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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Lenbach, Ernst: Der Streit um das Dohlentor
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0465

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373

MODERNE KUNST.

kundigte und auf die verlegenen Auseinandersetzungen des Hausherrn kurz und
klar erwiderte, dass er für sein Theil sich jedenfalls durch kein Thor der ganzen
alten und neuen Welt abhalten lasse, auch mit Winters als guter Kerl und Ver-
wandter zu verkehren.

Er that dies auch und erzielte bei dem andern Vetter dieselben günstigen
Eindrücke wie bei Quiebutz. Schon nach einigen Tagen war „unser Amerikaner“
der Mittelpunkt der ganzen Honoratiorentafel im Casino. Man rühmte seine
Gemtithlichkeit, seine derbe und gastliche Art, man lauschte seinen Erzählungen,
mehrere Herren fingen an, seinen Jargon nachzuahmen und warfen mit „well“,
„ich denke so“, „let us have a drink“ und ähnlichen Wendungen um sich, als
wären sie am Hudson zu Hause statt an dem friediichen Ufer der häufig ver-
siegenden Grün.

Ganz besonders gross und erfolgreich war aber der Amerikaner, welcher
offenbar auch unter dem Star Spangled Banner sein gutes Grünauer Herz be-
wahrt hatte, in der Rolle des Friedensstifters. Zunächst privatim. Nachdem
das blonde Lieschen Quiebutz dem guten Onkel unter vielen heissen Thränen
seinen Herzenskummer gebeichtet, und der junge Vetter Konrad Winter bei
einem sehr gemüthlichen und sehr späten brandy and water in der „Goldenen
Dohle“ ihre Beichte ergänzt hatte, ruhte er nicht, bis sich die harten Vaterherzen
erweichen liessen. Was dabei als Haupterweichungsmittel wirkte, war die
Rücksicht darauf, dass „unser Amerikaner“ sich nicht bloss sehr reich, sondern
auch sehr unverheirathet zeigte und ziemlich offen äusserte, wie leid es ihm
thun würde, wenn er in Folge. des Zwistes zwischen den Verwandten sein Ver-
mögen schliesslich irgend einer Stiftung über dem Wasser vermachen müsste.

Als er aber seine friedlichen Bemiihungen im Schoosse’der Verwandtschaft
durch die fröhlichste Verlobung besiegelt sah, machte er sich daran, auch die
öfientliche Ruhe wieder herzustellen. Eines Abends bei einer kleinen, erlesenen
Tafelrunde im Casino, als die weinseligen Honoratiorenköpfe sich in Folge des
leidigen Thorstreites wieder einmal bedenklich zu erhitzen drohten, rückte unser
Amerikaner mit seinem Versöhnungsplane heraus. Sein Vorschlag ging einfach
dahin, das alte Thor zu belassen wie es sei, aber die Stelle zu ändern. Man
könne es draussen vor dem jetzigen Weichbilde der Stadt aufstellen. Abzu-
brechen, so fügte er auf den bescheidenen Einwurf einiger Stadtväter lächelnd
hinzu, abzubrechen brauche man den alten Bau vorher gar nicht; man lasse nur
eine von den neuen Goliath Building Transportation Engines (limited) kommen,
die sein Freund Sam Green in Hamburg in Commission habe; mit dieser könne
man den ganzen alten Kasten ausheben, fortwalzen und wieder einsetzen, wie
einen alten Pflaumenbaum. Gerne wolle er die Sache vermitteln. Der Kosten-
punkt betrage einige tausend Mark, und diese lumpige Summe sollten die wohl-
habenden Bürger durch Sammlung aufbringen; er selbst wolle mit hundert
Dollars den Anfang machen.

