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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [9]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0461

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374

MODERNE KUNST.

Regierung hatte ihre Unterstützung hergeliehen und schöne Herbsttage
beschienen die grüne Wiese am Ufer des Stronies, auf welcher die fahnen-
geschmückte Ausstellungshalle prangte.

Buntbewimpelte Zelte waren auf der Wiese aufgeschlagen, eine Tribüne
war errichtet, von welcher die Preise verkündigt werden sollten, ein Tanz-
platz im Freien war zurecht geebnet und mit Bretterbänken umgeben,
Erfrischungsbuden und Zelte reihten sich in farbigem Kreise um die Aus-
stellungshalle.

Hier lagen, meistens in schönmattirten Kästen oder auf grünes Laub
gebreitet, von Blumenkränzen umgeben und in Kistchen auf bunten Papier-
unterlagen, je nach dem Geschmacke des Ausstellers, auf langen Tafeln
die schönsten Trauben, welche das Land hervorgebracht hatte. Rtidig
führte, nachdem sich der Prüfungsausschuss in Bewegung gesetzt hatte,
seine Frau und Martha, die ihre besten Kleider angethan hatten, in der
Halle umher.

Endlich kam eine Bewegung in die harrende Menge. Man hörte drei
Schüsse aus Winzerkanonen, die an dem Ende der Wiese standen, Fahnen
wurden geschwenkt, die Herren von der Commission betraten die Tribüne
und der Regierungsvertreter stieg an das Rednerpult. Athemlose Stille
herrschte, während er eine kurze Ansprache über die Aufgaben und die
volkswirthschaftliche Bedeutung des heimischen Weinbaues hielt. Dann
schloss er mit den Worten:

„Ich habe nunmehr im Auftrage des Prüfungsausschusses diejenigen
Aussteller namhaft zu machen, welchen man nach gewissenhafter Ent-
scheidung die Preise zugedacht hat. Der erste Preis für die saftreichsten
und süssesten Trauben unseres engeren inländischen Weinbezirks ist Herrn
Weingutsbesitzer Rüdig zuerkannt worden, da man allgemein der Ansicht
ist, dass er unter den hiesigen klimatischen und sonstigen Verhältnissen
durch fleissige und rationelle Cultur die grossartigsten Ergebnisse erzielt
hat. Ich erwähne, dass derselbe auch einen andren von der Regierung
ausgesetzten Preis für die beste Art der Veredlung von Wein und Obst
erhalten hat. Ich bitte den Herrn, falls er anwesend sein sollte —“

Ein vielstimmiges Bravo! erschallte hinter Anna und Martha, als
Rüdig mit entblösstem Haupte auf den freien Raum vor die Tribüne trat.
Während der Regierungsvertreter ihm persönlich noch anerkennende
Worte sagte, gingen neue Böllerschüsse los, die Fahnen wurden geneigt
zu Ehren des Preisgekrönten, und der Regierungsvertreter überreichte die
zwei Preise.

Wenige Schritte hinter Rüdig’s stand Horst. Er war jäh erbleicht,
als er Rüdig’s Namen als den des ersten Siegers hörte; wie mit Centner-
last fiel ihm auf’s Gewissen, was er gethan hatte in wilder Rachsucht des
Augenblickes und im Rausche des Trunkes, der sein Gemüth mit Bosheit
und Wuth erfüllte. Er machte, dass er wegkam; der Boden brannte ihm
unter den Füssen; wozu sollte er hier der Preisvertheilung zuhören? Nein
es war besser, sich immer für denFestzug des Nachmittags vorzubereiten
und sich anzuziehen. Denn bei diesem Festzug hatte man ihn ausersehen,
als Gott Bacchus oder Dionysos auf einem Festwagen zu erscheinen, weil
er als der schneidigste und schönste Bursch in der ganzen Gegend galt.

Am Nachmittage zur festgesetzten Zeit versammelten sich im Spur-
mann’schen Presshofe die buntverkleideten Winzer und Winzerinnen der
Umgegend, während die Festwagen schon auf der Strasse des Marktfleckens
hielten. Der Landesfürst mit seiner Gemahlin und seinem Hof wartete
auf der Tribüne, um dem Festzuge zuzuschauen.

Da erscholl mächtiges Schiessen von fünfzig Winzerkanonen, während
man gleichzeitig von den Bergen an mehreren Stellen die weissen Rauch-
wolken vorwallen sah. Ueber die weite Wiese her vom Spurmann’schen
Presshofe kam der farbenreiche Zug heran. Zwei Herolde in mittelalter-
licher Tracht schritten voran, denen ein Musikchor folgte, das fröhliche
Marschweisen aufführte. Darauf kamen mehrere Prachtwagen, umgeben
von Winzern und Winzerinnen, auf welchen die Weinbergsarbeit dar-
gestellt und alle Geräthschaften des Weinbaues mitgeführt wurden. Die
Winzer und Winzerinnen wandelten mit Kränzen geschmückt, sie trugen
ihre Weinmesser, ihre Hacken und Spaten, ihre Brechstangen, mit Ge-
winden von Blumen geziert, ernsthaft im Zuge hin. Ein Fahnenträger mit
der Winzerfahne kam, hinter ihm ein Wagen, von weissen Rossen ge-
zogen, auf dem ein mächtiger Kelter stand, während Winzer und Winzerinnen
gebärdenweise ihre Weinbütten in ihn ausschütteten.

