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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0589

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Jtalienische firiedhofsplastik.

Von Bruno Schippang.

In dem Lande des sprühenden Sonnenlichtes, des
prickelnden, heissblütigen Lebens steht der Tod den
Menschen anders gegenüber, als in den Gegenden, wo
ein Schatten über jedes Stadium des Jahreslaufes der
Natur höher oder tiefer hingleitet, wo schon der Früh-
lingswind die mattgelben Ahornblüthen und den Schnee
der daunigen Kastanienwolle vor sich hertreibt, weil die
nordische Natur niemals vergessen kann, dass Werden
und Vergehen eng miteinander verwachsene Lebens-
vorgänge sind. Das immergrüne Laub der italienischen
Landschaft in seinem gleichförmigen, wechsellosen Ge-
wande lässt diese Doppelseitigkeit der Natur nicht klar
zum Ausdruck kommen. Wer freilich von düsteren
Pinien und trauernden Cypressen redet, hat dieses
Lebensprincip der italienischen Landschaft niemals recht
auf sich wirken lassen, nie recht verstanden. Jenseits
der Berge ist der Baum ein Individuum, bei uns ein
Heerdenwesen. Gerade aus dem Formen- und Schatten-
spiel dieser hartblätterigen, harzigen, lebenshartenSolisten
heraus, aus der Zweig- und Gruppenbildung einer Stein-
eiche, einer Olive und all’ der anderen Vertreter grau-
grüner bis blauschwarzer Farbentöne gewinnt der auf-
merksame Beobachter ein intimes Verständniss für die
Eigenart der italienischen Plastik. Der Zusammen-
schluss der Formen strebt hier immer der Rundung zu;
es ist kein Zug zur Breite und zur charakterisirenden
Flächenbildung vorhanden. Dieser Zug zur Rundung,
zur idealisirenden Linienbildung im italienischen Baume
kommt um so stärker zum Ausdruck, je weniger die
objective Lichtwirkung durch den Glanz und die Beweg-
lichkeit der Blattfarbe gestört wird. Wo die Natur der
Selbstherrlichkeit von Linie und Form solche Aner-
kennung zollt, muss sich nothgedrungen bei denMenschen
ein verfeinertes Empfinden für formale Reize entwickeln.
Vielleicht hat dieses verfeinerte Empfinden in den Mar-
mor- und Bronceornamenten der Frührenaissance in
Italien seinen prägnantesten Ausdruck gefunden — er-
storben ist es niemals ganz, und es kommt auch in dem
Gräberschmuck des modernen ltaliens zur Geltung.

Da die Natur bei dem rapiden Wachsthum einer über-
aus üppigen und reichhaltigen Vegetation, sowie bei der
endlos blendenden Lichtfluth die Erinnerung an Wechsel
und Vergänglichkeit nicht aufkommen lässt, sieht der
Italiener im Tode mehr das plötzliche Auslöschen des
organischen Lebens, als den Uebergang zu einer höher
organisirten Existenz. Weil der Gegensatz von Tod
und Leben hier schrofter empfunden wird, sucht man
ihn zu verschleiern, während die Nordländer ihn über-
brücken. Der letztere widmet dem Verstorbenen einen
Vers, der auf das zukünftige Leben Bezug nimmt, wenn
auch der fromm gemeinte Sinn oft, wie in Oberbayern

oder Mecklenburg, einen seltsam drastischen Ausdruck
findet; der erstere weiht dem erfahrenen Arzte, dem
weisen Forscher, dem gewandten Staatsmanne eine sein
Schaffen hier auf Erden rühmende Inschrift. Versteigt
sich der Deutsche zur Plastik, so wird ein wohl-
componirtes Monument mit Symbolen und Emblemen
daraus, ein Architekturwerk; wogegen der Italiener an
die Büste des verehrten Todten die Ueberlebenden
schlicht natürlich herantreten lässt, die den Vater, Helfer,
Freund, Beschützer betrauern.

An dem Beispiele des florentiner Kirchhofes mag
das Gesagte illustrirt werden. Er befindet sich auf der
Spitze eines Berges und umschliesst die im XII. Jahr-
hundert hier errichtete Kirche San Miniato del Monte,
deren helle Marmorfront weithin über das fruchtbare
Arnothal leuchtet. Ihr Aeusseres ist hinfällig, ohne
jene träumerische Stimmung zu erreichen, die man mit
dem Begriffe der deutschen Ruine verbindet. Die
Mosaiken des Fussbodens, schwarz und weiss ohne
Beimischung farbigen Marmors, tragen den spröden
Charakter der herben, erwachenden Gothik, die den
feinen Accent dessen, was sie zu sagen hat, noch nicht
recht finden kann. Unter dem von durchscheinenden
Marmorplatten erleuchteten Chor bietet die auf 28 Säulen
ruhende Krypta Raum für viele Ruhestätten. Hier und
da thürmen sich die Blüthenhiigel über einer frischen
Gruft. In der Capelle links erhebt sich das Grabmal
des Cardinals Jacobo von Portugal von Rosselini.*)
Still und gross erhebt es sich unter der Gewölbekuppel,
an deren Krönung vier Tugenden, weiss auf blauem
Grunde, von Luca della Robbia Wache halten über der
Ruhe des „grossen“ Todten. Dass sein Leben der Auf-
fassung seiner Zeit gross erschien, kündet die Klarheit
und Einfachheit der Anordnung des Denkmals; gross in
der Ruhe seines Lebensabschlusses hat der Künstler
ihn erhalten — nicht der geringste Zug vom Zerstörungs-
werk des Todes macht sich in dieser Gestalt geltend.
Der vornehme Reichthum der Reliefornamente, welche
das Denkmal verzieren, lässt keinen Gedanken an Trauer
um die Vernichtung des Lebens aufkommen.