Die Wirkung dieses Vorschlags war unbeschreiblich. Als der Amerikan er
seine Rede mit einem warmen, durch die komische Ausdrucksweise noch rührend er
wirkenden Appell an den Patriotismus der Männer von Grünau geschloss en
hatte, wären sie ihm beinahe sämmtlich um den Hals gefallen. Man stiess 11111
einander an, schüttelte einander die Hände in dem erlösenden Bewusstsein, nU11
wieder ohne jede Scheidewand altgewohnte Freundschaft pflegen zu dürf eI1
Einstimmig bat man den Friedensstifter, nun auch das Werk zu Ende zu führ eI1,
und als er nochmals dazu seine Bereitwilligkeit erklärt — nur möge man d el1
Plan, um Weiterungen zu vermeiden, noch geheim halten —, folgte ein Tii n^
spruch dem andern: auf Grünau, auf das alte Thor, auf die wunderbare Maschn ie

des Herrn Green, auf die Vereinigten Staaten, auf die Seehundsjägerei und v° r
allem natürlich auf „unsern Amerikaner“.

Einige Tage darauf reiste Charles Washington Krapp (sprich Krepp) 1,111
dem Ergebniss der Sammlung nach Hamburg ab, um persönlich mit Mister Gr ee°
Rücksprache zu nehmen; und bereits drei Tage später erhielt Herr Quiebu 12
folgenden Brief von ihm:

„Theuerer Herr, —

sehr ich danke Ihnen und die anderen Gentlemen von Greenau für die Freud e
ich habe gehabt bei Ihnen. Aber sie müssen danken auch mir sehr viel U r
was ich habe gehabt gemacht an Ihnen. Ich habe verlobt Ihre schöne Tocht er
mit ein sehr braves junger Mann, und ich habe gegriindet Frieden in lhi e
gute alte Stadt. Für das und für die Auslagen, ich habe gehabt bei es, Si e
werden finden es ist nicht zu viel, dass ich behalte die achthundert Doll ar
und Sie behalten Ihren alten Thor.

In der That, ich finde, dass mein alt Freund Charles Krapp, was ist
gestorben als Barkeeper in Frisco vor vier Jahr, mich nicht hat erzählt zU
viel von Greenau. Truly yours

S. J. Jonathan Sweep, not at all Charles Krapp.“

Als Herr Quiebutz diesen merkwürdigen Brief gelesen, war er nicht seh r
erfreut. Nachdem er sich wieder einigermaassen gesammelt, theilte er ihn seine 111
Vetter Winter und den anderen betheiligten Herren mit; und nach erregt en
Auseinandersetzungen fanden sie es doch für das Beste, das Geld zu V er'
schmerzen und die Geschichte möglichst zu vertuschen. Sie bezahlten sogar d ie
Gasthofrechnung des Herrn Sweep.

Da sich nun aber die Honoratioren von dieser Zeit an dem Streit um da^
Dohlenthor vorsichtig fern hielten, so verrann die ganze Angelegenheit allmählid 1
im Sande. Man liess den alten Steinklotz liegen wie er war, zeigt ihn de 11
Fremden als Wahrzeichen der Stadt, drängt sich vorbei so gut es geht und
nimmt in Gottes Namen auch die etwaigen Rücksichtslosigkeiten seiner geflügelte 11
Bewohner als historische Ueberlieferung mit in den Kauf. Die einzig ZufriedeneP
bei dem heiklen Handel waren und blieben Lieschen Quiebutz und Karl Wintef-

nsere

Pflicht, dem Jubeljahre der Errichtung des Deutschen Kaiserreiches
(a5s|j|fg gerecht zu werden, glaubten wir nicht besser genügen zu können, als in-
dem wir unseren Lesern das Lebensbild eines der begeistersten Herolde
des deutschen Waffenruhmes durch seinen Sohn entwerfen liessen. In Georg
Bleibtreu’s Malerauge erscheint das grosse Jahr künstlerisch verklärt. Seine
Schlachtenbilder geben trotz der treuen Beobachtung der Wirklichkeit kein wüstes
Durcheinander, sie erscheinen wie Manifestationen einer Volksseele, die nach
Erfüllung ihrer Bestimmung drängt und das, was sich ihr entgegenstellt, niederringt.
Vom Feldherrn bis zum gemeinen Soldaten herunter, ist alles von einer Begeisterung
durchloht, die keinen wuth- oder schmerzverzerrten Gesichtsausdruck zulässt und
selbst die wildeste Kampfdarstellung veredelt. Georg Bleibtreu war nicht nur
ein grosser Künstler, sondern zugleich ein Meister des Wortes. Was er auf den
Schlachtfeldern empfunden, theilte er den Seinen mit. Die Bruchstücke seiner
Briefe, die hier zum ersten Male veröffentlicht werden, sind voll von derselben
reinen Begeisterung und Vaterlandsliebe, die sich in seinen Bildern ausspricht.
Wir glaubten, uns mit der getroffenen Auswahl nicht auf das Jahr 1870/71 be-
schränken zu sollen, weil es uns darauf ankam, Georg Bleibtreu's Schaffen als
ein Ganzes darzustellen, das die Entwickelung des deutschen Einheitsgedankens
von Waterloo bis Sedan, vom Traumbild bis zur herrlichen Wirklichkeit umfasst.

