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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0426

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W. Kossak. Gefangennahme des

Rebe voni nächsten Weinstock zubog, an
der dfei junge, starke Traubenansätze
hingen', „wäs das für eine Kraft ist heuer
in unseren Weinstöcken. Daran sind wir
beiden auch Schuld, denn wenn wir nicht
so dahinter her wären, so würde manches
anders stehen. Bei Spurmann's drüben
wird es nicht so üppig werden, ich habe
an verschiedenen Stellen hinübergesehen.“

Martha hielt die Ranke und beschaute
die jungen Beerenansätze. Ihr war, als ob
auch in ihrem Innern ein solcher Ueber-
schuss von Knospen wäre, Knospen eines
unbestimmten Empfindens, die überreichlich
in ihr drängten und sie oft wie in einen stillen
Traum versetzten. Sie beschaute die dich-
ten Träubchen und sagte dann auf einmal:

„Warum sollen sie denn nicht da
drüben auch so voll werden, die Trauben?

Da ist der Horst doch Oberwinzer, und ist
denn der nicht der Mann, dass alle Stöcke
noch einmal so viel Kraft haben müssen
in diesem Jahre?!“

Rüdig fand den Augenblick gekommen,
über etwas zu reden', was ihm schon lange
auf dem Herzen lag, worüber er aber die
ganze Zeit her geschwiegen hatte. Als er
seiner Zeit erfahren, dass Horst zum Ober-
winzer auf den Spurmann’schen Bergen er-
nannt worden war, hatte er stumm den Kopf
geschüttelt, aber, da er ein verschwiegener
Mann war, nichts gesagt, nicht einmal zu
seiner Frau. Nur seine stillen Beobach-
tungen hatte er gemacht. In den ersten acht
Tagen war Horst mit grossem Fleisse von
früh bis Abend in den Spurmann’schen
Bergen hin- und hergestiegen, hatte die
Arbeiten der Winzer überwacht und, als man
noch beim Schneiden war, sehr eifrig nach
allen Fehlern gespähet, die man etwa be-
ging. Es waren ausser ihm noch mehrere er-
fahrene Winzer im Spurmann’schenDienste,
welche die Weinbergsarbeiter, die man im
Tagelohn beschäftigte, gut überwachten.

Aber nicht lange hatte das gedauert, so war
ein anderes Treiben drüben losgegangen.

Eines Tages waren aus verschiedenen
Gegenden ungefähr zwanzig Mädchen eingetroffen, während viele männliche
und alte erfahrene Arbeiter entlassen worden waren, Mädchen, die nicht
geübte und eingewöhnte Winzerinnen schienen, sondern, wie man aus ihren
Hantirungen sah, sich zum Theil erst in diese Arbeit nach den Anweisungen
Horst’s eingewöhnen mussten. Man sprach davon, Horst sei mit seiner An-
sicht durchgedrungen, dass billigere Arbeitskräfte angestellt werden könnten,
da man eine Reihe von früheren Winzerbräuchen, die Bütter noch geübt, als
überflüssig gänzlich abstellen dürfe. Frauenarbeit sei immer billiger. Die
alten erfahrenen Arbeiter waren entlassen und mit den Mädchen auch einige
jüngere Arbeiter im Tagelohn eingestellt worden bis nach der Weinlese, wo
sie wieder entlassen werden mussten, da man im Winter nicht so zanlreiche
Arbeitskräfte bedurfte. Rüdig hatte sich gewundert und sich schon darüber
seine Gedanken gemacht. Es waren unter den Mädchen einige sehr hübsche
und frische Gesichter, nur wenige ältere Frauen; und wenn man so in
die Spurmann’schen Gärten hinübersah, über ihre Hügel und in ihre Thal-
einschnitte, so schien dort alles wie am Schnürchen zu gehen. Die Mädchen
arbeiteten scheinbar fleissig, hatten die Räume und das Bögenmachen und
andere Arbeiten sehr schnell bewältigt und hackten seit einiger Zeit un-
verdrossen im Felsenlande wie in dem weicheren Boden herum. Rüdig
sah wohl einmal, dass Horst das eine oder andere der hübschen Kinder

beim Kinn nahm, aber wenn er das gethan und sie dann zusammen ge-
kichert hatten, arbeiteten sie nur um so emsiger und aufgeregter weiter.