Nach dieser Abtheilung, welche die Thätigkeiten des Weinbaues
schilderte, folgte eine neue Musikbande, neue Herolde und hinter diesen
sah man den Kaiser Karl den Grossen in seinem Krönungsornat, umgeben
von seinem Hofe und von Gärtnern, einherschreiten. Karl der Grosse
trug eine Weinrebe in der Hand, denn man führte den Ursprung des
Weinbaues in dieser ganzen Gegend auf Karl den Grossen zurück. Num a
Pompilius, Varro, der Volkstribun, welcher den römischen Weinbau z u'
meist gefördert, Plinius, der Naturforscher, der schon zu seiner Zeit über
91 Weinsorten berichten konnte, Kaiser Probus, der den durch Domitiu 0
in Gallien vernichteten Weinbau wieder gestattete und zuerst im RheingaU)
an der Mosel und Donau den Weinbau für Deutschland einführte, schritten
würdevoll einher.

Die letzte Abtheilung des Festzuges brachte auf einem Triumphwagen
die Gestalt des Herbstes, der mit Herbstblumen bekränzt war und seinen
Herrscherstab hielt. Anna Rüdig, die lieblich aussah, von ihren zwei
Kindern umgeben, trug ein Körbchen, das ganz gefüllt war mit fünfund'
zwanzig verschiedenen Birnen von dem einen Birnbaum.

Der Glanzpunkt des Zuges aber war das Schlussbild. Auf einem nD
Weinlaub umrankten Siegerwagen sass der Gott Dionysos. Horst, m ,l;
seinen schwarzen Haaren und dem blonden Bärtchen, einen WeinkranZ
auf dem Haupte, in dem man eine volle Traube hatte hängen lassen, sah
wirklich wie der leibhaftige Rauschgott aus. Er hielt den Thyrsusstab,
war halbnackt im Tricot, mit einem antiken Gewand umkleidet und blickte
mit eigenthümlich verklärten Augen um sich.

Der Triumphwagen des Bacchus aber war umgeben von Silenen,
Faunen, Nymphen und Bacchantinnen. Unter den Letzteren sah ma u
Martha Leiser sehr sittsam, garnicht ausgelassen, sondern eher etwas ver-
legen, wie sie eine so wilde Person darstellen sollte, einherschreiteu-
Auch die fellbekleideten Silenen, Henneberg und Riidig, welche sich mb
Papier lange Spitzohren angeklebt und Fuchsschwänze hinten angesteckt
hatten, schritten sehr würdig einher und schlugen nur manchihal ihrc
Klapperbleche in einem Anfall von Uebermuth zusammen. Gleich ihneP
benahmen auch die andren Faune und Bacchantinnen sich sehr sittsam.

Der Zug zog an der Tribüne der Landesfürsten vorüber, umwandelte
mehrmals die grosse grüne Wiese, während auf dem Strome in KähneP
und Schiffen Tausende von Zuschauern das malerische Schauspiel be'
gafften. Winzergesänge, eine Huldigung vor dem Landesfürsten folgten,
erneute Schüsse aus fünfzig Böllern beschlossen den Zug und darauf
folgte eine grosse Festtafel, an welcher alle Verkleideten theilnahmen und
durch die Regierung mit Speisen und Wein bewirthet wurden.-

Der Abend war hereingebrochen, von allen Bergen leuchteten rotbe
bengalische Feuer und erfüllten die Umgegend mit einem fremden Glanz,
Fackeln leuchteten und rothe, grüne Raketen platzten und schossen bald
da und dort nach dem Himmel empor. Auf dem Tanzplatze der Fest'
wiese war ein munteres Tanzen losgegangen.

Am übermüthigsten war Martha Rüdig. Es war eine Art von scha u'
spielerischer Darstellungslust über sie gekommen. Sie hatte ihren ThyrsuS'
stab in der Hand und schwang ihn in der Vorstellung, sie müsste heute
wirklich eine solche weinbegeisterte Frau im Gefolge des Bacchus sein,
die den Rausch versinnlichen sollte; der stille, heimliche Gemüthsrauscb
der Doppelliebe in ihrem Herzen, in dem sie so lange gelebt, wurde z u
einem ausbrechenden, tollen Uebermuthe.

Unterdessen hatte der schöne Bacchusjüngling, der aus einer Laub c
am Rande des Tanzbodens, umgeben von seinen Begleitern, diesem TanZ'
gewühle zusah, mit begierigen Blicken Martha’s Thun verfolgt. Er schritt,
in seinem Costüm selber verlockend anzusehen, zu Martha hin und frag te'

„Darf der Weingott sich auch einmal erlauben, Sie zu einer ToU'
einzuladen, allerschönste Bacchantin?“

„Ei, guten Tag, Herr Bacchus, erwiderte Martha. Eigentlich soH tc
ich nein sagen, aber weil Sie uns doch den Wein aus Indien, Afrika od cl
sonst einem Erdtheil mitgebracht haben, will ich einmal versuchen, ' va
Sie können.“

„Ei, Du wild geword’nes, Du tolles Bacchantenweib, ich würde sch 011
längst gekommen sein, aber ich hatte die letzte Zeit sehr viel zu thun
Ganze Länder habe ich mit meinen Bacchanten zerstört und in Brand
stätten verwandelt; aber jetzt ist alles Eins, jetzt will ich doch noch c111^
mal mit Dir tanzen und an das denken, an was wir alle Beide denken-
 
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