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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Stahl, Fritz: Polnische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0424

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336

MODERNE KUNST.

Kaum ein anderes Volk hat eine historische Kunst wie die Polen. Je weniger
die Gegenwart befriedigt, um so stärker ist der Drang, in den Erinnerungen an
eine schönere Vergangenheit Trost zu finden. Es ist, als ob sie an dem, was
die Väter thaten und litten, sich berauschen wollten, um das eigene Schicksal
zu vergessen. Den Ton gab der geniale Fanatiker Jan Matejko an. Seine Bilder
waren gemalte Fehdebriefe an die Feinde seines Volkes: trug er doch kein Be-
denken, die Huldigung des Preussenherzogs Albrecht vor dem König von Polen
zu einer Ausstellung nach Berlin zu schicken. Eine fast barbarische Kraft in
Charakteristik und Farbe war ihm eigen, die uns erschreckt, die ihn aber zum
Abgott seiner Landsleute macht. Seine Weise war gewaltsam und schrill wie
der Schrei eines wüthenden Thieres. Zum Glück hat er keine Schule gemacht,
seine schroffe Eigenart, seine harte Persönlichkeit stiess ab. Aber wenn auch
ein wenig gemildert, das Leidenschaftliche blieb auch den Späteren. Ein Pariser
Kritiker schrieb von Kossaks „Gefangennahme des Generals Tyskiewicz“:
„Welches Leben — ich hätte beinahe gesagt: welcher Lärm in diesem Bilde!“
Das Wort passt ein wenig auf die Art der ganzen historischen Kunst der Polen.
Hier kann sich ihr hitziges Temperament am freiesten entfalten. Das Haupt
der Schule ist der ältere von Kossak, der noch jetzt in Krakau lebt, und dessen
Schüler fast alle bedeutenderen Polen sind. Besonders der bei uns wohlbekannte
Jozef von Brandt, der in München lebt, und der jüngere von Kossak, der Maler

wild bewegter Schlachtenbilder. Vor einigen Jahren machte sein Bild: „Aus
meinen Jugendjahren“ Aufsehen. Ein Kosakenpulk reitet in rasender Carriere
durch die Strassen einer Stadt. Ein kleiner Knabe, der ahnungslos bei seinem
Spiel geblieben, während alle anderen fiohen, — es ist der Künstler selbst — ,
ist in Gefahr, überritten zu werden und wird im letzten Augenblick gerettet.
Von der „Gefangennahme des Generals Tyskiewicz“ war schon die Rede. Viel
besprochen wurde das Panorama der Schlacht bei Ractawice, das auf der Leni-
berger Ausstellung zu sehen war. Es zeigt polnische Bauern im Kampfe mit
den gepuderten Gamaschenhelden der zweiten Katharina. Im Augenblick malt
der Künstler, der meist in Paris lebt, in Berlin an einem Panorama der Schlacht
an der Beresina.

Uebrigens liegt diese Leidenschaftlichkeit nicht nur in den Künstlern, sie
liegt in der Rasse, im polnischen Blut. Alles geschieht bei diesen Menschen
mit einer gewissen Verve, mit einem Ueberschuss von Kraft, Der Tanz ist wild
wie der Kampf, die Freude lärmend wie die Wuth. In scheinbar schroffem, aber
auch bei anderen nicht seltenem Gegensatz dazu steht die stille Melancholie, die
in ruhigen Momenten ihr Wesen erfüllt, die eigentliche Stimmung der Steppe,
die sich auch dem Fremdling mittheilt. Diese Rasse haben ihre Maler in die
Kunst eingeführt, und je mehr die moderne Kunst, die scheinbar internationale,
den Künstler auf die Natur, auf seinen Mutterboden wies, um so deutlicher treten

die beiden Noten in der polnischen Kunst hervor.

Beide beherrscht Jozef Chelmonski. Er
war zuerst der Maler des Bauernlebens. Kirmesse,
Märkte, Tänze, die fröhlichen Fahrten über Land,
das alles hat er mit grosser Kraft geschildert.
Er ist bei uns nicht so bekannt geworden wie
Alfred von Wierusz-Kowalski, sein Rival auf
diesem Gebiet, der zu den volksthümlichen
Grössen Deutschlands gehört. Er dankt diese
Beliebtheit wesentlich dem neuen Ton, den er in
die an sich beliebte Bauernmalerei brachte. Man
vergleiche seine Bilder mit den idyllischen Schil-
derungen unseres Knaus und selbst mit den
fröhlicheren unseres Defregger, und man wird
verstehen, was ich sagen will. Als man sich an
der stillen Behaglichkeit des Knaus und der
schmunzeinden Vergnügtheit Defregger’s etwas
übersättigt hatte, wirkte Wierusz’s lärmendcr
Uebermuth mit dem Reiz des Neuen wie des
Norwegers Hans Dahl lachender Witz.

Jetzt ist Chelmonski der Maler der Steppe. Da
istjuljaan Falat sein Rival. Aber Falat belebt
sie mit Gestalten, am liebsten mit Jägern, die auf
das grasende Wild passen oder im Triutnph die
Beute dahertragen, oder mit dem fröhlichen Ge-
wimmel vor oder nach der Jagd. Er kennt den
bläulichen Nebel ihrer Abende — aber am liebsten
malt er ihren Schnee, Schnee, wie ihn kein
anderer ihm nachmalt. Bei allem sind ihm die
Menschen die Hauptsache, die wetterfesten Kerle
mit dem grimmigen Schnauzbart und den fun-
kelnden Augen. Für Chelmonski ist die Land-
schaft das, was ihn immer von neuem fesselt.
Selten eine Staffage. Stille Winkel, wo das
Schweigen des Waldes herrscht, malt er anr
liebsten: dürftige Föhren um einen entlegenen
Weiher, verschilfte Teiche und ähnliches. Seine
Bilder wirken wie jene kleinen polnischen Volks-
liedchen, die das Herz mit einer räthselhaften,
bangen und doch wieder süssen Wehmuth füllen.
Chelmonski ist der einzige eigentliche Land-
schafter unter den Polen. In dem jungen Stanis-
lawski, der seit einigen Jahren erst ausstellt,
wächst ein zweiter heran.

Dass die Polen auch im Bildnissfach Vortreff-
liches leisten, danken sie neben der Begabung
gleichfalls ihrer Rasse. Ihr Mienenspiel ist viel
lebhafter als etvva das der Deutschen, was ganz
besonders bei den Frauen hervortritt, deren Tem-
perament das Gesicht kaum für einen Augen-
blick völlig ruhig lässt. Wenn Kasimir Poch-
walski, der grosse Portraitist, diese Lebhaftigkeit
noch etwas mildert, so lassen die Malerinnen,
die geniale verstorbene Anna Bilinska und OIg a
von Boznanska, sie gerne scharf hervortreten.
Man wird kaum ein polnisches Portrait finden, das
die bei uns oft vorkommende Photographiepose
zeigt. —

Von den Künstlern, die nicht nur das fröh-

Mit Genehmi^ung der P/iolograghischen Gt scilscha/t in Uerlin.
J. Falat. Speerjäger aut' der Bärenjagd.
 
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