Nur Abends und des Nachts war es dem Winzer aufgefallen, dass oft
stille Pärchen im Weinberge umherhuschten oder sich weiter hinauf auf
die Berghöhe in den Wald zogen; auch bei Tage konnte man hinter dem
Weinlaub verborgen, oft einen jungen Kerl bei seinem Mädchen sehen;
heimliche Liebesfeste schienen gefeiert zu werden; Kichern und Lachen
ldang unterdrtickt bald da, bald dort, und es schien, als ob die Anwesenheit
so vieler Mädchen die Bauernburschen und jungen Winzer ziemlich weit
aus der Umgegend zusammenlockte und Mancher sich ein Schätzchen
dabei eroberte. Rüdig sah, dass hinter dem scheinbaren Fleiss driiben
doch kein rechter Ernst war.

„Der Horst?!“ antwortete er auf Martha’s Frage. „Der wird wohl
eher Schuld sein, wenn drüben alles drunter und drüber geht und Spur-
mann's in diesem Jahre eine so geidnge Ernte haben, dass sie Trauben
kaufen müssen, wenn sie nur einen Theil ihrer Verbindlichkeiten erfüllen
wollen. Mir hat schon der Rebenschnitt nicht gefallen, den sie heuer da
driiben gemacht. In den letzten Wochen, wo noch so viel Reif gewesen
ist, haben sie Abends viel zu lange gehackt und nicht zeitig genug auf-
gehört. Da hat der Erdboden nicht richtig abtrocknen können und der

MODERNE KUNST.

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ährend des Rückzuges von Moskau.

Frost ist zu scharf auf den umgeworfenen Boden aufgefallen. Sie haben auf
den Stellen, die der Kälte ausgesetzt sind, zu zeitig mit dem Hacken begonnen
und der Rückschlag auf die Weinstöcke ist nicht ausgeblieben. Denn es heisst:

„Mit der ersten Hacke nicht zu eilen,

Mit der andern aber nicht verweilen.“

Martha frug beklommen: „Und daran soll nur der Horst Schuld sein?!“
„Nur der,“ erwiderte Rüdig bestimmt. „Er hat’s zu verantworten,
denn von den gedungenen Mägden und Knechten kann man nicht ver-
langen, dass sie wissen, wieviel es in der Weinpfiege zu beachten giebt.
Die Räume haben sie drüben auch zu zeitig begonnen und an vielen
Stöcken kann man sehen, dass in Folge dessen die Fröste den Saft bis
auf die Gerinne zurückgetrieben haben. Ganz ungeschickt haben sie auch
die Thauwurzeln abgeschnitten; an manchen Stellen haben sie es gar nicht
gethan und da sind die Stöcke schlickerig geworden und haben den
Räuden bekommen, und die werden alle eingehen müssen. Nicht eine
einzige Arbeit ist richtig besorgt worden; es ist lauter Fabrikarbeit: sie
behandeln die Weinstöcke, als wären sie Cigarrendreher oder Fingerhut-
fabrikanten. Und Horst muss doch wissen, dass das die Weinstöcke
schwächt und will’s das Unglück, dass irgend ein Ungeziefer oder eine
Krankheit hineinkommt, so haben die Stöcke keine rechte Widerstandskraft

