Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [9]: Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0463

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
376

MODERNE KUNST.

Damit fasste er Martha an, während er mit liebeskranken Augen und
in einer Art von stiller Raserei sie anschaute. Die gleiche Stimmung
kam über Martha; eine Art von Taumel fasste sie und so tanzte sie mit
dem Weingotte herum.

Henneberg sah von der anderen Seite des Tanzplatzes diesem Spiele
zu. Er musste seine kochende Eifersucht hinunter schlingen; er konnte
das nicht länger ansehen, er wollte fort.

Eben als er gehen wollte, traf er Rüdig, der ihn bei Seite zog.

„Hörfen Sie, lieber Henneberg, wenn Sie doch schon gehen wollen,
so können Sie mir einen Gefallen thun. Unser Wachen auf meinem ßerge
hat ja nichts ergeben, trotz der Fussspuren, die ich gesehen habe. Heute
Nacht aber, wo Alles hier unten beim Fest ist, werden die Diebe jeden-
falls die Gelegenheit benutzen.

Henneberg sagte: „Ich werde scharf Acht geben und es soll mir
Keiner entgehen; wer mir unter die Fäuste kommt, an dem will ich einen
Reifen herumschlagen, dass ihm die Dauben krachen.“

Er ging und stieg im Dunklen nach Rüdig’s Berg hinauf und sah sich
nur manchmal nach dem weiten Lichtschimmer um, der von der Festwiese
durch die Nacht leuchtete.

Unterdessen hatte Martha, von einer plötzlichen Ermüdung iibermannt,
ihren Kopf an I lorst’s Schulter gelehnt. Sie träumte, indem sie halb die
Augen schloss, der Weingott müsste sie nun heimholen, nachdem seine
Weinranken so oft an ihr Fensterlein geklopft.

„Und wie steht es denn nun mit den Trauben? Sind sie so gross
und schwer geworden? Morgen beginnt die Weinlese, wie sind denn Ihre
Trauben ausgefallen?!“

„Sehr gut“, sagte Horst, diesmal auch im Interesse seines Herrn
liigend; „ich denke, es wird genau so werden, wie ich Dir gesagt habe,
wenn auch ein gewisser Jemand zu Herrn Spurmann gegangen ist und
mich verklagt hat, als wäre ich ein Pfuscher.“

Martha fuhr entrüstet auf. „Wer ist denn das gewesen?!“

„Ei, ich denke Du, schönes Marthchen. Aber komm, jetzt ist alles
eins, wir tanzen doch noch einmal herum und nachher nimmst Du mich mit!“

Die letzten Worte sagte Horst leise und frech. Martha fuhr zurück
und sagte: „Kein Wort habe ich gesagt. Nie ist eine Silbe über meine
Lippen gekommcn.“

Horst wurde bleich. „Martha, ist das wahr?!“ frug er mit erstickter
Stimme.

„So wahr ich Dich liebe“, sagte Martha ihm heimlich in’s Ohr, indem
sie lächelte.

Sie wunderte sich, dass Horst auf einmal nicht mehr tanzen mochte.
Er sah sie starr an und wilde Reue fasste ihn über das, was er gegen
Martha, gegen Anna und Rüdig auf dem Gewissen hatte.

Er sprang auf und sagte:

„Ich muss fort, Fräulein Martha, bleiben Sie nur noch recnt lange
hier mit Ihrem Schwager und tanzen Sie recht lustig; ich muss noch
Etwas in unsrem Presshofe nachsehen, ob alle Fässer und Bottiche auch
richtig eingequellt sind, weil morgen doch unsre Weinlese beginnt.“

„So spät noch,“ frug Martha ungläubig. „Bei uns ist alles schön ein-
gequellt schon seit vielen Tagen, gut ausgetrocknet und rein. Ja, ja, bei
Ihnen mag’s auch mehr zu thun geben.“

„Gute Nacht, Fräulein Martha“, sagte Horst mit einem unstäten
Ausdruck.

„Gute Nacht“, antwortete sie mit schmeichlerischer, leise verhüllter
Stimme.

Horst ging und weil er fort war, tanzte Martha fast nur noch mit
ihrem Schwager. Ihre Ausgelassenheit hatte sich gelegt; sie war ruhiger,
auch etwas bang geworden und endlich setzte sie sich zu Anna und
Rüdig, um dem munteren Tanze der andren Winzerinnen und Bacchan-
tinnen zuzuschauen, der öfters vom grünen und rothen Scheine der an-
gezündeten bengalischen Flammen erleuchtet wurde, in dem die Gestalten
der Männer und Mädchen, der spitzohrigen Satyre, wie Schatten umher-
huschten. —

Als I lorst in den Spurmann’schen Berg hinaufgekommen war, erfasste
ihn mit wahrer Verzweiflung der Gedanke, wie er das angerichtete Uebel
wieder vertilgen könnte. Sollte er die verseuchten Stellen mit Petroleum
behandeln? Sollte er die Erde weggraben, die er hingeschüttet hatte?