* - *

*

Im milden Abendlicht, goldig im Wasserdunst verschwimmend, liegt Venedig
auf P. Gabrini’s Bilde „Ave Maria“ hinter uns. Tief hinabgetaucht in die perl-
mutterartig schimmernden Fluthen ist die den Canale Grande umsäumende steinerne
Pracht, wir sind allein mit der stillen Melancholie der Lagune. Wem das Auge
niüde geworden ist von den goldig überglänzten Palastmauern mit den leeren
Fensterhöhlen, wem der Sinn trübe wurde unter der Wucht geschichtlicher Er-
innerungen, die gar seltsam hineinragen in die Meeresstille, der fahre Abends
hinaus aus den engen Wasserstrassen nach Südwest, wo die grüne Fluth sich
schier unabsehbar dehnt. Leise gleiten die zurückkehrenden Schifferboote dahin.

Jpilder.

Da tönt von den Glockenthürmen Venedig’s ein leises, langsam anschweüendes
Läuten herüber. Die nervigen Hände des Bootsführers lassen das Ruder sinke 11’
ziehen die Mütze von dem Kraushaar und falten sich zum Gebet an die Muttef
Gottes. Nur wenige 'Augenblicke vergehen, dann tauchen die Ruder wieder 111
die Wellen, und in beschleunigter Fahrt geht es nach Fusina auf der Fahrstrass e’
die die Sandinseln verbindet, und über die Fluthen hin klingen, sehnsüchtio
fragend und liebeglühend antwortend, die Ritornelli.

* *

*

Tito-Conti’s „Odaliske“ scheint das Haremsleben garnicht so trüb e
aufzufassen, wie es dem occidentalen Auge erscheinen will. Das von ein e111
Tuche umhüllte Köpfchen auf die Hände gestützt, lacht sie über eine nU
dem Polster liegende Rose fort aus dem Bilde heraus mit blitzenden Zähn eU
und lockenden Augen. Sie ist nicht die Sclavin, sondern die „Zimm er'
gefährtin“ ihres Herrn. Im Harem giebt es wohl Hunderte von Odaliske 11’
aber sie sind alle nicht so schön wie sie, und der Tag wird kommen, vr°
der Herr sein Auge auf sie wirft und sie zur Ikbal, zur Favoritin wähR
Dann müssen ihre Genossinnen, die Kalfas (Meisterinnen) und Alaikes (Schül e
rinnen) ihr dienen, und wenn sie sich die Gunst des Gebieters zu erhalten w elSS’’
erhebt sie gar zu einer der vier Kadinen, die beinahe so viel gelten, als die nl1
getrauten Einzelfrauen der Franken, die des Gatten Liebe nicht mit anderen zU
theilen brauchen. Wird ihr ein Sohn geboren, so ist sie frei und braucht d ,e
Haremsaufseherin nicht mehr zu fürchten, die mit dem Obereunuchen übera
herumspionirt und jedes harmlose Vergnügen stört. Man kann eben auch 1111
Harem vergnügt sein. Da giebt es Tanz und Schauspiel, Musik und Pantom 1111®'
Zwischen Nargileh und süssem Eingemachten giebt es noch eine ganze Anzahl vo11
Lustbarkeiten, von denen sich der Europäer nichts träumen lässt, der vom Harc 111^
leben nichts Anderes kennt, als was in „Tausend und einer Nacht“ gedichtet m 1
von phantasievollen Orientreisenden gelogen wird. Die lachenden Augeü
Odaliske wissen von Sclaverei und Emancipations-Gelüsten wenig zu erzähle 11
 
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