sie
selbst an den bewährten Geschäftsgrundsätzen Ihres Herrn Vaters fest-
halten, so werde ich mit um so grösserer Begeisterung für die volle
Keuschheit und Jungfräulichkeit unserer Weine bei den Kunden zu sprechen
im Stande sein.“

Marianne erröthete auf dieses Wort ganz leicht und flüchtig. Es ver-
rieth ihr selbst das unbewusste Gefühl ihrer Seele, aber es nahm sie für
den Mann ein, dass er fein genug empfand, ihre Instincte zu errathen.
LJnd um dem Gespräch die Unbefangenheit zurückzugeben, sagte sie heiter:

„Sehen Sie, das ist das rechte Wort: uns’re Weine sollen keusch
bleiben wie ehrbare Mädchen. Denn die Wirkung der Weine auf die
Männer ist ja gleich derjenigen, welche die Mädchen und Frauen auf sie
ausüben; und nun ist doch klar, dass ein keusches und ehrbares Frauen-
zimmer ungleich nachhaltiger begeistert, als ein coquettes und leicht-
sinniges. Wenn Sie in diesem Sinne für meines Vaters Weine wirken
so werden Sie sich sogar meinen ganz persönlichen Dank erwerben.“

„Es ist mein einziger Ehrgeiz. Aber Sie müssen mir dafür auch eine
kleine Gefälligkeit erweisen.“

Marianne hatte die Empfindung, als müsse sie ihre abweisende Art
wieder gut machen; sie meinte:

„Na, da wollen wir einmal einen kleinen Tauschhandel einfädeln.
Sie versprechen mir, nicht mehr von künstlichen Kellermitteln zu reden,
und ich werde Ihnen dafür die gewünschte Gefälligkeit erweisen. Sie
brauchen nur recht hübsch zu bitten.“

„Es handelt sich gleichfalls um eine wichtige Geschäftssache, in der
ich zunächst Ihren Rath hören möchte. Sie haben ja das traurige Ende
des alten Büttner erfahren, und nun ist, wie Sie wissen, die Frage, wer
an seine Stelle treten soll. Viele wünschen den jungen Horst dazu.“

„Horst?!“ riefMarianne überrascht aus, indem sie leise lachte. „Wie
kommt man auf den?!“ Nach eir.er Weile setzte sie nachdenklich hinzu:
„Er ist ein hübscher Mann!“

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„Das ist er; er wickelt alle Mädchen um den kleinen Finger, und d ^
Winzerinnen werden noch einmal so gut arbeiten unter seiner Aufsi^ 11'

„Aber ich denke, er ist leichtsinnig?!“ frug Marianne rasch.

„Er hat eine gewisse Sehwäche für alle schönen Mädchen, aber
hat das mit seiner sonstigen Thätigkeit zu thun. Genug, dass er em
intelligenter Mensch ist, eine gute Schule hinter sich hat und nach mß' 11'
Ansicht ganz der Mann ist, um die Weinbergspflege nach den neues
Erfahrungen zu vervollkommnen. Wenn Sie für ihn ein Wort bei d e
Herrn Chef einlegen könnten. Es ist in Ihrem Interesse, mein FräuF’ ^
Horst wird die Erträge steigern und wir werden ohne künstliche B' 1
das Geschäft heben Denken Sie an die Million.“

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Marianne hatte die Hoffnung auf letztere schon sinken lassen, ai-
von den Kellermitteln hörte. Jetzt wurde sie ihr unter einer anderen
lichkeit vorgemalt. Wenn Horst der Mann dazu war? Hübsch war er,

hübsch; Marianne hatte sich den schmucken Mann oft heimlich angescha 11

„Ich weiss doch nicht, ob ich für ihn reden kann,“ sprach sie U 1
fragend als verneinend.

„Alle Mädchen im Berge werden noch einmal so fleissig arbe>t c
glauben Sie an diese Psychologie, mein Fräulein.“

Müller wiederholte dieses Argument lächelnd; Marianne frug:

„Aber die Männer?!“

„Die werden aus Eifersucht so aufpassen und hinter ihrer Arbeit
den Mädchen her sein, dass alles wie am Schnürchen geht. Versteh e
Sie diese Psychologie. Ich bin Weinreisender und in Folge des^
Menschenkenner.“

Marianne gefiel in der That diese Rechnung ausnehmend gut, w

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ihr im Stillen Meister Horst selbst immer sehr gut gefallen hatte.
wenn er die dummen Mädchen durch sein bestechendes Aeussere
Gängelbande führte, so war das ja erst .recht unterhaltend.

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„Ich weiss doch nicht, ob ich auf den Vater in diesem Sinne
wirken darf.“

„Aber Sie haben gesagt, wenn ich recht schön bitten würde
Mtiller mit allem Aufwand seiner Liebenswürdigkeit.

Sie sah ihn von der Seite an. Der Mann rieth ihr gewiss nicht schle c 1
ihr und dem Vater. Es war ja klar, dass er in sie verliebt war und vl
leicht noch mehr hoffte. Und sie, warum hatte sie ihn denn erst vo>
schlagen müssen? Sie sann ein Weilchen nach.

„Wir wollen es in die Hand des Schicksals legen,“ sagte sie
„Es soll eine kleine Wette sein. Sehen Sie einmal dort drüben die

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Hyacinthe. Sie sollen gehen und sie für mich abbrechen. Ist sie v°
ständig aufgebrochen und alle ihre Glöckchen offen, so will ich für B° ^
reden; wenn aber ein einziges Glöckchen noch geschlossen ist, so wiU 1
mich nicht in diese Sache mengen. Nun, gehen Sie schnell.“

Miiller wollte etwas einwenden, dass das eine zu ungewisse Sache sC

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aber Marianne’s Augen wiesen ihn so lebhaft nach dem entfernten
dass er doch mit Eilfertigkeit hinüberging. Als er vor die Hyad 11

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hinkam und vor ihr niederkniete, sah er, dass das oberste Glöckchen
verschlossen war. Er schnitt die stark duftende Blume ab und ging
täuscht und missmuthig zurück.

Als er sich aber umwendete, um zu Marianne hinüberzugehen, d ,e .

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bei einer Gartenbank verlassen hatte, sah er, wie sie sich so auf die p t
gesetzt hatte, dass sie ihm den Rücken zukehrte. Sie schien abgewe' 1
warten zu wollen, wie das Schicksal entscheiden würde. ^

Rasch, mit einem leichten Druck des Fingers griff Müller nach
obersten Blüthenköpfchen der Hyacinthe. Vielleicht konnte man hei nl| l ^
dem Schicksal nachhelfen. Es ging. Der kleine Kelch, der schon
Selbstöffnen nahe war, platzte vorn auf; die Hyacinthe war ganz aufgeb 1

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Müller ging rasch auf Marianne zu, die sich ihm mit anmu
Wendung zukehrte. Er reichte ihr die Blume und sagte:

„Alle Glöckchen sind aufgebrochen. Die Blume ist in der vo
Entwickelung.“

„Wie eine edle Weinblume, ohne Kunst,“ sagte Marianne freufl 1

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dl' c|1’

nachdem sie den Blüthenstengel betrachtet hatte. „Sie haben die
gewonnen; das Schicksal hat gesprochen; ich werde mit meinem
reden.“ —

Am Abend des nächsten Tages wurde aui dem Friedhof, der u
Dorfkirchlein unten am Ufer des Stromes lag, der alte todte Winz el

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