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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0410

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MODERNE KUNST.

321

Anna war in die Stadt gegangen, um mit Wein zu hausiren, wie es
^* e ganze letzte Zeit über gewesen war. Abends brachte sie mit knapper
^ oth so viel Geld heim, als gerade zum spärlichen Lebensunterhalte
* e'chte. So lebte die arbeitsame Familie von Tag zu Tag aus der Hand
1,1 den Mund, froh, wenigstens ein paar Bissen Brod zu haben, während
’hie anderen Ausgaben unterbleiben mussten. Rüdig hatte es aufgeben
^üssen, amerikanische Reben anzupflanzen; er hatte von Tag zu Iag
kehofft, die Frau würde einmal einen grösseren Posten Wein loswerden,
^er Anna hatte all' diese Wochen nur groschenweise verkauft. Darüber
" ar es zu spät für die amerikanischen Reben geworden, Rüdig hatte es
" ll1 bessere Zeiten, für’s nächste Jahr, aufschieben müssen.

Jetzt aber schien die Zeit des Darbens ihrem Ende entgegenzugehen.
^offnungsvoll ass man seit einigen Tagen das spärliche Mahl in der
^Atnilie; der reiche Traubenansatz der Weinstöcke versprach eine be-
^ütende Ernte, viel Most und reichlichen Wein für den Herbst und zu
dicser Zeit, zur kommenden Weinbörse bereits, mussten sich die Absatz-
'iüellen finden, musste Geld in’s Haus kommen und neuer Wein in den
^eller, der für längere Zeit, für einige Jahre, ein neues Capital darstellte.
^ uch die Erdbeeren waren gut gerathen; noch einmal sollte Anna mit der
^einkruke in die Stadt geh’n; am nächsten Tage aber sollten die ersten
^’dbeeren gepfltickt werden und Anna mit diesen zur Stadt ziehen, wo
lllan in einigen Bäckereien alte Kunden hatte, die regelmässig die
'üdig’schen Erdbeeren aufkauften. Von ihrem Erlöse und vom Erlöse

Johannisbeeren und Kirschen konnte man sich, zwar kärglich, aber
^°ch mit Anstand bis zum Herbste durchbringen, bis dann die Weinernte
a' e eigentliche Grundlage für Leben und Dasein der Familie und die
^Wpteinnahme hergeben musste.

Anna war in der Stadt, während Rüdig neben seiner jungen Schwägerin
^ artha angestrengt im Berge arbeitete. Die Hacke sollte zu Ende geführt
"Wden, damit man in den nächsten Tagen mit der Breche beginnen
k°nnte, mit dem Abschneiden und Abbrechen des überschüssigen Ranken'-

grüns, welches den Trauben ihre Kraft genommen haben würde. Martha
und Rüdig standen an einer steilen Stelle des Weinbergs zwischen den
grünenden, blätterreichen Weinstöcken, die schon so hoch trieben, dass
man nur noch die Köpfe der Winzer über den dichten Weinwald heraus-
ragen sah.

Rüdig verathmete einen Augenblick, denn der Tag war heiss, die
Sonne brannte scharf auf die Stirn herab und trieb den Arbeitsschweiss
aus allen Poren. Martha arbeitete mit stiller Unermüdlichkeit einige
Schritte weiter; der steinige Boden bereitete der Zughacke viel Hindernisse,
und man musste den Stiel fest anfassen, um vorwärts zu kommen.

„Und gieb nur immer Acht, Marthe, dass das Oehr scharf auf das
Karsch-Herz aufsteht, damit der Karsch nicht so köplicht geht, und gieb
Acht, dass der Karsch im Erdboden keine Kämme macht!“ sagte Rüdig,
als er einen Augenblick dem Mädchen zugesehen hatte.

„Nein, Schwager, sagte sie, ich sehe schon darauf.“

„Und die Fussspuren müssen auch gut zugezogen werden, damit man
später immer merken kann, besonders in der Reifezeit, ob Jemand über
die Spurhocke gegangen und etwa ein Fremder im Berge gewesen ist.
Es ist schon eine Weile her, wie wir noch bei der Senke waren, da ist
mir irgend Jemand einmal Nachts in eine Grube getreten auf einen jungen
Senker und muss dabei wieder herausgestolpert sein. Ich habe ganz
deutlich die Fusstritte gesehen, ich möchte wissen, wer's gewesen ist, von
euch Frauen kann’s Niemand gewesen sein, es sah wie eine Mannspur
aus. Darum ist’s gut, wenn man immer alle Fusstritte sorgsam zuzieht,
es bleibt dann nicht so leicht verborgen, wenn Einer im Berge gewesen ist.“
Martha schwieg auf diese Rede des Schwagers; sie dachte unwillkürlich
an die Nacht, wo Horst in ihrem Grundstück gewesen war. Indem Martha
aber des Mannes dachte, zog sie, auf das Wort ihres Schwagers hin, mit
einem plötzlichen hastigen Eifer, indem sie zurücktrat, die Fussspuren zu,
die sie selbst in den Boden getreten hatte; sie bückte sich tief dabei und
suchte die Beklommenheit ihres Athems zu verbergen. [Fortsetzung foigt.]

Entlöschen eines Kafleeschiffes. Originalzeichnung von C. H. Küchler.

IX. 21. II.
 
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