mehr, können die Krankheit nicht über-
winden und gehen zu Grunde. Der Trauben-
ansatz ist schon so schwach, trotz des gün-
stigen Wetters, das gerade jetzt eingetreten
ist, dass sie viele Fehler begangen haben
müssen, die man ihnen gar nicht nachweisen
kann. In welcher Verblendung muss Herr
Spurmann gewesen sein, dass er diesem
Taugenichts seine Berge anvertraut hat!“
Auf diese Worte hin begann Martha
plötzlich erröthend, ihren Kärsch tiefer in
die Erde zu treiben und mit grösserer Kraft-
anstrengung durch den Boden zu ziehen.
Sie empfand diese Anschuldigungen wie
einen Vorwurf gegen sich selbst. Unver-
gesslich war ihr Horst’s frevelhaftes Thun
geblieben, als er seine Weinstöcke absicht-
lich so schlecht verschnitten hatte, um ihr
seine Leidenschaft zu beweisen. Jäh war
ihr Herz überrascht worden von dem wilden
Thun des Mannes. Und jetzt schien er sie
seit längerer Zeit zu meiden, nur ein um
das andere Mal hatte er ihr über die Mauer
einen leisen Scherz zugerufen, sich aber
nie aufgehalten. Sie glaubte, er meide sie,
weil Henneberg öfters zu ihr auf den Berg
kam, um nach der Arbeit eine Stunde bei
ihr zu sitzen. Und vielleicht war Horst’s
schlechte Verwaltung drüben nur die Folge
davon, dass er glauben musste, durch
Henneberg in ihrem Herzen verdrängt zu
sein. Tiefe innere Verwirrung kam in ihre
Gedanken und Gefühle. Sie hörte, wie
Rüdig nach einer Weile sagte:

„Das kann drüben nicht so fort gehen.
Zuletzt gefährdet es auch unseren Wein-
berg, wenn drüben die schlechte Wirth-
schaft bleibt; im Umsehen können sie
drüben die Reblaus haben bei solcher
Lüderlichkeit, und dann trifft es auch uns.
Es muss Jemand zu Herrn Spurmann gehen
und ihm auseinandersetzen, wie’s steht,
sonst streuen sie ihm so lange Sand in
die Augen, bis er’s erst im letzten Augen-
blicke vor der Ernte einsieht. Und ich
habe mir gedacht, Martha, Du solltest ein-
mal das Fräulein Marianne besuchen und
ihr über Horst die Augen öffnen; wenn sie es einsieht, so wird der Alte
auch kurzen Process machen, denn sie setzt ja bei ihm Alles durch. Es
ist ja schon ein Skandal, dass jede Nacht ein Unwesen in den Bergen ist,
und es anständigen Frauen zum Aergerniss machen muss, wie’s da zugeht.“
Martha schwieg. Die Zumuthung, sie solle die Anklägerin gegen Horst
machen, entsetzte sie innerlich. Aber sie durfte nichts von ihren geheimsten
Empfindungen merken lassen, alle Welt sprach schon davon, dass sie einmal
Henneberg’s Frau werden würde, Rüdig und Anna duldeten die Besuche,
welche der Böttcher machte, in einer solchen Voraussicht. Wie durfte
sie nun merken lassen, dass sie auch Horst heimlich im Herzen trug und
doch für Henneberg’s stilles Werben kein Nein fand, sondern bausfrauen-
hafte Sorge und Neigung zu ihm fühlte? Eine Zwillingsliebe zu zwei
Männern, sich selber ungestanden und doch wechselvoll empfunden,
doppelt glücklich und doppelt traurig. Blühten doch auch Zwillingsrosen
oben vor ihrem Häuschen auf den Rosenstöcken und Zwillingsbeeren setzten
in diesem fruehtbaren Jahre auch viele Weinreben an. Das musste sie wohl
geheim halten, vor Anderen, vor sich selbst, vor ihrem eigenen Herzen.
Rüdig wunderte sich, dass sie schwieg. Er sagte:

„Ich würde selbst zu Herrn Spurmann gehen, aber unsereins kann
doch einen Collegen nicht um Brot und Arbeit bringen.“
 
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