Er setzte sich auf das alte Mauergerölle, welches die Gärten trenn tc
und überlegte. Der Weinlaubkranz war ihm schief über die Stii n e
gerutscht; der Bacchusmantel, der mehrfach im Gestrüpp hängen geblieb 21
war, hatte lange Risse, der Kranz von Rosen, welchen er wie eine Schärp
um die Hiiften trug, war verwelkt, in seinem Geiste aber trieb es wied £l
phantastische Rauschvorstellungen empor. Er meinte in diesem Taum 1
das Beste wäre wohl einfach, zu Riidig’s hinüberzusteigen, die verseucht £tl
Stellen aufzugraben und die Läuse einfach alle mit den Füssen todtzutrct eI1
Er taumelte im Dunklen hinauf gegen das Rüdig’sche Haus, 1111
dort das Gleiche vorzunehmen. Er wollte eben auf der dunklen H^ e
den Spaten ansetzen, als gar nicht weit plötzlich ein bengalisches F eUeI
aufloderte und mit seinem rothen Lichte ihn in einen Purpurschimm 11
tauchte, der ihn weithin sichtbar machen musste. Er blickte sich UITl'
geblendet von dein plötzlichen Lichte, und sah in diesem Augenblm^
gar nicht weit von sich wie ein feuriges Schattenspiel den Böttch eI
Henneberg bei Rüdig’s Hause stehen.

Nun ging der Böttcher hinter das Haus und kam gleich darauf 1111
einer Axt bewaffnet wieder zurück. Im gleichen Augenblicke war uh cl
die bengalische Flamme ausgebrannt; es wurde dunkel, das Auge muss te
sich wieder an die Finsterniss gewöhnen. Zwei bange Sekunden vel
gingen, da hörte Horst auf einmal dicht neben sich Henneberg's Stimm 6’
der unterdessen herangekommen sein musste.

„Hund, Verdammter, was machst Du hier in dem fremden Weinberg e ’
sprach Henneberg’s wutherstickte Stimme.

„Schuft, was machst denn Du?!“

„lch wache, ich habe ein Recht.“

" A

„Ei, und ich, nun, ich warte, bis die schöne Martha heimkomrnt m 1

wer mir dabei in den Weg tritt, den schlage ich zusammen“, sprach l\o rst

prahlerisch.

„Also Du bist dieser nächtliche Einbrecher und darum?! O, Du g ott

verfluchter Hund, das soll Dir für immer versalzen sein.“

Bei diesen Worten fuhr der Böttcher plötzlich mit der Faust auf H° rst

los und packte ihn an der Kehle, indem er mit der anderen Faust ^ 1C

Axt erhob. Horst streckte die Hand entgegen, um den erhobenen A 1’ 11

abzuwehren; er musste dabei seine Schaufel fallen lassen, es begann 01,1

Wiirgen und Drängen im Finstern, ein Zurücktaumeln und Stolpern, b ,ä

Ilorst rücklings einen Weinpfahl umwarf, ausgestreckt in einen volb 1'

Weinstock hineinfiel und unter sich die hängenden Trauben zerpress tCl

während das Laub über ihm zusammenschlug.

Da war er einen Augenblick frei. Er sah, wie der Böttcher im DunH e|1

sich suchend herumbeugte, um ihn wieder zu fassen. Lauernd lag c>

einen kurzen Augenblick, um dann plötzlich in die Höhe zu fahren 11,1

dem Böttcher die Axt zu entreissen. Plötzlich sprang er mit ein el11

dumpfen Wuthschrei auf, gegen den Böttcher empor. Da fühlte er eii lCl1

hirnerschütternden Schlag auf seiner Stirne, eine Sternschnuppe schien ?u

fallen, er hatte blitzartig noch die Vorstellung, am Himmel spritzten sie wi e<^ el

die Weintropfen aus, dann war es Nacht. Mit zerschmettertem Schäd lt

stürzte Hqrst in den zerdrückten Weinstock zurück, lang ausgestreckt 1,1

AiC

seinem zerrissenen Bacchusmantel, während sein Weinlaubkranz, der 0
zerschmetterte Stirne bedeckte, langsam sich dunkel vom Blute färbte.

Wie in jäher Versteinerung stand I lenneberg iiber den Todten gebüH 1
Erst jetzt kam ihm zum Bewusstsein, was er gethan hatte. Dann reck te
er sich mächtig empor und schleuderte seine Axt weithin über die W el11
stöcke in den dunklen Berg hinaus. Die Axt iiberschlug sich in der F u*
und fuhr dann mit einem leisen Rauschen in einen Weinstock hinein, u
dessen Wurzel sie festsass.

Mit kalter Gleichgültigkeit packte Henneberg hierauf den Todten b elU
Beine an der Sandale und schleifte ihn ein Stück den Berg hinauf naC
dem Rtidig’schen Felsen. Dort, wo er steil abstürzte und unten ein Tann el1
dickicht war, in das man nicht so schnell hineinblickte, packte er d et
Leichnam bci dcn Schultern und, während seine papierenen Spitzoh 1^
sich mit seinem Kopfe über Horst neigten und sein Faunenfell sich u
Blut färbte, stiess er den Todten über den Felsen hinab. Dumpf scbl u-
er unten auf; Henneberg aber keuchte seitwärts hinan, um nach ^’ 1
Walde zu gelangen und noch in dieser Nacht ein gutes Stlick zu fli etlC
zu einem befreundeten Bauern, wo er seine Kleider wechseln wolIt e
ein Heimathloser und Flüchtling, ein Mörder aus wahnsinniger Eife rsUC

foigt-I

[Fortsetzung
 
Annotationen