Draussen auf dem Cimeterio macht sich dieselbe
Stimmung geltend. Man hält an dem Bilde fest, das
man von dem Lebenden hatte, und lässt sich nicht auf
tiefgehende Speculationen über das Jenseits ein; die
Vorstellung des Fegefeuers mag allerdings ihr Theil
dazu beitragen. Die Gräber sind mit leuchtendem
weissen Marmor überdeckt; Platte schliesst sich fest an
Platte. Kein Erdhügel verkündet, dass hier eine Stätte ist,
wo die Erde wieder in Erde verwandelt, was stofflich,
irdisch am Menschen war. Kein Baum spendet Schatten,
keine Ruhebank ladet zum Versenken in die Vergangen-
heit ein. Die Sonne glüht über den schimmernden Stein-
platten, ihre Strahlen bilden sich funkelnde Reflectoren

*) Nachbildung im Berliner Museum.

Grabpyramide bei San Miniato del Monte.

in den Goldbuchstaben, die den Namen des Heim-
gegangenen der Nachwelt verkünden — aber nur so
lange, bis eine jüngere Generation die Ruhestätten für
sich in Anspruch nimmt, die vor vielen Jahrhunderten
schon den Todten der heiteren Arnostadt hier oben auf
dem weitblickenden Berge geweiht wurden. Die West-
und Nordseite umrahmen kleine Capellen, bunt durch-
einander gewürfelt in den verschiedensten Stylen,
romanisch, gothisch, maurisch, barock etc., nicht alle
geschmackvoll, nicht alle graciös, nur selten sinnreich,
aber alle ausgezeichnet durch lebende und lebensfähige
Linienfiihrung in der schmückenden Zuthat des plasti-
schen Ornamentes. Es ist mehr Anmuth als Styl in
diesen Kleinwerken der modernen italienischen Bild-
hauerei, aber eben diese Anmuth, dieser ungebrochene
Sinn für die formale Vollendung hilft über die Dürftigkeit
des Inhaltes hinweg und belebt diese heitere Todten-
stadt, die kein Todesgrauen kennt. Aus dem Steinboden
heraus steigen in ungeregelter Vertheilung Säulen mit
Portraitbüsten oder Reliefmedaillons. Da erhebt sich
zum Beispiel auf einer Säule der Kopf einer Dame aus
der guten Gesellschaft. Sie hat die Zahl ihrer Jahre

Denkmalsgruppe bei San Miniato del Monte.

nicht allzuhoch gebracht, aus der Vollkraft des Lebens
wurde sie herausgerissen. Ein Zug wohlwollender Milde
lagert um den festgeschlossenen Mund, erwägenden
praktischen Verstand kündet die freie Stirn. Als eine
Wohlthäterin der Verirrten wird sie dem Andenken der
Nachwelt überliefert, denn unter der Säule kauert klagend
ein armes Weib, nicht weit davon steht schüchtern und
zaghaft ein verlassenes Kind, dem früh der Hohn der
Menschen das Bewusstsein beibrachte, dass sich ihre
Mutter ihrer zu schämen hätte. Die gute Dame da oben
hat sich ihrer nicht geschämt, sie hat das weitgehende
Erbarmen der katholischen Kirche mit den Gefallenen
mit der erfahrenen Lebenskenntniss der Frau aus der
grossen Welt gepaart und beides in Wohlthaten im
echten Sinne des Wortes umgesetzt.

Vor dem Thor eines Grabgewölbes in einer Pyramide
steht ein Engel; aber nicht der Engel, der die Seelen
hinträgt an den Ort ihrer Ruhe und Neugestaltung,
sondern einfach menschlich gedacht ein Wächter, der
in seiner Haltung ausspricht: Stört die Ruhe des Todten
nicht! Von einem Ringen nach Fortschritt in der Kunst
ist natürlich bei diesen Arbeiten nicht die Rede. Es
waltet eine gewisse Selbstgenügsamkeit ob, die jeden
Gedanken an künstlerische Vertiefung ausschliesst, wie
sie z. B. in der wunderbar klaren Motivirung und dem
ruhigen Fliessen des Faltenwurfes am Denkmal der
Kaiserin Augusta im Charlottenburger Mausoleum zu
spiiren ist. All' die Denkmäler bringen Leben und Tod
ohne Verklärung des letzteren nahe an einander. Es
liegt darin ein Nachklang der antiken Auffassung der
besten Zeit, die unmerklich mit sanfter 'Wehmuth über
den Schrecken des Scheidens fortleitet.

IX. 24. B.
 
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